GastbeitragAnlagethema im Brennpunkt (307)

Die neue Macht der Optionsmärkte

Gerade in Zeiten erhöhter Inflation, in denen Anleihen nicht immer einen zuverlässigen Portfolioschutz liefern, ist es sinnvoll, sich mit Optionen abzusichern.

Die neue Macht der Optionsmärkte

Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (307)

Die neue Macht der Optionsmärkte

Gerade in Zeiten erhöhter Inflation, in denen Anleihen nicht immer einen zuverlässigen Portfolioschutz liefern, ist es sinnvoll, sich mit Optionen abzusichern – nicht zuletzt, weil man mit geringem Einsatz konvexe Ergebnisse erzielen kann.

Ein weiterer Grund für die Explosion des gehandelten Optionsvolumens ist die Einführung von Zero-Days-to-Expiry-Optionen, kurz 0DTE, auf den S&P 500 im Jahr 2022. Hierbei handelt es sich um Optionen für jeden Handelstag, die am selben Tag auslaufen. Zeitweise machen 0DTE-Optionen mittlerweile mehr als die Hälfte des gehandelten Volumens bei S&P-500-Optionen aus. Seit dem 28. August 2023 können auch 0DTE-Optionen auf den Euro Stoxx 50 gehandelt werden.

Marketmaker sichern Positionen

Wie beeinflussen die immer höheren Volumina an den Optionsmärkten die zugrundeliegenden Aktienmärkte? Der wesentliche Effekt entstammt der Verhaltensweise der professionellen Händler, der Marketmaker, die ihren Gewinn vor allem mit der Geld-Brief-Spanne erwirtschaften. Um also keine Marktrisiken einzugehen, sichern sie ihre Positionen ab. Kauft ein Anleger beispielsweise eine Call-Option von einem Händler, dann ist für Letzteren der Call „short“. Steigt der Preis des Basiswerts zum Verfall über den Strike (Ausübungspreis) der Option, müsste der Händler die Differenz dem Anleger auszahlen. Der Marketmaker wäre also Marktrisiken ausgesetzt. Diese sichert er nun allerdings ab, indem er gleichzeitig den Basiswert darauf kauft. Die Sensitivität der Option für Preisänderungen des Basiswertes nennt man Delta. Dieses ist nicht konstant, sondern davon abhängig, wie weit der Strike der Option aus dem Geld liegt. Je weiter weg, desto geringer ist das absolute Delta. Es ändert sich bei jeder Preisbewegung des Basiswerts. Diese Veränderung des Deltas nennt man Gamma. Je näher der Strike am Preis des Basiswerts, desto größer das Gamma.

Long-Gamma-Positionen dämpfen tendenziell die Volatilität. Dies ist der Fall, wenn die Händler überwiegend Long-Optionen halten. Sind sie Short Gamma, entziehen sie Liquidität und verschärfen die Preisbewegungen nach oben und unten. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle verkaufen Investoren auf Indexebene Aufwärtspotenzial (Calls), um Absicherungen (Puts) zu finanzieren.

Die Auswirkung eines hohen, positiven Gamma-Exposures in einem Bullenmarkt ist die Aufrechterhaltung eines langsamen Aufwärtstrends der Aktienmärkte, der durch systematische Anlagestrategien verstärkt wird, die oft bei fallender Volatilität in den Markt gezogen werden. Genau das ist im ersten Halbjahr 2023 passiert. Der stetige Verfall der Volatilität, begünstigt durch die Long-Gamma-Positionierung der Marketmaker, hat zu einem mechanischen Kaufen von Aktien von beispielsweise Zielvolatilitätsstrategien geführt. Wenn umgekehrt Händler Short Gamma sind und die Volatilität genug verstärken, müssen systematische Strategien Aktien verkaufen, die Volatilität steigt weiter an und ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt. Dieser findet oft sein Ende mit großen Optionsverfällen, wenn die Gamma-Positionierung glattgestellt wird. Marketmaker sind ebenso wie systematische Strategien und ETF-Sparpläne nicht fundamentale Anleger. Sie handeln Aktien nur, um ihr Delta abzusichern. Sie haben keine Marktsicht. Das kann dazu führen, dass diese Akteure Übertreibungen nach oben oder unten verstärken.

Für die Zukunft erwarten wir ein vermehrtes „grinding higher/lower“ an den Aktienmärkten, das von externen Schocks und Volatilitätsspitzen abgelöst wird. Die Gamma-Positionierung der Marketmaker wechselt dann von Long zu Short und die Volatilität steigt schnell massiv an. Um sich als Anleger mit Optionen richtig abzusichern, ist es entsprechend vorteilhaft zu wissen, wie die Optionshändler positioniert sind. Momentan dürften die Optionshändler im Aggregat leicht Short Gamma sein, d. h. sie verstärken tendenziell die Marktbewegungen, so dass die Wahrscheinlichkeit für eine größere Schwankungsbreite erhöht ist. In jedem Fall dürfte der massive Anstieg des gehandelten Optionsvolumens in den letzten Jahren den Markt noch weniger fundamental gemacht haben.

Ulrich Urbahn

Leiter Multi Asset Strategy & Research bei Berenberg