DEVISENWOCHE

Dollar-Stärke überrascht die Prognostiker

Von Dirk Chlench *) Börsen-Zeitung, 5.11.2019 Die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar, welche im Frühjahr 2018 begann, hat sich im Verlauf dieses Jahres fortgesetzt. Der Kurs der Gemeinschaftswährung sank von 1,15 Dollar am Jahresende 2018 -...

Dollar-Stärke überrascht die Prognostiker

Von Dirk Chlench *)Die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar, welche im Frühjahr 2018 begann, hat sich im Verlauf dieses Jahres fortgesetzt. Der Kurs der Gemeinschaftswährung sank von 1,15 Dollar am Jahresende 2018 – im Einklang mit unserer Erwartung – im Saldo auf 1,1150 Dollar Ende Oktober 2019. Das Gros der Währungsprognostiker wurde indes auf dem falschen Fuß erwischt. Die weit überwiegende Mehrheit der Bankvolkswirte hatte um den Jahreswechsel 2018/2019 nämlich eine Euro-Aufwertung für 2019 vorausgesehen.Dabei stützten sich die Euro-Optimisten im Wesentlichen auf zwei Argumente. Zum Ersten hatte eine Reihe von Volkswirten erwartet, dass die US-Wirtschaft in eine Rezession abgleiten wird. Ihr Hauptargument war die sehr flache US-Zinsstrukturkurve. In der Vergangenheit ging einer Rezession immer eine inverse US-Zinsstrukturkurve voraus. Darüber hinaus war der US-Aufschwung in die Jahre gekommen. Aus damaliger Perspektive dauerte lediglich die im März 1991 begonnene Expansion noch einige Monate länger. Eine Rezession war in den Augen einiger Marktbeobachter somit quasi überfällig.Zum Zweiten zeichnete sich um den Jahreswechsel – mit dem erstgenannten Argument eng zusammenhängend – ab, dass die Federal Reserve (Fed) auf einen Zinssenkungskurs einschwenken wird. Die damit absehbar einhergehende Einengung des Renditevorteils von kurzfristigen Emissionen des US-Schatzamtes gegenüber ihren Pendants aus dem Euroraum werde – so die damalige Vorstellung – den Euro-Kurs beflügeln. US-Aufschwung noch intaktWenden wir den Blick nun in die Gegenwart, so ist festzustellen, dass der US-Aufschwung allen Unkenrufen zum Trotz noch intakt ist und mittlerweile zum längsten der US-Wirtschaftsgeschichte avancierte. Die allgemein erwartete Reduzierung des US-Zinsvorteils ist hingegen tatsächlich eingetreten. So ging beispielsweise der Renditevorteil von zweijährigen U.S. Treasury Notes gegenüber ihren Pendants aus Deutschland von 3,1 Prozentpunkten am Jahresende 2018 auf 2,3 Prozentpunkte Ende Oktober 2019 zurück, bloß hat der Euro nicht von der Abnahme des US-Renditevorsprungs profitiert. Im Gegenteil: Der Euro gab – wie beschrieben – gegenüber dem Dollar nach.Was sind die möglichen Gründe für die entgegen dem historischen Muster verlaufende Währungsentwicklung? Während sich das Zielband der Fed für den Tagesgeldsatz am Jahresende 2018 auf 2,25 % bis 2,50 % belief, lautete der EZB-Einlagesatz zum selben Zeitpunkt auf -0,40 %. Angesichts dieser Ausgangslage bedurfte es nicht herausragender Prognosefähigkeiten, um eine Abnahme des US-Renditevorteils vorauszusehen. Denn während die Fed die Möglichkeit besaß, ihr Leitzinsband viele Male nach unten zu schrauben, hatten die Geldpolitiker im Frankfurter Ostend das Ende der Fahnenstange bereits nahezu erreicht.Dementsprechend beschloss der EZB-Rat im September 2019 schließlich, seinen Einlagesatz um lediglich 0,1 Prozentpunkte auf -0,5 % zu senken. Eine darüber hinausgehende Senkung des Einlagesatzes hätte insbesondere die Ertragskraft der deutschen Banken weiter geschmälert und damit schlussendlich die Finanzmarktstabilität geschwächt. Davon abgesehen ist es strittig, ob die EZB-Minuszinsen überhaupt rechtmäßig sind.Das wirft die Frage auf: Will man in einem Währungsraum investiert sein, dessen Notenbank kaum noch in der Lage ist, der Konjunktur einen positiven Impuls zu liefern? In den Vereinigten Staaten ist hingegen bereits in Ansätzen zu beobachten, dass die zurückliegenden Fed-Leitzinssenkungen ihre positive Wirkung entfalten. So hat sich beispielsweise die Stimmung in der US-Wohnbauwirtschaft seit Jahresanfang 2019 spürbar aufgehellt. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Devisenmarktteilnehmer davon ausgehen, dass es den Vereinigten Staaten gelingen wird, die sich abzeichnende Konjunkturschwäche zu überwinden, während der Euroraum auf Jahre hinaus nur ein mickriges Wachstum zustande bringen wird. Dieser mutmaßlichen Einschätzung des Devisenmarktes schließen wir uns an und präferieren daher grundsätzlich den Dollar gegenüber dem Euro als Anlagewährung.Derzeit spricht aber ein gewichtiger Grund für eine Erholung des Euro. Die Gemeinschaftswährung hat seit Jahresende 2018 nicht nur gegenüber dem US-Dollar, sondern auch gegenüber Yen und Franken und somit gegenüber klassischen Fluchtwährungen verloren. Daher wird ein gewisser Teil der zurückliegenden Euro-Schwäche darauf zurückzuführen sein, dass viele Devisenmarktteilnehmer angesichts der mannigfaltigen Krisenherde auf der Welt sicheren Häfen wie Franken & Co den Vorzug gegeben haben. Schub für Euro erwartetNach unserer Prognose werden die Risiken rund um den Globus allerdings an Brisanz verlieren. US-Präsident Donald Trump stellt sich 2020 der Wiederwahl. Angesichts dessen verbietet es sich für ihn, im Handelsstreit mit der Volksrepublik China weiter Öl ins Feuer zu gießen. Dies gilt umso mehr, da besonders Trumps Anhänger in den sogenannten “flyover states” unter den Auswirkungen des transpazifischen Handelsstreits leiden. Das Ziel muss in einer Übereinkunft mit dem Reich der Mitte liegen. Diese wird die Stimmung drehen und der Europawährung einen Schub verleihen. Nach unserer Prognose wird der Euro auf 1,16 Dollar per Jahresende 2020 aufwerten. Doch die Skepsis ist groß, ob die erwartete Erholung mehr sein wird als ein “Dead Cat Bounce”. *) Dirk Chlench ist Senior Economist bei der LBBW in Stuttgart.