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Die regulatorischen Folgen des Brexit

Von Oliver Piquardt *) Börsen-Zeitung, 13.2.2020 Am 31. Januar 2020 ist Großbritannien nach langem Hin und Her aus der Europäischen Union (EU) ausgetreten. Dabei sieht der Vertrag, der die Austrittsmodalitäten regelt, eine Übergangsphase bis zum...

Die regulatorischen Folgen des Brexit

Von Oliver Piquardt *)Am 31. Januar 2020 ist Großbritannien nach langem Hin und Her aus der Europäischen Union (EU) ausgetreten. Dabei sieht der Vertrag, der die Austrittsmodalitäten regelt, eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 vor. In dieser soll der Status quo weitestgehend erhalten bleiben. Dahinter stehen zwei Ziele: Zeit für Verhandlungen über ein mögliches Freihandelsabkommen gewinnen und einen “Hard Brexit” zum 1. Februar 2020 verhindern. Denn ohne ein bilaterales Handelsabkommen würden für die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU letztlich die im Rahmen der World Trade Organization (WTO) vereinbarten Richtlinien angewendet werden. Diese regeln zwar sehr detailliert, wie der globale Handel zwischen Ländern ablaufen soll, berücksichtigen aber keinesfalls die individuellen Besonderheiten in den Handelsbeziehungen zwischen zwei Ländern.So sehen sie insbesondere auch vor, dass Zölle, Mengen- und sonstige Beschränkungen auf Waren und Dienstleistungen vom importierenden Land festgesetzt werden können. Diese gelten dann aber nicht allein für einen Handelspartner, sondern für alle WTO-Handelspartner, mit denen kein gesondertes bilaterales Abkommen abgeschlossen wurde. Das Risiko eines solchen Hard Brexit mit einem sofortigen Inkrafttreten von WTO-Zöllen und sonstigen Beschränkungen ist durch die vereinbarte Übergangsphase bis zum Ende des Jahres ausgeschlossen worden. Es könnte aber wieder akut werden, wenn sich abzeichnen sollte, dass es weder gelingt, innerhalb der Übergangsfrist ein für beide Seiten zufriedenstellendes Handelsabkommen abzuschließen – was aus heutiger Sicht höchst unwahrscheinlich erscheint -, noch sich auf eine Verlängerung der Übergangsphase zu einigen. Offene FragenInnerhalb der Übergangsfrist ist hingegen in Artikel 127 des Austrittsvertrags geregelt, dass bestehendes EU-Recht auf und in Großbritannien (mit einigen Ausnahmen) weiter anzuwenden ist. Damit soll für Akteure in beiden Wirtschaftsräumen Rechtssicherheit geschaffen werden. Allerdings ist dies im Hinblick auf Banken und Bankenregulierung nicht vollends gelungen. Damit ist offen, wie Großbritannien im Rahmen des Sitzstaatprinzips, das in einigen EU-Regelungen verankert ist, während der Übergangsphase zu behandeln ist. So sehen einige EU-Bankenregelungen eine privilegierte Behandlung für bestimmte Wertpapiere vor, wenn der Emittent in einem EU-Staat ansässig ist.Großbritannien ist aber seit dem 1. Februar 2020 aus Sicht der EU ein Drittstaat. Streng genommen dürften damit Wertpapiere, die Emittenten aus Großbritannien begeben, für eine solche privilegierte Behandlung nicht in Frage kommen. Inwieweit die Übergangsregelungen bedeuten, dass Großbritannien – faktisch ein Drittstaat – damit in der Übergangsfrist dennoch weiter wie ein EU-Mitglied behandelt wird, ist rechtlich unklar. Mit diesem Problem sehen sich Banken, aber auch ihre Wirtschaftsprüfer konfrontiert. In Ermangelung konkreter Anweisungen in Form von Gesetzen, Stellungnahmen oder aufsichtsrechtlichen Rundschreiben müssen sie letztlich eigenständig einschätzen, wie sie mit der Thematik umgehen. In Marktkommentaren schien zumindest die Meinung vorzuherrschen, dass Großbritannien ab dem 1. Februar 2020 als Drittstaat zu behandeln ist.Für einen Präzedenzfall hat nun die EZB gesorgt. Sie hatte am 8. Februar 2018 ihr Sicherheitenrahmenwerk unter anderem in Bezug auf vorrangige unbesicherte Bankanleihen (Senior Preferred) dahingehend angepasst, dass sie nur noch solche Wertpapiere als Sicherheit akzeptiert, die von Banken mit Sitz in einem EU-Staat begeben wurden. So verloren beispielsweise Senior-Preferred-Bankanleihen aus der Schweiz oder Norwegen ihre EZB-Fähigkeit. Mit dem offiziellen EU-Austritt am 31. Januar 2020 hätte dies auch für vorrangige unbesicherte Bankanleihen aus Großbritannien gelten müssen. EZB muss noch liefernIn einem Schreiben des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi an den EU-Parlamentsabgeordneten Sven Giegold vom 27. Juni 2019 deutete Draghi aber bereits an, dass die EZB-Fähigkeit während einer Übergangsphase erhalten bleiben könnte. Allerdings werde dies von den Umständen des EU-Austritts abhängen und dabei insbesondere von der Frage, ob es “relevante Übergangsregelungen” geben werde. Gleichzeitig kündigte er an, dass die EZB eine klarstellende Pressemitteilung zu den Auswirkungen auf die EZB-Fähigkeit britischer Senior-Preferred-Bankanleihen veröffentlichen werde, sobald es mehr Klarheit und Sicherheit bezüglich des Brexit gebe. Leider steht eine solche Klarstellung bislang aus.Über die Online-Sicherheitendatenbank auf der Internetseite der EZB lässt sich allerdings abfragen, ob ein Wertpapier von der EZB als Sicherheit akzeptiert wird – und offenbar ist genau dies auch nach dem Brexit für britische Senior-Preferred-Bankanleihen der Fall. Die EZB stellt sich somit offenbar auf den Standpunkt, dass Großbritannien während der Übergangsfrist noch als EU-Staat zu behandeln ist. Liquiditätsabfluss berechnenAber welche Implikationen hat dies für andere Regelungen mit Sitzstaatprinzip? So müssen Banken beispielsweise berechnen, wie hoch ein Liquiditätsabfluss in den nächsten 30 Tagen ausfallen könnte, und diesen vollständig über ein Portfolio an hochwertigen Aktiva abdecken (kurzfristige Liquiditätsquote, LCR). In Abhängigkeit von Ausfallrisiko und Liquidität werden Aktiva dabei in verschiedene Kategorien eingeordnet und unterliegen unterschiedlich hohen Abschlägen und Beschränkungen bei der Anrechnung auf die LCR. Covered Bonds können dabei in die beste Kategorie eingestuft werden. Dies setzt unter anderem voraus, dass der Emittent seinen Sitz in der EU oder im EWR hat. Gleiches gilt für die Eigenkapitalunterlegung von Covered Bonds, die Banken in ihren Büchern halten. Für Covered Bonds, die von Banken mit Sitz in der EU oder im EWR begeben wurden, sind gemäß Artikel 129 CRR geringere Risikogewichte möglich.Aus dem Vorgehen der EZB als zentrale europäische Institution und zuständige Bankenaufsicht für die größten Banken der Eurozone lässt sich schließen, dass Großbritannien auch bei der Anwendung anderer Regulierungsvorschriften bis Ende 2020 noch als EU-Staat einzustufen ist. Dies würde bedeuten, dass britische Covered Bonds bis Ende 2020 weiter als Level-1-Assets bei der LCR angerechnet und bei der Ermittlung der Eigenkapitalunterlegung privilegiert behandelt werden. Erst nach der Übergangsphase dürften britische Covered Bonds bei der Berechnung der LCR bestenfalls noch als Level-2A-Assets eingestuft werden, und das Risikogewicht von mindestens mit “AA-” bewerteten britischen Covered Bonds dürfte sich im Kreditrisikostandardansatz von 10 % auf 20 % verdoppeln und damit dem Niveau von unbesicherten Bankanleihen entsprechen. *) Oliver Piquardt ist Leiter Credit Research Financials & Structured Credits bei der DZ Bank.