Durststrecke für Daimler
Von Isabel Gomez, StuttgartMit Daimler hat kürzlich der erste Dax-Konzern eine Gewinnwarnung mit dem von den USA angefachten Handelsstreit begründet. China erhebt seit voriger Woche Strafzölle in Höhe von 25 % auf Pkw aus den USA. Es ist eine Reaktion auf die zuvor verhängten US-Strafzölle auf chinesische Waren in selber Höhe.Daimlers Problem: Der Konzern hatte Pkw, darunter auch SUVs, die aus den USA nach China importiert werden, in China vorschnell günstiger angeboten, nachdem die chinesische Regierung im April angekündigt hatte, die Importzölle auf Autos ab Juli von 25 % auf 15 % zu senken. Nun konnte der Konzern die Preise zwar wieder auf das ursprüngliche Niveau anheben, nicht aber auf ein Niveau, das die zusätzlichen Strafzölle hätte kompensieren können. Die Folge: Der Konzern erwartet nun ein operativer Ergebnis (Ebit), das um 2,5 bis 10 % unter dem Vorjahreswert von 14,3 Mrd. Euro liegt. Bisher war ein Plus in dieser Höhe geplant.Als zweiten maßgeblichen Grund für die Gewinnwarnung nannte Daimler die Umstellung auf den ab September verpflichtenden neuen Prüfzyklus für Typgenehmigungen, WLTP. Die Umstellung belastet die gesamte Branche. Im Gegensatz zu Daimler hat aber etwa Volkswagen die erwarteten Mehrkosten bereits in ihrer ursprünglichen Ergebnisprognose für 2018 einkalkuliert. Die Daimler-Aktie geriet nach der Gewinnwarnung noch stärker unter Druck, als sie es ohnehin war. Daimler verkauft nach wie vor von Monat zu Monat mehr Autos, zudem ist auch die Truck-Sparte nach zwei schwierigen Jahren wieder auf Wachstumskurs. Aber daneben gibt es eben zahlreiche Risiken: die Ermittlungen gegen Daimler-Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem Abgasskandal, die Rückrufe von mehr als 700 000 Diesel-Fahrzeugen, in denen das Kraftfahrt-Bundesamt eine unzulässige Abgasnachbehandlung gefunden hat, die Daimler selbst als legal ansieht, und die große Frage, ob die etablierten Hersteller den Wandel hin zu Elektromobilität und vernetztem Fahren erfolgreich stemmen können. Schwache KursentwicklungSeit Bekanntwerden des Abgasbetrugs bei Volkswagen im September 2015 hat die Daimler-Aktie rund 22 % an Wert eingebüßt, während der Dax um 23 % zulegte. Seit Anfang Juni – am 11. Juni wurde der Rückruf bekannt, am 21. Juni kam die Gewinnwarnung – liegt das Minus der Daimler-Aktie bei 13 %, während der Dax in diesem Zeitraum um 8 % stieg. Nach der Gewinnwarnung bewerteten zahlreiche Analysten den Konzern und seine Aussichten neu. Warburg Research etwa empfahl anschließend zwar, die Aktie weiter zu halten, senkte aber das Kursziel von 74 Euro auf 65 Euro. Auch die Nord/LB senkte bei konstantem “Halten”-Votum das Ziel von 66 Euro auf 57 Euro. Warburg geht davon aus, dass der Konzern bei der Vorlage seiner Zahlen für das zweite Quartal am 26. Juli trotz eines höheren Absatzes ein Ebit in der Kernsparte Mercedes-Benz Cars vorlegen wird, das mit 1,8 Mrd. Euro um rund 25 % unter dem Vorjahreszeitraum liegen wird. Neben den Zusatzkosten durch die chinesischen Zölle und die Umstellung auf WLTP (hier geht Warburg von jeweils 125 Mill. Euro aus) belastete demnach ein Feuer bei einem Zulieferer des US-Werks in Tuscaloosa die dortige Produktion, wofür Warburg weitere 200 Mill. Euro veranschlagt. Die Truck-Sparte komme im derzeit boomenden US-Markt kaum mit der Produktion hinterher, wodurch auch ihr Ebit nur leicht steigen dürfte. Die Finanztochter Daimler Financial Services muss Schätzungen zufolge zwischen 450 und 600 Mill. Euro verbuchen, die Daimler im Zuge der Einigung im Streit um das Mautverfahren Toll Collect an den Bund zahlen muss. Das zweite Quartal, so das Bankhaus Lampe, werde das schlechteste des Jahres. Analyst Christian Ludwig kassierte nach der Gewinnwarnung zwar auch sein Kursziel und senkte es von 80 auf 70 Euro. Er stufte die Aktie aber von einer “Halten”-Position zu einem Kauf herauf. Er erwartet, dass das zweite Halbjahr gute Nachrichten für den Konzern bringen wird und die Durststrecke für die Aktie dadurch beendet werden könnte. Ein Grund dafür ist die geplante Fusion der Mobilitätsdienste von Daimler mit dem Angebot von BMW (vgl. BZ vom 29. März). Ludwig schätzt die jährlichen Verluste Daimlers bei Mobilitätsdiensten auf rund 100 Mill. Euro im Jahr. Sie würden bei der Bündelung in einem Joint Venture mit BMW entfallen. Hinzu käme ein einmaliger positiver Ergebniseffekt von bis zu 600 Mill. Euro, der auf Jahressicht die Belastung durch Toll Collect kompensieren würde. Das gilt aber nur, wenn das Joint Venture bis Ende des Jahres von den Behörden erlaubt wird.Mittel- und langfristig sieht Lampe als Treiber, dass Daimler mit etwa 60 % des Modellportfolios mehr Fahrzeugvarianten nach WLTP genehmigt bekommen habe als etwa Audi. Bevor nicht jede angebotene Kombination aus Motorisierung und Ausstattung genehmigt ist, können die Autos nicht verkauft werden. Ab Anfang 2019 will Daimler zudem das erste Modell seiner Elektromarke EQ auf den Markt bringen, was Lampe als positiven Kursimpuls sieht. Einer der stärksten Treiber sei die geplante Neuaufstellung mit drei rechtlich eigenständigen Einheiten – Pkw und Vans, Lkw und Busse sowie Daimler Financial Services – unter einer Holding. Lampe bewertet die künftige Nutzfahrzeugsparte mit nahezu 30 Mrd. Euro. Einige Investoren hoffen, dass der Konzern einen Teil davon an die Börse bringt. Daimler schloss bisher nur einen kompletten Verkauf von Geschäftsbereichen aus. Zunächst einmal müssen aber die Aktionäre dem Plan zustimmen. Das wird frühestens bei der Hauptversammlung im April 2019 geschehen. Im Branchenvergleich erhalten Daimler-Aktionäre die höchste Dividendenrendite. Sie liegt bei 6,4 %, während es bei Volkswagen 2,8 % und bei BMW 5,9 % sind. Anders sieht es beim Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) aus. Das unterscheidet sich nur geringfügig, da etwa der Handelsstreit und die sinkende Dieselnachfrage alle Hersteller belasten. Daimler wird mit einem KGV von 6,1 bewertet. Bei Volkswagen liegt das Verhältnis bei 6,3, bei BMW bei 5,9. Von 32 Analysten raten Bloomberg-Daten zufolge 14, die Daimler-Aktie zu halten. Ebenfalls 14 empfehlen sie zum Kauf. Dazu kommen zwei Verkaufsempfehlungen. Der Zielkurs auf Jahressicht liegt im Schnitt bei 71,48 Euro. Am Donnerstagabend schloss die Aktie im Xetra-Handel bei 57,16 Euro.