Die VW-Aktie hat noch viel Luft nach oben
Geld oder Brief
Die VW-Aktie hat noch viel Luft nach oben
Von Carsten Steevens, Hamburg
Als Oliver Blume, seit 2015 Chef der VW-Sportwagentochter Porsche, vor einem Jahr auch den Vorstandsvorsitz des Volkswagen-Konzerns übernahm, machte er sich nach einer vorherigen Bestandsaufnahme gleich daran, die Führungskräfte bei einem Treffen in Lissabon neben Managementprinzipien über die dringendsten Aufgaben für die Weiterentwicklung des Fahrzeugbauers zu informieren. Abgeleitet von den großen Baustellen des Mehrmarkenunternehmens wurde ein Zehn-Punkte-Plan definiert, der die Prioritäten für die kommenden Monate abstecken sollte.
An die oberste Stelle des Plans stellte Blume die finanzielle Robustheit mit dem Ziel eines effizienteren Kapitaleinsatzes. Der Fokus auf Rendite und Netto-Cashflow werde geschärft, wobei es auch darum gehe, die einzelnen Marken resilienter aufzustellen und die Schwelle, ab der sie Gewinn machen, weiter abzusenken. Der Zehn-Punkte-Plan unterstrich unter anderem auch die Notwendigkeit, Produkte weiterzuentwickeln, mit Blick auf Elektromobilität und autonomes Fahren den Auftritt des Konzerns in den beiden weltgrößten Märkten China und Nordamerika zu stärken, die Softwareaktivitäten neu zu ordnen und – mit den Erfahrungen aus dem Börsengang des margenstarken Sportwagenbauers Porsche Ende September vergangenen Jahres – virtuelle Börsenpläne für die Markengruppen und Werttreiber im Konzern zu entwickeln, um den Wert des Unternehmens nachhaltig zu steigern.
Eine solche Wertsteigerung gelang bislang nicht. Der Kurs der VW-Vorzugsaktie rutschte seit Ende August 2022 um fast ein Fünftel auf rund 113 Euro ab und entwickelte sich schwächer als Branchenindizes. Die Marktkapitalisierung des Konzerns erodierte um mehr als 20 Mrd. auf etwa 62 Mrd. Euro. Die ebenfalls im Dax gelisteten Vorzüge von Porsche wiesen am Donnerstag ein Plus von fast 24% seit dem IPO auf. Bei der Marktkapitalisierung hängt die Stuttgarter Tochter den Mutterkonzern aus Wolfsburg nach wie vor deutlich ab.
Mittelzufluss enttäuscht
Volkswagen hatte zuletzt mit Zahlen zum ersten Halbjahr enttäuscht und Geschäftsjahresziele angepasst. Wegen andauernder Engpässe in der Logistikkette rechnet der Konzern nach Angaben von Ende Juli damit, beim Mittelzufluss (Netto-Cashflow) 2023 nur noch das untere Ende der zuvor in Aussicht gestellten Bandbreite von 6 Mrd. bis 8 Mrd. Euro zu erreichen. Bei den Auslieferungen avisiert das Management infolge einer Absatzschwäche in China inzwischen eine Spanne von 9 bis 9,5 Millionen Fahrzeugen – zuvor war ein Plus von 15% auf 9,5 Millionen Einheiten für möglich gehalten worden.
Der Konzern bestätigte indes die Jahresziele für Umsatzerlöse und Umsatzrendite und sprach von einem starken operativen Ergebnis im zweiten Quartal vor Bewertungseffekten. Die Entwicklung spiegele die beim Kapitalmarkttag am 21. Juni vorgestellte „Value over Volume“-Strategie wider. Anleger hingegen zeigten sich skeptisch. Bei einer Zahlenpräsentation durch den Autobauer sei das Sentiment der teilnehmenden Investoren mit Blick auf VW recht negativ gewesen, meinte Deutsche-Bank-Research-Analyst Tim Rokossa. Enttäuscht hätten sie sich über die Aktienkursentwicklung sowie über die Profitabilität des Geschäfts mit Elektro- und Massenmarktfahrzeugen verglichen mit Stellantis geäußert.
Der Analyst, der bei einem Kursziel von 190 Euro die VW-Aktie unverändert zum Kauf empfiehlt, merkte an, man teile die Ansicht, dass der Konzern mehrere schwerwiegende Probleme habe. Zugleich böten diese negativen Umstände aber eine Chance für eine kluge Positionierung. Deutliche Aktienkursverbesserungen hält man bei DB Research indes erst für möglich, wenn sichtbar werde, wie VW das Geschäft in China sowie der Volumen-Gruppe festigt. Daniel Roeska von Bernstein Research, der mit „Market-Perform“ eine neutrale Position vertritt und das Kursziel zuletzt von 140 auf 124 Euro zurücknahm, konstatierte, der Konzern habe im Wettbewerb Rückschläge erlitten, wie vor allem in China sichtbar werde. VW werde Investoren überzeugen müssen, warum die Probleme in China angesichts eines sich verschärfenden Wettbewerbs nicht auch auf Europa und die USA übergreifen sollten.
China im Fokus
Fortschritte in China bei der Verbesserung der Produktattraktivität und der Wettbewerbsfähigkeit könnten es VW ermöglichen, auch in anderen Regionen leichter zu konkurrieren, meinte hingegen J.P.-Morgan-Analyst Jose Asumendi, der seine Anlageempfehlung bei „Overweight“ bei einem Kursziel von 193 Euro beließ. Ende Juli hatte der VW-Konzern bekannt gegeben, dass die Marken VW Pkw und Audi durch Kooperationen mit den lokalen Herstellen Xpeng und SAIC ihre Position im chinesischen E-Automarkt stärken wollen. Auch DZ-Bank-Analyst-Michael Punzet, der bei einem Kursziel von unverändert 150 Euro zum Kauf der Aktie rät, behielt seine positive Einschätzung bei: Trotz der aktuell schleppenden Kundennachfrage nach E-Fahrzeugen sollte der VW-Konzern bei der Elektromobilität mittelfristig über Skaleneffekte von seiner Größe profitieren. Weitere positive Impulse könnten sich mittelfristig aus den angekündigten Performance-Programmen für die Konzernmarken ergeben.
Bloomberg-Daten zufolge schätzen Analysten die Perspektiven für die VW-Aktie bei 14 positiven, sieben neutralen und zwei negativen Urteilen überwiegend zuversichtlich ein. Vorstandschef Blume zog nun nach dem ersten Jahr an der Konzernspitze vor Führungskräften in Barcelona Auszügen aus einem Redemanuskript zufolge eine positive Zwischenbilanz. Man komme gut voran und schneller als geplant. „Wir haben zahlreiche Meilensteine erreicht, wichtige strategische Weichen gestellt und gemeinsam Erfolge
erzielt.“ Zugleich mahnte Blume Anstrengungen an, um VW auf Kurs zu halten. „Die kommenden Monate werden herausfordernd.“