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Drohender Grexit lässt den Euro (noch) kalt

Von Stefan Schaaf, Frankfurt Börsen-Zeitung, 7.7.2015 Griechenland steht nach dem Referendum näher als je zuvor am Abgrund. Die Staatspleite rückt immer näher. Ein Ausscheiden des Landes aus dem Euro - der sogenannte Grexit - wird für immer mehr...

Drohender Grexit lässt den Euro (noch) kalt

Von Stefan Schaaf, FrankfurtGriechenland steht nach dem Referendum näher als je zuvor am Abgrund. Die Staatspleite rückt immer näher. Ein Ausscheiden des Landes aus dem Euro – der sogenannte Grexit – wird für immer mehr Marktteilnehmer zum Basisszenario. Doch der Eurokurs – egal ob zum Dollar oder zu dem von der EZB berechneten handelsgewichteten Währungskorb – zeigt sich unbeeindruckt. Dafür gibt es fünf Erklärungen. Erstens: “Dollar is king”Anders als im Sommer 2012 spielt der Euro derzeit eher eine Nebenrolle am Devisenmarkt. “Dollar is king” heißt es bei Marktteilnehmern. Das heißt: Momentan gehen die meisten Kursbewegungen vom Greenback aus. Ein stärkerer oder schwächerer Euro ist daher nur Spiegelbild des Dollarkurses und nicht etwa eine Reaktion auf die Ereignisse in Griechenland. Dieses Thema überlässt der Finanzmarkt dem europäischen Aktienmarkt, der auf Nachrichten aus Athen, Brüssel und Berlin mit hoher Volatilität reagiert. Als Krisenbarometer ist der Dax deshalb besser geeignet als der Euro-Dollar-Kurs. Das Desinteresse des Devisenmarktes wird von der jüngsten Prognoseumfrage der Nachrichtenagentur Reuters eindrucksvoll unterstrichen: Von den 46 befragten Analysten erklärten 40, die Entwicklung in Griechenland habe ihre Vorhersage nicht beeinflusst. Viel bedeutsamer für ihre Wechselkursprognosen, so die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer an der Umfrage, sei die Entwicklung der Geldpolitik in den USA.Der Markt rechnet derzeit für September mit der ersten Zinserhöhung der Federal Reserve seit Juni 2006. Diese Erwartung hat im Zusammenwirken mit der quantitativen Lockerung durch die Europäische Zentralbank (EZB) zu Jahresbeginn eine massive Dollar-Rally ausgelöst. Doch inzwischen ist das Szenario des “Lift-off” im September eingepreist. Entsprechend hat sich der Renditeabstand zwischen Treasuries und Bundesanleihen – dem derzeit wichtigsten Indikator für den Euro-Dollar-Kurs – stabilisiert.Solange dieser Spread weitgehend unverändert ist, hält sich auch der Euro stabil zum Dollar. Bewegung gab es zuvor meist nur dann, wenn US-Konjunkturdaten nicht den Markterwartungen entsprachen, so dass sich Zinserwartungen für die USA veränderten. Nachrichten aus Griechenland veränderten den Spread und damit den Kurs zuletzt meist nicht. Zwar reagierten Bundesanleihen auf veränderte Risikoeinschätzungen, aber die US-Renditen folgten ihnen dann meist. Zweitens: Vertrauen in EZBAls die Eurozone im Sommer 2012 vor dem Kollaps stand, sprach EZB-Chef Mario Draghi die legendären Worte “Whatever it takes”. Seither vertrauen die Märkte darauf, dass die Notenbank die Instrumente und den Willen hat, die Währungsunion unter allen Umständen zu verteidigen. Dies hat bislang allen Spekulationen auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone wirksam entgegengewirkt und lässt auch für den Fall des Grexit kein Chaos an den Märkten erwarten. Zudem gelten der permanente Euro-Rettungsfonds ESM, die Bankenunion und die konjunkturelle Erholung als stabilisierende Faktoren für Europa. Drittens: Neue KorrelationenVor diesem fundamentalen Hintergrund zeigt der Euro-Dollar-Kurs seit geraumer Zeit ein anderes Muster als 2012. Seinerzeit fielen die Gemeinschaftswährung und wichtige europäische Aktienindizes wie der Dax gemeinsam, wenn die Nervosität am Markt wuchs. In diesem Jahr ist dies bislang anders: Während der Dax im ersten Quartal kräftig stieg, brach der Eurokurs regelrecht ein. Seither ist es umgekehrt. Das hat vor allem mit der EZB zu tun, die seit März Monat für Monat Anleihen für 60 Mrd. Euro am Markt aufkauft. Das drückte das Zinsniveau und machte den Euro im Vergleich zum Dollar unattraktiv, während die höhere Liquidität zu steigenden Aktienkursen führte.Hinzu kommt, dass ein schwächerer Euro die Gewinne der exportstarken Dax-Unternehmen steigert und den Kursen Schwung gibt. Dieser Trend vom Jahresbeginn hat sich in den vergangenen Wochen wegen der wachsenden Unruhe rund um Griechenland umgekehrt: Der Dax notiert inzwischen rund 10 % unter seinem Jahreshoch, während der Euro am Montag mit Kursen von 1,10 bis 1,11 Dollar wieder rund 6 % über seinem Jahrestief handelte. Die Märkte haben sich offenbar auf diese gegenläufige Entwicklung eingestellt und handeln sie. Insbesondere die für die Kursentwicklung immer wichtiger werdenden automatischen Handelssysteme folgen oft historischen Korrelationen. Fällt der Dax, signalisiert dies den Systemen: Euro kaufen – und umgekehrt. Viertens: Mehr Carry TradesEin weiterer markttechnischer Faktor hat die Korrelation von Griechenland-Krise und Eurokurs auf den Kopf gestellt: Carry Trades. Dass der Euro insbesondere in Phasen erhöhter Nervosität und Volatilität gefragt ist, liegt auch an dessen veränderter Rolle am Devisenmarkt. Das extrem niedrige Zinsniveau in der Eurozone macht die Gemeinschaftswährung attraktiv als Finanzierungswährung für Carry Trades. Dabei leihen sich vornehmlich spekulativ orientierte Anleger Geld extrem billig in Euro und investieren dies in höher verzinsten Währungen. Das heißt, sie gehen short in Euro und long in Währungen aus Osteuropa, asiatischen Schwellenländern oder Australien, wo die Renditen deutlich höher sind. Das Problem an Carry Trades ist: Sie sind eine riskante Angelegenheit und werden abgewickelt, sobald Anleger der Mut verlässt, was etwa an steigender Volatilität abzulesen ist. Werden jedoch Short-Positionen auf den Euro wegen wachsender Nervosität rund um Griechenland abgewickelt, so steigt auch der Eurokurs. Oder einfach nur, weil die Marktteilnehmer dies antizipieren. Fünftens: Grexit stärkt EuroOffenbar haben diejenigen am Devisenmarkt die Oberhand, die ein Ausscheiden Griechenlands als Stärkung der Währungsunion betrachten. Ohne das schwächste Glied, so ihre Argumentation, werde der Euro gestärkt. Dem steht jedoch die Fraktion derjenigen gegenüber, die mit einem Grexit den Verbund für umkehrbar halten und ein Auseinanderbrechen in Betracht ziehen. Sie sind (noch) in der Minderheit.