Ein Plädoyer für Technologieoffenheit in der Altersvorsorge
Der Verstand ist wie ein Regenschirm - er funktioniert am besten, wenn er geöffnet ist. (Walter Gropius)
1. Es braucht private Vorsorge
Die aktuelle Diskussion um die Reform der betrieblichen Altersversorgung und das Altersvorsorgedepot zeigt, dass privates Sparen für den Erhalt des Lebensstandards im Alter heute unerlässlich ist. Die gesetzliche Rente wird zukünftig lediglich eine Grundsicherung gegen Altersarmut sein können. Zu sehr ist der Handlungsspielraum der öffentlichen Haushalte eingeschränkt; zu groß ist der demografische Druck aus der Pensionierung der Baby-Boomer; zu sehr sind die Spielräume für höhere Sozialbeiträge ausgeschöpft.
Die erwartete jährliche Realrendite auf 10-jährige Bundesanleihen ist laut Bundesbank zwischen 1990 und 2020 kontinuierlich gesunken und beträgt aktuell – trotz Zinswende - immer noch weniger als ein halbes Prozent. Aktien in der Ansparphase einer Altersvorsorge einzusetzen, ist daher unter Experten unstrittig. Aufgrund der mittlerweile auf 20 Jahre gestiegenen durchschnittlichen Rentenbezugszeit sollte nun aber auch über Aktieninvestments während des Ruhestands nachgedacht werden.
In der öffentlichen Diskussion werden Vor- und Nachteile einer (verpflichtenden) Verrentung von Ersparnissen zu Rentenbeginn gegenüber selbst organisierten Auszahlplänen auf Aktienbasis oft als sich zwei gegenseitig ausschließende Optionen diskutiert. Statt eine polarisierende Diskussion darüber zu führen warum eine der beiden Lösungen der anderen scheinbar „immer und überall“ überlegen ist, sollten wir uns die jeweiligen Vorteile für einen zufriedenen Ruhestand zu Nutze machen.
2. Der Lebensstandard will abgesichert sein
Ein langes Leben in Gesundheit ist ein Segen. Aber der Ruhestand bringt (finanzielle) Unwägbarkeiten mit sich, die höchstens eingeschränkt durch zusätzliches Arbeitseinkommen aufgefangen werden können. Eine private (sofort beginnende) Rentenversicherung sichert die lebenslange Auszahlung einer Mindestrente und damit ein festes Einkommensniveau auch ohne Erwerbstätigkeit.
Mit Realzinsen von sechs Prozent und einer geringeren Lebenserwartung boten Rentenprodukte in der Vergangenheit auskömmliche monatliche Leibrenten. Für 1.500 Euro (nominale) private Altersrente im Monat brauchte man 1990 lediglich 200.000 Euro Kapital. Mit den aktuellen Überschüssen der Versicherer (die aber nicht garantiert sind), benötigt man dafür heute 330.000 Euro. Für eine garantierte Mindestrente der gleichen Höhe sind es 500.000 Euro.
Moderne Rentenversicherungen bieten neben der eigentlichen Rente die Option einer Kapitalleistung im Todesfall für die Hinterbliebenen sowie einer dynamischen Rentenanpassung zum Schutz vor Inflation. Der große Charme und das Alleinstellungsmerkmal einer privaten Rentenversicherung liegen jedoch in der lebenslangen Absicherung. Dafür muss man das gegebene Zinsumfeld und einen Sicherheitszuschlag für Langlebigkeit akzeptieren.
3. Darf's ein bisschen mehr sein
Ein Auszahlplan auf Aktienbasis bietet keine lebenslange Rente. Dafür sind höhere Renditen in der Kapitalanlage (inklusive eines ungefähren Inflationsschutzes) möglich und daraus folgend ein höheres monatliches Ruhestandseinkommen. Zusammen mit der Flexibilität bei den monatlichen Auszahlungen werden so Sonderereignisse wie eine lang aufgeschobene Urlaubsreise oder die (temporäre) Unterstützung der Kinder beim Abzahlen eines Kredits finanzierbar.
Um die Entwicklung des Kapitalstocks in einem Auszahlplan auf Aktienbasis zu quantifizieren, haben wir die Entwicklung von Ersparnissen in einem Portfolio bestehend aus 50% Aktien und 50% Anleihen über 35 Jahre bzw. 140 Quartale simuliert. Die Kapitalerträge modellieren wir durch zufällige Auswahl historischer Renditen eines internationalen Aktien- bzw. Anleihen-Index, mit einem empirischen Mittelwert der Rendite von fünf Prozent pro Jahr. Analog zur obigen Mindestrente einer Versicherung starten wir mit einem Kapitalstock von 500.000 Euro, dem wir jeden Monat 1500 Euro entnehmen.
Im Durchschnitt sollte bei einem Kapitalstock von 500.000 Euro und einem Zins von 5 Prozent eine jährliche Entnahme von 18.000 Euro den Kapitalstock um 1,4 Prozent pro Jahr weiter wachsen lassen (da 25.000 Euro jährlichen Erträgen 18.000 Euro Ausgaben gegenüberstehen). Doch können unvorhergesehene Renditeänderungen die tatsächliche Entwicklung von der durchschnittlichen abbringen.
Nach fünfzehn Jahren hat sich das Kapital im Median unserer 1001 Pfade um rund 20 Prozent auf 622.000 Euro vermehrt und in der absoluten Spitze auf fast 1,5 Millionen verdreifacht. Nach 28 Jahren sind die Ersparnisse in einem Pfad erstmals vollständig aufgebraucht. Nach 35 Jahren geschieht dies in einem von 200 Pfaden. Der Medianpfad weist dafür ein Kapital von gut 920.000 Euro auf und selbst im unteren Quartil ist der Kapitalstock auf über 775.000 Euro angewachsen. Die Hoffnung, noch etwas für größere Einzelinvestitionen übrig zu haben oder einen Kapitalstock vererben zu können, ist also wohlbegründet.
Gönnt man sich vom gleichen Startkapital eine monatliche Rente von 2.300 Euro, was der Mindestrente aus einer Versicherung erhöht um die aktuellen (nicht lebenslang garantierten) Überschüsse entspricht, reicht das Kapital nach wie vor stets 15 Jahre. In sieben Prozent der Simulationen reicht es jedoch keine 25 Jahre. Nach 35 Jahren weisen noch zwei von drei Pfaden positive Ersparnisse auf. Trifft eine schlechte Kapitalmarktentwicklung auf Langlebigkeit reicht das Kapital eventuell also nicht. Im Medianpfad sind allerdings auch nach 35 Jahren noch Ersparnisse in Höhe von mehr als 200.000 Euro vorhanden.
4. Mental Accounting – Aufteilung des Kapitals
Aber wie nutzt ein Pensionär nun die Vorteile beider Lösungen? Eine Möglichkeit besteht darin im Sinne einer mentalen Buchführung das Kapital mit zwei separaten Einmalzahlungen zu Rentenbeginn auf einen sicheren Zahlungsstrom - innerhalb einer sofort beginnenden Rentenversicherung - und einen Renditestrom – innerhalb eines Auszahlplans auf Aktienbasis - aufzuteilen. Dafür muss sich der Einzelne überlegen welchen Lebensstandard er in der Rente absichern möchte.
Der sichere Zahlungsstrom füllt die Lücke zwischen Minimalbedarf, d.h. dem Betrag zur Sicherung des minimal gewünschten Lebensstandards, und der gesetzlichen Rente. Die lebenslange Garantie der Versicherung nimmt die Angst vor Verarmung im Alter. Der überbleibende Teil fließt in einen Auszahlungsplan auf Aktienbasis. Der Renditestrom erweitert im besten Fall die eigenen finanziellen Spielräume oder ermöglicht es Kapital zu vererben. Benötige ich z.B. 1.500 Euro zur Deckung meiner Lebenshaltungskosten, bekomme eine gesetzliche Rente von 1.000 Euro und habe 500.000 Euro angespart, dann investiere ich mit dieser Heuristik ein Drittel meiner Ersparnisse (zu einem jährlichen Zins von 3,6 Prozent bezogen auf das anfänglich eingezahlte Kapital) in eine Rentenversicherung, die mir sicher 500 Euro monatlich auszahlt. Zwei Drittel lege ich in ein Aktienportfolio, von dem ich (bei einer Rendite von 5 Prozent pro Jahr) mit 1.389 Euro im Monat rechnen kann. Damit habe ich zusätzlich zur gesetzlichen Rente durchschnittlich 1.889 Euro pro Monat aus privaten Ersparnissen zur Verfügung. Überdies bleiben mir zwei Drittel meines Kapitals, also 333.333 Euro, erhalten.
Da das Leben nicht vollkommen vorhersehbar ist, sollte man die Aufteilung der beiden Ströme alle paar Jahre oder bei einschneidenden Änderungen der Lebensumstände überprüfen. So kann z.B. der Umzug aus dem eigenen Haus in eine Wohnung inklusive Veräußerung der Immobilie zwar den eigenen Kapitalstock vergrößern, aber auch monatliche Mehrausgaben für Miete erfordern.
5. Mit Technologieoffenheit ans Ziel
Klar ist, eine Erhaltung des Lebensstandards ist zukünftig nur durch eine Ergänzung der gesetzlichen Rente durch private oder betriebliche Vorsorge möglich. Im Ruhestand kann man die Ersparnisse dann u.a. verrenten oder in einen Auszahlplan auf Aktienbasis umwandeln. Beide Produkte haben ihre Berechtigung und jeweiligen Stärken.
Die Rentenversicherung garantiert lebenslange Zahlungen. Auszahlpläne auf Aktienbasis überzeugen durch hohe Renditen und Flexibilität in den Auszahlungen. Da Entscheidungen über die Gestaltung des Ruhestands sowie die eigene Risikobereitschaft sehr persönlich sind, sollten Rentnern stets beide „Technologien“ offenstehen.
Mental Accounting bietet eine Richtschnur zur Aufteilung des Kapitals. Um mich vor Altersarmut zu schützen und meinen Lebensstandard abzusichern, empfiehlt es sich einen Teil meiner Ersparnisse zu verrenten. Um mir selbst etwas Luxus zu gönnen oder meinen Kindern finanziell unter die Arme zu greifen, eignet sich auch im Ruhestand die Aktienanlage.
Zum Autor: Seit September 2022 ist Dr. Sven Ebert Teil des Flossbach von Storch Research Institute. Sein Forschungsinteresse gilt den Themen Demographie und Künstliche Intelligenz. Als Versicherungsmathematiker und Aktuar DAV war er zuvor bei einem weltweit operierenden Rückversicherer in verschiedenen Rollen tätig. Zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn promovierte er am Karlsruher Instituts für Technologie in Wahrscheinlichkeitsrechnung. Sven Ebert ist seit mehreren Jahren Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Köln sowie in der Ausbildung zum Aktuar DAV der Deutschen Aktuar-Akademie tätig.