GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (112)

Die Stunde der Stock Picker

Börsen-Zeitung, 4.4.2020 Das Ausmaß, mit dem Covid-19 die Wirtschaft der Industrienationen trifft, stellt alle Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg in den Schatten. Der totale Shutdown in vielen Staaten schlägt mit voller Wucht auf die Unternehmen und...

Die Stunde der Stock Picker

Das Ausmaß, mit dem Covid-19 die Wirtschaft der Industrienationen trifft, stellt alle Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg in den Schatten. Der totale Shutdown in vielen Staaten schlägt mit voller Wucht auf die Unternehmen und die Aktienkurse durch. Noch lässt sich nicht verlässlich abschätzen, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden am Ende sein wird – in jedem Fall aber immens. Trotz aller aktuellen Unsicherheiten steht unseres Erachtens aber eines fest: Diese Krise hat ein festes Ablaufdatum, und es spricht viel dafür, dass die sich anschließende Erholung im nächsten Jahr ebenfalls Rekordpotenzial hat. Dies setzt voraus, dass der temporäre exogene Schock nicht in eine strukturelle Krise mündet. Die Chancen dafür stehen gut. Schlimmer als 2009Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland übertreffen sich derzeit mit Prognosen, wie tief Deutschland 2020 in die Rezession absinken wird. Feststehen dürfte aber schon jetzt, dass der bisherige Rekordwert von – 5 % aus dem Jahr 2009 sehr deutlich übertroffen wird. Wie schlimm es am Ende kommt, hängt ganz entscheidend von der Dauer der Maßnahmen ab. Mit zunehmender Dauer des Shutdowns kaskadiert der Schaden in immer mehr Bereiche der Wirtschaft. Trifft es zu Beginn ganz unmittelbar den Servicesektor, schwappt die Welle von Produktionskürzungen und Betriebsunterbrechungen über die Zulieferindustrien schließlich auch in die allermeisten Fertigungsbetriebe. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Entscheidend wird aber sein, wie Deutschland mit dieser Situation umgeht, – und vor allem, wie schnell und wie kräftig die Erholung im nächsten Jahr ausfallen kann. Hier ist die Politik gefragt.Dem Staat steht eine Reihe erprobter Maßnahmen zur Verfügung, um die Auswirkungen des Konjunktureinbruchs zu mindern. Dabei geht es in erster Linie darum, die Bürger vor direkten Notlagen zu schützen. Das bedeutet an erster Stelle die Sicherung des Arbeitsplatzes. Die andere Stoßrichtung zielt auf eine Belebung der Nachfrage, um das Wirtschaftswachstum wieder in Schwung zu bringen – Stichwort Abwrackprämie. Tatsächlich kommen beide Maßnahmenpakete auch den Unternehmen zugute. Gelingt es dem Staat, seinen Bürgern die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zu nehmen, so fallen diese Arbeitnehmer nicht als Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen im Land aus, sobald sich die Lage normalisiert.Das “Zaubermittel” an dieser Stelle ist die Kurzarbeit. Im Grunde ließe sich dieser Effekt auch durch direkte staatliche Transferleistungen erzielen. Für die Kurzarbeit spricht aber neben den wichtigen sozialen Aspekten auch ein handfester ökonomischer Vorteil: Die Unternehmen bleiben handlungsfähig und können bereits in der Frühphase einer Wirtschaftserholung voll durchstarten. Ganz ohne langwierige Suche und Einarbeitung neuen Personals.Im Jahr 2009, als die Auswirkungen der Finanzkrise die deutsche Wirtschaft voll getroffen haben, waren rund 1,1 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Das konnte die Rezession in Deutschland zwar nicht verhindern, wohl aber deren Kollateralschäden für die Wirtschaft abfedern und dazu beitragen, den sozialen Frieden im Land zu bewahren. Der damals frisch gekürte Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman sprach in diesem Zusammenhang von “Germany’s jobs miracle” – dem deutschen Beschäftigungswunder. Ein solches Wunder brauchen wir wieder, und zwar nach ersten Schätzungen der Bundesregierung für fast doppelt so viele Arbeitnehmer wie 2009. Das ist teuer, aber es lohnt sich: für die Arbeitnehmer ganz existenziell, und für die Unternehmen, da sie damit schnellstmöglich wieder zur Triebfeder des nächsten Aufschwungs werden können. Und das lohnt sich letztlich auch für die Aktionäre.Die Korrektur am Aktienmarkt spiegelt die großen Unsicherheiten zu Beginn der Krise wider: Während der ersten Tage gab es eine breite, nahezu undifferenzierte Verkaufswelle quer durch alle Sektoren. Terminmarktgetriebene Verkaufsprogramme und passive, indexabbildende Fonds verstärken diese Welle. Nach dem allgemeinen Ausverkauf schlägt dann die Stunde der Stock Picker, denn in den Effekten auf die Unternehmensbilanzen gibt es große Unterschiede.Sind für Fluggesellschaften, Hotels und andere Dienstleistungsbetriebe die in diesen Wochen ausgefallenen Umsätze endgültig verloren, kommt es in anderen Branchen oft nur zu einer Verschiebung. Wer das neue Auto jetzt nicht kaufen kann, wird deswegen kaum ganz darauf verzichten. Gleiches gilt für notwendige Investitionen in Maschinen und Anlagen. Auch hier gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Während die Coronakrise bei einigen Unternehmen nachhaltige Schäden in Form von sprunghaft steigender Verschuldung hinterlässt, werden andere von Nachholeffekten sowie zeitgleichem Lageraufbau profitieren und per saldo recht glimpflich davonkommen. Das Navigieren durch diese Zeiten hoher Volatilität ist die Aufgabe von Analysten und Portfoliomanagern, die eine aktive Strategie verfolgen. Die Gelegenheit, Alpha zu generieren, war selten besser.Pascal Spano, Leiter Research von Metzler Capital Markets Zuletzt erschienen: Ölschock: Was Schwellenländeranleihen bevorsteht (111), Vontobel Asset Management Mid und Small Caps ziehen bei ESG nach (110), Bankhaus Lampe Realistischer Blick auf nachhaltiges Investieren (109), DWS