TECHNISCHE ANALYSE

Emerging Markets haben weiteres Potenzial

Von Stephen Schneider *) Börsen-Zeitung, 20.9.2017 Der MSCI Emerging Markets (EM), der die Entwicklung der Schwellenländerbörsen darstellt, fand 2016 bei knapp 7 000 Punkten einen Tiefpunkt. Dabei prägte der Index eine umgekehrte...

Emerging Markets haben weiteres Potenzial

Von Stephen Schneider *)Der MSCI Emerging Markets (EM), der die Entwicklung der Schwellenländerbörsen darstellt, fand 2016 bei knapp 7 000 Punkten einen Tiefpunkt. Dabei prägte der Index eine umgekehrte Kopf-Schulter-Formation aus, die für eine Wende des zuvor gültigen Abwärtstrends sorgte. Tatsächlich zog der Index deutlich an, und 2017 verlief die Entwicklung besonders dynamisch. Das Kurspotenzial, das sich aus der genannten Kopf-Schulter-Formation berechnen ließ, wurde mittlerweile aber bereits abgearbeitet. So lag das idealtypische Ziel bei etwa 1 050, aktuell notiert der Index bereits über 1 100 Punkten. Die charttechnische Theorie spricht im Fall dieser Marken allerdings von einem ersten Ziel. Weitere Gewinne sind durchaus möglich. Tatsächlich bilden sich in der Regel an diesen Zielmarken aber zumindest zwischenzeitliche Wendepunkte aus. Im vorliegenden Fall fehlen diese Wendepunkte bislang. Sollten die Kurse nicht zeitnah drehen, kann grundsätzlich ein weiteres Interesse der Bullen unterstellt werden.Um die Frage nach der weiteren Entwicklung beantworten zu können, muss das aktuelle Bild in drei verschiedene zeitliche Komponenten zerlegt werden: die primäre, sekundäre und tertiäre Entwicklung; im täglichen Geschehen würde dies der kurz-, mittel- und langfristigen Tendenz entsprechen. Mit Blick auf den dargestellten Wochenchart wurde die langfristige Trendwende durch die erwähnte Kopf-Schulter-Formation vollzogen. Der Trend ist damit aufwärts gerichtet. Auch die sekundäre Tendenz ist positiv, wie der dargestellte Trendkanal zeigt. Er beschränkt die zyklischen Bewegungen derzeit auf eine Schwankungsbreite von knapp 8 %. Im Vergleich mit der historischen Entwicklung dieses und anderer Indizes erscheint die Bandbreite damit sehr eng. Einem Bruch der unteren Geraden, die aktuell bei etwa 1 075 Punkten liegt, sollte daher nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden. Wichtiger erscheint uns in diesem Zusammenhang die Kursstruktur selbst, die ansteigende zyklische Hoch- und Tiefpunkte zeigt und damit den Aufwärtstrend unter dem Blickwinkel der Dow-Theorie untermauert.Ein kurzzeitiger Rücksetzer ist aber jederzeit möglich, denn der Stochastik-Oszillator rangiert seit geraumer Zeit im überkauften Be-reich. Deutliche Verluste sind in diesem Rahmen aber nicht zu erwarten, denn aktuell fehlt in der Struktur des Indikators die nötige Divergenz, die auf einen signifikanten Rücksetzer um mehr als 10 % hindeutet. Im Vergleich mit der Entwicklung am linken Chart-Rand, der Jahreswende 2010/11, wird der Unterschied klar: Damals fielen die Hochpunkte des Indikators bereits ab, während der Kursverlauf nochmals neue Verlaufshochs ausprägen konnte. Eine solche Konstellation fehlt aktuell und dürfte erst nach der nächsten (Zwischen-)Korrektur erkennbar werden. Die nächste Schwäche im Index kann also als eine Art Warnzeichen für die Bullen interpretiert werden, dem dann nochmals ein kurzer, wahrscheinlich aber vorerst letzter Anstieg folgt.Für diese Sichtweise spricht auch die Tatsache, dass sich die Bären bei der angespannten Stimmung (Stichwort Nordkorea), einem markanten Widerstand und einer überhitzten Konstellation bis-lang nicht durchgesetzt haben. Kurse, die kurzzeitig sanken, wurden sofort für weitere Käufe genutzt. Auch diese Konstellation war in der Vergangenheit oft ein Indiz für eine nochmalige, vorerst aber letzte Aufwärtswelle. Als nächstes Ziel rückt damit der Bereich von 1 210 Punkten in den Fokus. Auch hier wurde ein signifikanter Wendepunkt markiert, der dann für eine Seit- bzw. Abwärtsbewegung über etwa fünf Jahre sorgte. Bevor wir aber von einer Aufwärtswelle ausgehen, warten wir das signifikante Überwinden des aktuellen Widerstands bei 1 105 Zählern ab. Die Konstellation am Ende der Woche wird hier weiteren Aufschluss geben. Vorsicht lassen wir in diesem Fall walten, da der MSCI EM eine eher ungewöhnliche saisonale Entwicklung in der Historie zeigte: Der Index drehte in den letzten Jahren öfters bereits im Herbst. Die bei den weltweit bekannten Indizes “übliche” Jahresend-Rally blieb stattdessen mehrmals aus. China der bisherige MotorBei der Frage, welche Länder den Index besonders beeinflussen könnten, fällt der erste Blick auf China, das mit einem Gewicht von knapp einem Drittel den größten Anteil an der Entwicklung des globalen Index hat. Wenig überrascht daher die Tatsache, dass auch Chinas Börse einen Aufwärtstrend ausgeprägt hat, der aber nicht so steil ausfällt. Die Gesamtkonstellation stellt sich hier auch leicht anders dar, denn der bereits genannte Stochastik-Oszillator hat im Chart des CSI 300 – im Gegensatz zum MSCI EM – eine negative Divergenz ausgeprägt. Unter zyklischen Aspekten besitzt der Index nur noch wenige Wochen Zeit für weitere Kursgewinne. Bei einem idealtypischen Verlauf – von dem wir zurzeit ausgehen – wird der Index nur noch etwa 3 bis 4 % steigen können und spätestens Mitte Oktober Richtung Süden drehen. Ein Rücksetzer von etwa 10 % würde uns dabei nicht überraschen. Zudem kann es sich dann um eine sehr schnelle und damit scharfe Korrektur handeln. Als Fazit lässt sich festhalten, dass bei dem MSCI EM eine zeitnahe Korrektur anstehen dürfte, die sich über mehrere Wochen erstrecken kann. Hinweise, dass die übergeordnete und damit mittel- bis langfristige aufwärts gerichtete Entwicklung gestoppt wird, lassen sich aber nicht finden.—-*) Stephen Schneider ist technischer Analyst bei der DZ Bank.