Die Rückkehr der Wechselkurs-Volatilität
Von Dorothea Huttanus*)
Die Ereignisse in der Ukraine erschüttern die politische Weltordnung. Während sich die Ereignisse überschlagen, scheinen die Devisenmärkte ihr Urteil schnell und – gemessen an den Umständen – überraschend gnädig gefällt zu haben. Nach einem ersten Schreckmoment mit den klassischen Safe-Haven-Umschichtungen ist das Risikobarometer binnen kürzester Zeit wieder von Risk-off Richtung Risk-on gedreht. Abgesehen von offensichtlichen Ausnahmen wie dem russischen Rubel sind erstaunlich viele Währungen auf dem besten Weg zurück zu ihren Vor-Kriegs-Niveaus.
Fürchtet der Devisenmarkt etwa übereilte Aktionen und will zunächst abwarten, bis es belastbare Informationen über die ökonomischen Folgen gibt? Wohl kaum. Vielmehr beobachten wir hier die logische Fortsetzung der vergangenen Jahre mit fallenden FX-Volatilitäten. Bankenkrise, Euro-Krise, Handelsstreit und Pandemie, all das hat die Marktteilnehmer abgestumpft werden lassen – oder, um es wohlwollender zu formulieren: resilient gegenüber Krisen gemacht. Das Rettungsnetz, das die Zentralbanken mit ihrer generösen Liquiditätsausstattung gespannt haben, funktioniert offenbar noch immer tadellos. Warum sollte man sich da von rentablen High-Beta-Währungen verabschieden und sein Heil in der Flucht in Safe-Haven-Währungen suchen?
Netz wird löchriger
Eben dieses Rettungsnetz wird aber immer löchriger. Über Tempo und Timing, mit dem EZB und Fed zur geldpolitischen Normalität zurückkehren, ließe sich durchaus streiten; die eingeschlagene Richtung gen Exit scheint aber unumkehrbar. Daran dürfte nicht einmal die Eskalation in der Ukraine etwas ändern. Anders als bei vergangenen Krisen drohen keine Deflations-, sondern handfeste Inflationsgefahren. Angesichts des Strukturbruchs beim Preisumfeld scheint sich die Ära der ultraniedrigen Zinsen dem Ende zuzuneigen. Das geldpolitische Allheilmittel der vergangenen Jahre – also die erhöhte Risikoaversion in frischer Liquidität zu ertränken – ist in diesem Jahr kein Selbstläufer mehr.
Weltweit haben zahlreiche Notenbanken in den vergangenen Monaten ihren entschlossenen Kampf gegen die Inflation aufgenommen und einen elementaren Grundstein für ein Ende der strukturell niedrigen FX-Vola gelegt. Sie haben nicht nur für höhere Zinsen, sondern auch für ein Comeback der geldpolitischen Divergenz als Leitmotto zur Wechselkursbestimmung gesorgt. Aggressive Leitzinserhöhungen sind aber nur die eine Seite der Renditedifferenz. Damit wieder dauerhaft Bewegung in den FX-Markt kommt, muss es auch ausreichend Währungsräume mit niedrigen Zinsen geben, sonst wäre nur eine Parallelverschiebung zu beobachten.
Hier kommen die Schweizerische Nationalbank und die Bank of Japan ins Spiel. Beide haben sich (weitgehend unbemerkt) von ihrer akuten Krisen-Politik verabschiedet. Aggressive Interventionen hatten die SNB-Bilanz noch im März 2021 gegenüber dem Vorjahr um 160 Mrd. sfr oder 21% wachsen lassen. Diese Dynamik gehört dank des Verzichts auf Maßnahmen zur Franken-Stabilisierung inzwischen der Vergangenheit an. Die Bank von Japan als Erfinderin von Wertpapierkäufen zu geldpolitischen Zwecken hat sich ebenfalls zurückgezogen. Selbst in der Hochphase der Pandemie hat sie ihre Anleihekäufe nur moderat intensiviert. Die BoJ-Bilanz ist gegenüber dem Vorjahr zuletzt nur noch um 2% gewachsen, der Bestand an Staatsanleihen nur um 13 Bill. Yen (verglichen mit einem einstigen Zielwert von 80 Bill. Yen per annum).
Gewissheit in Japan
In der Wahrnehmung des Marktes ist der Verzicht auf Interventionen kein geldpolitischer Exit und die stillschweigende Reduzierung der Käufe japanischer Staatsanleihen kein Tapering. Der Effekt auf Bilanzsumme und Geldmengenwachstum ist aber vergleichbar, der Expansionsgrad nimmt ab. Entscheidend ist, dass es hier nur bei einer Verlangsamung des Bilanzwachstums bleibt und sich kein Quantitative Tightening (Bilanzverkürzung) oder gar eine Leitzinswende von BoJ und SNB anbahnt. In Japan dürfen Investoren da auch weiterhin denkbar sicher sein, in der Schweiz preist der Markt bereits für September 2022 eine erste Zinsanhebung um 10 Basispunkte ein. Solange es dabei bleibt, steht der Eignung als billige Finanzierungswährung nichts entgegen, wenn das Interesse an Carry Trades mit zunehmender geldpolitischer Divergenz wieder anspringt.
Einen ersten Vorgeschmack auf die kommende Ära mit wiederentdeckter Volatilität erleben die Märkte gerade. Zwar fällt die aktuelle Bewegung am Kassamarkt gemessen an den politischen Entwicklungen in der Ukraine nur moderat aus, die impliziten Volatilitäten am Optionsmarkt sind jedoch bereits spürbar angesprungen und könnten ein Indiz dafür sein, dass sich der Markt auf die neue Situation einstellt. Die eingeleitete geldpolitische Normalisierung lässt sich langfristig durch die geopolitischen Entwicklungen nicht aufhalten, sondern bestenfalls verzögern. Wenn Leitzinserhöhungen wieder zur Tagesordnung gehören, werden Notenbanksitzungen und die Aussicht auf veränderte Zinsen wieder zum Risk Event. Gerade in der Anfangsphase der Normalisierung dürfte sich der Markt von Sitzungstermin zu Sitzungstermin hangeln und entsprechend nervös zeigen. Danach besteht eine echte Chance, dass es endlich wieder einen fundamentalen Orientierungspunkt für strategische Währungsengagements gibt – und damit die Grundlage für nachhaltigere Wechselkursbewegungen.
*) Dorothea Huttanus ist Senior-Analystin für Devisenmärkte bei der DZ Bank.