IM INTERVIEW: ARNAB DAS

"Die Weltwirtschaft ist in jeder Hinsicht bipolar"

Der Marktstratege von Invesco über die Coronavirus-Epidemie, Donald Trump und einen möglichen Kompromiss zwischen China und den USA

"Die Weltwirtschaft ist in jeder Hinsicht bipolar"

Arnab Das, Global Market Strategist der Fondsgesellschaft Invesco, ist positiv gestimmt ins Jahr 2020 gegangen, schließlich sollte die US-Regierung in einem Wahljahr alles daransetzen, dass weder die Wirtschaft noch die Börse gegen die Wand fährt. Doch dann kam die Coronavirus-Epidemie. Herr Das, was hat sich durch den Ausbruch der Coronavirus-Epidemie geändert?Unser Basisszenario ist, dass der Ausbruch eine wesentliche, aber vorübergehende Belastung der Weltwirtschaft sein wird, insbesondere für China und asiatische Schwellenländer. Er ist eine bedeutende Belastung für das Wachstum im ersten Quartal, für das man mit Blick auf die Stabilisierung der geo- und handelspolitischen Spannungen eine konjunkturelle Erholung hätte erwarten können. Wer ist am meisten betroffen?Die umfangreichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit innerhalb Chinas, Evakuierungen, Grenzschließungen und Reisewarnungen werden den Tourismus, andere Dienstleistungen und den Konsum treffen, aber auch das verarbeitende Gewerbe. Wir gehen aber davon aus, dass diese Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beitragen, was wiederum helfen könnte, die Auswirkungen auf das globale Wachstum auszugleichen. Lässt sich der aktuelle Ausbruch mit früheren Epidemien vergleichen?Die Auswirkungen könnten durchaus größer sein als die der Sars-Epidemie, denn China hat einen größeren Anteil am weltweiten Wachstum und an der Weltwirtschaft, auch am Tourismus und bei Dienstleistungen, insbesondere in Asien. Allerdings sollte es zu einer deutlichen Erholung kommen, wenn der Virus eingedämmt werden kann. Was hatte sich davor getan?Was sich in der zweiten Hälfte des Schlussquartals 2019 geändert hat, ist, dass sich die US-Regierung für eine Atempause im Handelskrieg mit China entschied. Wieso das?Aus Angst, dass Finanzmärkte und Wirtschaft in einem Wahljahr unter Druck geraten könnten. Die Atempause ist eine gute Sache. Zudem hat die Federal Reserve von Straffung und Normalisierung der Geldpolitik wieder Richtung Lockerung umgeschaltet. Diese beiden Faktoren dürften einen Boden für das einziehen, was wir Anfang des zweiten Halbjahres beobachten konnten – eine wesentliche Verschärfung der Finanzierungsbedingungen und eine Entschleunigung der US-Wirtschaft, die der Treiber der Weltwirtschaft gewesen ist. Gibt es nicht auch andere Lokomotiven für die Weltkonjunktur?Die Weltwirtschaft ist in jeder Hinsicht bipolar. Neben den beiden großen Polen, den Vereinigten Staaten und China, gibt es zwar auch noch die Eurozone als dritte große Wirtschaftsmacht, aber sie trägt – wie Japan – wenig zum weltweiten Wachstum bei. Die Weltwirtschaft ist zudem manisch-depressiv. Und der US-Zyklus?Er ist noch weit von seinem Ende entfernt, obwohl er schon sehr lange andauert. Wenn die Fed die Gangart wechselt, sollte das den Zyklus noch verlängern. Wenn manche Leute über den Zyklus sprechen, haben sie eine feste Vorstellung davon im Kopf, als wäre jeder Zyklus ein Abbild der vorangegangenen Zyklen. Aber dieser Zyklus unterscheidet sich stark von ihnen. Interessiert sich Donald Trump für die Weltwirtschaft?Ich glaube nicht, dass sich Trump große Sorgen darüber gemacht hat, was mit dem weltweiten Wachstum passiert. Ihm war aber daran gelegen, dass die US-Wirtschaft vor einem Wahljahr nicht vor die Wand fährt. Deshalb haben sie 2018 entschieden, dass sie wegen der Halbzeitwahlen etwas tun müssen, um die Auswirkungen des Handelskriegs abzumildern. Das hat nicht funktioniert. Sie haben den Kongress verloren. 2019 haben sie mit dem Handelskrieg weitergemacht. Nun haben wir eine Atempause. China hat doch keinen Anreiz, sein Verhalten zu ändern. Themen wie Diebstahl geistigen Eigentums werden immer wieder aufflammen.Ob es um geistiges Eigentum geht oder andere Themen: Warum sollten sie etwas ändern? Es hat besser funktioniert als alles andere je zuvor. Sie wären verrückt, etwas zu ändern. Das Problem ist, in welche Richtung die Amerikaner China drängen. Was die USA damit bewirken, ist die Substitution von Importen, etwa bei Hochtechnologie. Wir werden sehen, wozu das führt. Aber das hört sich alles furchtbar technisch und negativ an. Eigentlich wollte ich ja etwas Positives sagen. Und das wäre?Erst mal haben wir eine Atempause in diesem Wahljahr. Die Wirtschaft darf also nicht abstürzen, die Börse auch nicht.Und wenn jemand den Aktienmarkt beeinflussen kann, dann dieser Präsident. In der Rivalität mit China kommt es zu einer Verschiebung von Handelsfragen hin zu Werten, geistigem Eigentum und Geopolitik. Das mag erst einmal gut für die Wirtschaft sein, birgt aber politisch mehr Sprengstoff.Wenn es dort zum Konflikt käme, wäre das wesentlich schlimmer. Aber einen offenen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China wird es nicht geben. Wer gewinnt?Es ist sehr unklar, wer in diesem Konflikt die Oberhand hat. Viele Leute glauben, dass der US-Regierung, und zwar jeder US-Regierung, der Wahlkalender zu schaffen macht. Die Abstände zwischen den Terminen seien so kurz, dass sie keinen langfristigen Standpunkt einnehmen könne. Die Chinesen könnten dies dagegen tun. Auf einer bestimmten Ebene ist das sicher richtig. Aber China ist die schwächere Seite.Es gibt Leute, die China für die stärkere Seite halten. Trump ist ein “zufälliger Präsident”. Er hat die Wahl äußerst knapp gewonnen. Er nannte es einen Erdrutschsieg, aber wenn man sich das Ergebnis ansieht – ihn haben 3,2 Millionen Leute weniger gewählt als Hillary Clinton. Was passiert nach den US-Wahlen?Es kann natürlich sein, dass Trump, oder wer auch immer nach den Wahlen Präsident sein wird, den Handelskrieg wieder aufgreift, etwa wenn es um Diebstahl geistigen Eigentums oder die Rolle von Huawei geht. Ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass es zu einer Art Verständigung kommt. Man wird sich darauf einigen, dass es in Ordnung ist, Handel mit Gütern mit niedriger Wertschöpfung zu treiben. Der Fokus wird sich auf die anderen Dinge verlagern: Hochtechnologie, Geopolitik und dieses politische Problem, das der amerikanische Überwachungskapitalismus mit dem Überwachungsstaat China hat. Das ist vielleicht ein etwas weniger destruktiver Ansatz. Zumindest einer, der die Finanzmärkte nicht unmittelbar belastet.Er würde Teile der Wirtschaft weltweit belasten. Es würde dadurch aber nicht gleich alles in Frage gestellt. Man müsste sich nicht vor einem “Decoupling” fürchten. Natürlich ist es möglich, dass sich die Debatte wieder dahin zurückbewegt. Aber ich glaube, man wird mehr darüber nachdenken, wie man künftig mit Daten und Technologie umgehen, wie man geistiges Eigentum schützen und zu einer Koexistenz kommen will. Wir haben eine Welt mit drei Systemen. Welche wären das?Wir haben das chinesische System, in dem der Staat die Daten kontrolliert. Wir haben das amerikanische System, in dem die Unternehmen die Daten sammeln und kontrollieren. Und wir haben Europa, wo das Individuum die Kontrolle über seine Daten haben soll. Das sieht so aus, als wären das drei komplett verschiedene Sichtweisen. Realistisch betrachtet muss es aber eine Art Konvergenz über diese drei Systeme hinweg geben. Mit China?Die Chinesen werden das vielleicht nicht so sehen, weil sie denken, dass Unternehmen und Bevölkerung dem Staat zu dienen haben. Schließlich ist das alles eins, es ist eine Volksrepublik. Weil sich die Führung um das Volk kümmert, kümmert sie sich auch um die Daten und die Unternehmen. Vielleicht wird sich China also nicht annähern. Aber zwischen Europa und Amerika muss es Konvergenz geben. Wirklich? Steht dem nicht die legalistische Herangehensweise beider Seiten entgegen?Aus meiner Sicht sind beide Sichtweisen realistisch betrachtet unhaltbar. Wenn man einmal an eine Versicherungsgesellschaft denkt: Sie hat dafür einen Anreiz, Einsicht in alle Daten ihrer Kunden zu haben, denn so kann sie die Prämien für alle möglichen Produkte, ob Lebens- oder Kfz-Versicherung, zielsicher gestalten. Für das Individuum entfällt dadurch aber jeder Anreiz, eine Versicherung abzuschließen. Wenn ich für die vollen Kosten meines schlechten Fahrverhaltens aufkommen müsste, wozu bräuchte ich eine Versicherung? Zumindest würde ich für gutes Verhalten belohnt.Wirtschaftlich, politisch und rechtlich betrachtet, wäre eine Form der Konvergenz erstrebenswert, zumindest im sogenannten Westen. Und dann wäre die Frage, wie man mit China klarkommt. In der europäischen Wirtschaft würden manche China den Vereinigten Staaten vorziehen.Wirklich? Ein Europa aus demokratischen Nationen im Sinne Thomas Jeffersons würde nicht in Chinas Einflusssphäre passen. Es ist denkbar, dass China sich eine Welt mit mehreren Systemen vorstellen kann und nicht versuchen würde, die Lebensweise der Europäer zu verändern. In der politischen Klasse Amerikas, und zunehmend auch in den Chefetagen der Unternehmen, sieht man das jedoch völlig anders. Aber nicht überall.Die US-Finanzbranche, uns eingeschlossen, sieht für sich große Chancen in China. Was sich jedoch gerade in den Vereinigten Staaten vollzieht, ist eine Annäherung der Unternehmen an die Politik und an die Forderungen der Arbeitnehmervertreter. Die Interessen der Finanzbranche weichen davon ab. Wo sieht die Finanzbranche die Chancen?Einerseits im Verkauf von Finanzdienstleistungen onshore in China, zudem als Intermediär beim Verkauf chinesischer Assets in die Vereinigten Staaten und den Rest der Welt. Dafür müssten aber die Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben werden.Es mag Pläne dafür geben, wie sie schrittweise aufgehoben werden können. Die viel grundsätzlichere Frage ist jedoch, was für eine Art System China künftig haben wird. Wird es Märkte zulassen? Ist ein System der staatlichen Kontrolle vereinbar mit freien Märkten? Bislang dachten die Leute, dass das nicht geht. Man erwartete zwar nicht, dass China eine Demokratie im Sinne Jeffersons werden würde, ging aber davon aus, dass es sich zumindest zur Marktwirtschaft entwickeln würde. Und das hätte China zu einer politischen Liberalisierung ermutigen können. Und heute?Manche Leute hoffen immer noch darauf. Viele andere aus vielen Ländern sind jedoch mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass sich die Entwicklung nicht in diese Richtung bewegt. Für mich sieht es so aus, dass ein Teil der chinesischen Eliten der Meinung ist, dass westliche Demokratien nicht funktionieren – erst die Finanzkrise, dann die Euro-Krise und der Brexit. Sie wollen so ein Modell nicht, weil es aus ihrer Sicht nur zu Krisen und Chaos führt. China exportiert seine Vorstellungen nicht nur an westliche Universitäten. Für die meisten Fluggesellschaften gibt es Taiwan nur als Teil der Volksrepublik.Die wirtschaftlichen Interessen mancher Länder und Unternehmen haben sich derart an die chinesischen angeglichen, dass sie gar nicht mehr anders können, als solche Vorgaben zu akzeptieren. Andere nehmen eine abwartende Haltung ein. Ein wesentlicher Teil der Vereinigten Staaten will sich die Bedingungen des gegenseitigen Verhältnisses nicht ganz von China diktieren lassen. Manche dort wollen sich von China abschotten. Andere sagen: Man kann nicht innerhalb der USA gegen die Prinzipien ihrer Verfassung arbeiten. In Afrika und Südamerika hat Peking bereits erheblichen Einfluss.Wenn man sich einmal eine Karte der Belt-and-Road-Initiative ansieht, führen am Ende alle Wege nach Peking. So baut man ein Weltreich auf. Aber ist es dafür nicht ein bisschen spät?Indien, Japan und Südkorea können das nicht akzeptieren. Die Russen nehmen es vorerst hin. Aber langfristig ist das für sie keine tragbare Position. Ein Teil Europas hat sich der Belt-and-Road-Initiative angeschlossen. Die Lage ist nicht so klar, dass man sagen könnte, es wird wie im Kalten Krieg sein, obwohl viele Leute bereits zu dieser Schlussfolgerung gekommen sind. Würde man das glauben und sich darauf vorbereiten wollen, wäre das ziemlich destruktiv, weil man sich komplett voneinander abgrenzen müsste. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?Wenn am Ende China Importsubstitution bei Halbleitern betreiben müsste und die USA bei 5G, wäre das viel besser als ein zweiter Kalter Krieg. Es wäre eine viel differenziertere Welt, in der manche Länder bei bestimmten Dingen mit China Handel treiben und andere mit den Vereinigten Staaten. Für mich ist nicht offenkundig, dass es in so einer Welt einen klaren Gewinner und einen klaren Verlierer geben müsste. Das Interview führte Andreas Hippin.