DIE EZB LEGT NACH - IM INTERVIEW: CARSTEN BRZESKI, ING-DIBA

"Die Märkte sind hin- und hergerissen"

Chefvolkswirt beobachtet wachsende Zweifel der Anleger an der Wirksamkeit der Geldpolitik

"Die Märkte sind hin- und hergerissen"

Die Anleiherenditen werden wieder fallen, sobald der Markt die neuen Lockerungsmaßnahmen der EZB verdaut hat. Das sagte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa, im Interview der Börsen-Zeitung.- Herr Brzeski, hat EZB-Chef Draghi nun die Überraschung nachgeholt, die er auf der Dezembersitzung des EZB-Rates vermissen ließ und damit seinerzeit für eine herbe Enttäuschung sorgte?Ja, er hat jetzt das gemacht, was er eigentlich im Dezember schon hätte machen sollen. Sein Problem ist nur, dass sich die Märkte weiterentwickelt haben und immer mehr Zweifel aufkommen, ob Zentralbankpolitik überhaupt noch wirksam ist. Die Zweifel konnte Draghi trotz seines imposanten Paketes nicht nehmen.- Was sagt die hohe Volatilität während der Pressekonferenz über die Glaubwürdigkeit der EZB aus?Die hohe Volatilität zeigt: Die Märkte sind hin- und hergerissen. Einerseits vor Freude über noch mehr billiges Geld, anderseits aber vor Zweifeln, ob es denn dieses Mal wirklich funktioniert.- Sind die vorgestellten Maßnahmen wirksame Waffen im Kampf gegen die Deflation oder befeuert die QE-Ausweitung lediglich die Asset-Preise an den Finanzmärkten noch stärker?Die alten Maßnahmen – in neuen Kleidern präsentierte – sollen natürlich für mehr Wachstum sorgen. Mehr Wachstum kann dann auch die Deflation bekämpfen. Denn ganz ehrlich, die EZB kann natürlich nicht den Preis für Rohstoffe oder Öl beeinflussen. Dafür müsste sie schon Ölfässer kaufen und die unten im Keller einlagern. Scherz beiseite, die neuen Maßnahmen können, müssen aber nicht funktionieren. So wie in den vergangenen Jahren sorgt die EZB hier für noch günstigere Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe. Wenn es aber keine Nachfrage nach neuen Krediten gibt, dann kann auch die EZB nichts tun. Das ist die Geschichte von den Pferden, dem Wasser und dem Trinken.- Wie weit werden die Renditen entlang der Kurve in den negativen Bereich rutschen? Wie weit sehen Sie die zwei- und die zehnjährigen Bundrenditen fallen?Das Bizarre ist ja, dass die Renditen auf Staatsanleihen gestiegen sind. Nach anfänglicher Euphorie ist der Markt verunsichert. Das wird jetzt ein paar Tage dauern, bis der Markt die Maßnahmen wirklich verdaut hat. Dann sollten auch die Renditen weiter sinken. Am unteren Ende noch ein paar Basispunkte, am längeren etwas mehr. Negative Renditen für zehnjährige Bundesanleihen sehe ich allerdings noch nicht.- Die EZB kauft nun auch Investment-Grade-Corporate-Bonds. Wie stark wird dadurch das Crowding-out an den Rentenmärkten noch befeuert?Die Spreads werden sich deutlich einengen. Das Crowding-out nimmt zu. Das Risiko von Übertreibungen und Blasen damit leider auch.- Kommt die Parität von Euro zu Dollar?Nein. Denn der Euro-Dollar-Kurs liegt immer noch mehr in den Händen von Janet Yellen als von Mario Draghi. Wenn die Fed in diesem Jahr die Zinsen unverändert lässt, sollte Parität eine Wunschvorstellung mancher Analysten bleiben.—-Das Interview führten Kai Johannsen und Stefan Schaaf.