„Ein vielversprechender Start in das Jahr“
Kai Johannsen.
Frau Weiss, 2022 hat es einen deutlichen Renditeanstieg an den Anleihemärkten gegeben, wovon auch ESM/EFSF-Bonds betroffen waren. Wie sind Sie als Emittent mit diesem Renditeanstieg klargekommen?
Das stimmt. Die beiden Rettungsschirme sowie alle anderen Emittenten waren vergangenes Jahr mit einer volatilen Marktsituation und steigenden Zinsen konfrontiert. Anfang 2022 emittierten wir eine 30-jährige Anleihe mit einem Kupon von nur 0,7%, während die Preise für die ESM-Bills bei minus 67 Basispunkten lagen. Der EFSF konnte für seine kreditnehmenden Länder langfristig günstige Konditionen sichern. In volatilen Märkten ist es wichtig, flexibel agieren zu können, d.h. verschiedene Instrumente und Emissionsformate verfügbar zu haben. Wie üblich nutzten wir für unsere Refinanzierungen das Auktionssystem zusammen mit Syndizierungen. Auktionen kamen ausschließlich für Bills zum Einsatz und Syndikate für unsere langfristige Refinanzierung. Den kompletten langfristigen Refinanzierungsbedarf für 2022 hatten wir bereits im Oktober aufgenommen – früher als sonst.
Wie ist in diesem Marktumfeld die Resonanz der Anleger im Primärmarkt gewesen?
Trotz der außergewöhnlichen Marktvolatilität waren unsere Auftragsbücher deutlich überzeichnet, und unsere Bonds genossen weltweit eine große Nachfrage bei Investoren. Voriges Jahr haben wir einen starken Nachfrageanstieg im Euroraum erlebt: Mehr als die Hälfte unserer Bonds gingen an Anleger im Euroraum, unsere „domestic buyer base“. Das ist bei unserem gut diversifizierten Netzwerk mit rund 1700 Anlegern schon bemerkenswert. Zudem nahmen wir aufgrund der Normalisierung der EZB-Zinspolitik gekoppelt mit der Unsicherheit in Hinblick auf Wachstum und Inflation im Euroraum bei den Anlegern ein verstärktes Interesse an Wertpapieren mit kürzeren Laufzeiten wahr.
Wie ist der aktuelle Stand des Social-Bond-Rahmenwerkes, und was sind Ihre Pläne für 2023?
Wir haben vor etwa drei Jahren ein Rahmenwerk für Social Bonds eingeführt. Dieses Rahmenwerk steht im Zusammenhang mit unserer Kreditlinie, die wir zu Beginn der Pandemie eingeführt haben. Diese Kreditlinie war bis Ende vorigen Jahres verfügbar und diente für den Fall, dass Euro-Länder Unterstützung bei der Finanzierung von Gesundheitskosten benötigten. Wie es oft bei vorsorglichen Kreditlinien ist, wurde sie nicht abgerufen. Daher haben wir keine Sozialanleihen begeben. Die Kreditlinie zusammen mit den Maßnahmen der Europäischen Investitionsbank und der EU-Kommission hat sich jedoch als sehr effektiv erwiesen, um die Märkte nach dem Pandemieausbruch zu beruhigen und Geschlossenheit zu zeigen. Der ESM ist ein bedeutender Emittent und Investor, und wir sehen es als extrem wichtig an, in verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen vertreten zu sein und zur Entwicklung und Förderung von „best practices“ zur Ökologisierung des Finanzsystems beizutragen.
Welchen Einfluss sehen Sie durch die Covid-19-Pandemie, die aktuell in China wieder an Schärfe gewinnt, und durch den Ukraine-Krieg auf Green und Sustainable Finance und damit auch auf Social Bonds zukommen?
Der Markt für nachhaltige Anleihen hat sich in Europa in den vorigen Jahren auch zuletzt durch die Pandemie sehr dynamisch entwickelt: Im Jahr 2021 stammten rund 51% der Emittenten aus Europa, fast die Hälfte – 45% – der Anleihen waren in Euro denominiert, verglichen mit rund einem Drittel – 29% – gegenüber in Dollar. Luxemburg ist zum weltweiten Zentrum für nachhaltige Bonds geworden. Aus Emittentensicht hatten Anleihen mit grünem Label einen Kostenvorteil gegenüber konventionellen Anleihen. Allerdings sahen wir auch, dass im geänderten Zinsumfeld dieses sogenannte Greenium zu verschwinden scheint. Sollte dieser Kostenvorteil aus Sicht der Emittenten verschwinden, könnte das Segment ins Stocken geraten; dies gilt es zu beobachten. Der ESM investiert seit 2014 in grüne und nachhaltige Anleihen und hat vor rund drei Jahren die Principles for Responsible Investment der Vereinten Nationen unterzeichnet. Dieses Jahr wird der erste Rechenschaftsbericht veröffentlicht werden.
Kommen wir zu Ihrem Funding-Outlook für 2023. Wie sehen die Funding-Volumina für ESM und EFSF im Einzelnen aus, und wie vergleicht sich das mit 2022?
Das Funding-Programm für dieses Jahr beläuft sich auf 28 Mrd. Euro, davon 20 Mrd. Euro für die EFSF und 8 Mrd. Euro für den ESM. Im Vergleich zu 2022 ist das sehr stabil. Wir werden weiterhin ausstehende Anleihen aufstocken, neue Anleihen in Euro und Dollar begeben und unser Bill-Programm mit drei- und sechsmonatigen Fälligkeiten beibehalten. Unser Hauptziel wird die reibungslose Abdeckung des Finanzierungsbedarfs sein, wobei wir die breite Palette von Laufzeiten und Finanzprodukten einsetzen.
Wie ist das Jahr bislang für Sie angelaufen?
Unsere erste EFSF-Emission fand am 9. Januar statt und war mit einer hohen Überzeichnungsrate ein vielversprechender Start in das Jahr. Wie üblich sind im Januar sehr viele Emittenten gleichzeitig im Markt, und die Koordination der Primär-Transaktionen ist sehr wichtig, insbesondere wenn Transaktionen in der gleichen Fälligkeit und Renditeniveau stattfinden. Diese Koordination lief sehr gut mit den „Euro Area Debt Management Offices“ und den Emittenten in Luxemburg. Unsere Bond- und Bill-Auktionen seit Jahresbeginn waren alle mehrfach überzeichnet, und wir freuen uns über die starke und breite Unterstützung durch unsere Investoren.
Wie hoch ist das aktuell ausstehende Bond-Volumen der beiden Einheiten ESM bzw. EFSF, und wie viele Bonds sind das aktuell jeweils?
Das ausstehende Volumen für die EFSF beträgt 199,2 Mrd. Euro verteilt auf 50 Anleihen und 99,5 Mrd. Euro für den ESM mit 25 Anleihen. Auf der Kreditseite erreichte der ESM im Dezember 2022 einen wichtigen Meilenstein: Nach mehreren außerplanmäßigen Rückzahlungen von Spanien gab es die erste planmäßige Rückzahlung in Höhe von 3,6 Mrd. Euro. Die spanische Regierung hatte zuvor bereits mehrmals Gelder –17,6 von insgesamt 41,3 Mrd. Euro – im Zuge des Banken-Rettungsprogramms vor Ablauf der Frist überwiesen. Planmäßige Rückzahlungen bedeuten, dass wir die Eurokrise nun vollends hinter uns gelassen haben.
2022 haben Sie Ihr Funding wie 2021 sehr früh, d.h. bereits im Oktober, abschließen können. Wie war es möglich, trotz des Renditeanstiegs und angespannter Marktphasen Anfang des Jahres aufgrund des Ukraine-Krieges, das Funding wiederum so früh abschließen zu können?
Tatsächlich haben wir unseren jährlichen Finanzierungsbedarf für beide Rettungsschirme bereits im Oktober erfolgreich abgeschlossen. Genauer gesagt war die letzte EFSF-Transaktion am 4. Oktober und die ESM-Transaktion am 17. Oktober 2022. Wir haben uns voriges Jahr ausschließlich auf den Euro-Markt fokussiert und nicht – wie in früheren Jahren – eine Dollar-Transaktion exekutiert, die eventuell etwas später im Jahr erfolgt wäre. Zudem konnten wir von unserer Kommunikationsstrategie profitieren. Der Verzicht auf die Ankündigung der Emissionsfenster und die dadurch gewonnene Flexibilität hat es uns erlaubt, den Zeitpunkt für unsere Transaktionen flexibler zu wählen. Wir konnten dadurch besser auf die Anlegernachfrage reagieren und volatile Zeitpunkte für unsere Ausführungen vermeiden. Dadurch konnten wir als Emittent – aber auch unsere Investoren – profitieren.
Wie gestaltete sich der weitere Aufbau der Dollar-Kurve, und was ist für dieses Jahr geplant? Beabsichtigen Sie, weitere Währungen anzugehen?
Seit 2017 bietet uns der Dollar-Markt Zugang zu Dollar-Finanzierungen mit Laufzeiten von bis zu fünf Jahren. Bis 2021 haben wir jedes Jahr eine auf Dollar denominierte ESM-Anleihe begeben. Insgesamt sind es fünf Benchmarks mit zwei und fünf Jahren Fälligkeit und dem ausstehenden Gesamtvolumen von 7 Mrd. Dollar. Angesichts der höheren Zinsen und des größeren Interesses am kurzen Ende der Euro-Kurve war die Nachfrage der Anleger an Euro-Anleihen besonders stark. Deshalb haben wir voriges Jahr keine Anleihen in Dollar emittiert. Unsere Dollar-Aktivitäten sind jedoch weiterhin eine wichtige Ergänzung zu unserer Finanzierungsstrategie. Sie bleiben auch in der Zukunft ein wichtiges, strategisches Instrument. Der ESM hat die Möglichkeit, sich in anderen Währungen als Euro und Dollar zu refinanzieren. Der Euro bleibt allerdings unsere Priorität, so dass wir unseren Anlegern ein regelmäßiges Angebot an Euro-Anleihen anbieten können.
Wie ist der aktuelle Stand im Rahmen des Programms der Namensschuldverschreibungen, und wie sehen Ihre Pläne für 2023 aus?
Für den ESM und EFSF ist es äußerst wichtig, über eine Vielzahl von Refinanzierungsinstrumenten zu verfügen. Wir müssen im Falle eines erhöhten ESM-Finanzierungsbedarfs verschiedene Produkte einsetzen können. Genauso wie die Dollar-denominierten Anleihen, sind die privat platzierten Namensschuldverschreibungen – N-Bonds –, die für die Rettungsschirme begeben werden können, ein Instrument unserer diversifizierten Finanzierungsstrategie. Falls eine entsprechende Nachfrage besteht, können sich die Anleger jederzeit über eine Mitgliedsbank unserer Marktgruppe an uns wenden und ihr Interesse an solchen Wertpapieren bekunden. Das ausstehende N-Bonds-Volumen liegt momentan bei 2 Mrd. Euro und hat es uns ermöglicht, für alle fünf Programm-Länder langfristig günstige Refinanzierungskosten zu sichern.
Planen Sie den Einsatz noch weiterer neuer Instrumente in diesem Jahr?
Der neue Geschäftsführende Direktor reist gerade in alle 20 Euro-Länder und bespricht mit den Finanzministern, wie man den ESM noch krisenfester und noch nützlicher machen kann. Was das Ergebnis ist, werden wir dann sehen.
Das Interview führte