IM INTERVIEW: MIKE RIDDELL, M & G

Emerging-Markets-Krise erwartet

Fondsmanager rechnet mit weiteren Kapitalabflüssen aus den Schwellenländern

Emerging-Markets-Krise erwartet

Die Ankündigung des US-Notenbankgouverneurs, Ben Bernanke, in absehbarer Zeit die Anleihekäufe zu reduzieren, hat im Frühjahr zu teilweise sehr heftigen Einbrüchen bei den Anleihen und auch den Währungen der Schwellenländer geführt. Daher stellt sich mit Blick auf das Jahr 2014 die Frage, ob die Schwellenländer-Anleihen, bis zum Frühjahr eine der populärsten Asset-Klassen, nun das Gröbste überstanden haben oder noch mehr Ungemach bevorsteht. Die Börsen-Zeitung hat Mike Riddell, Fondsmanager von M&G Investments zu seiner Einschätzung der Schwellenländeranleihen befragt.- Herr Riddell, Emerging-Markets-Anleihen sind im Frühjahr unter erheblichen Druck geraten, nachdem der Fed Chairman, Ben Bernanke, eine Reduzierung der Anleihekäufe der US-Notenbank in Aussicht gestellt hatte. Warum haben die von vielen Beobachtern gelobten fundamentalen Rahmenbedingungen die Asset-Klasse nicht gestützt?Nach unserer Einschätzung wird zu viel über hohes BIP-Wachstum und die günstig erscheinenden demografischen Aussichten etc. der Schwellenländer geredet. Tatsächlich werden diese Anleihen aber vor allem von globalen Portfolio-Kapitalflüssen bewegt, die wiederum von Realzinsen getrieben werden. Hohe Realzinsen in den Schwellenländern haben die Investoren seit dem Jahr 2003 massenhaft angelockt. Vor zehn Jahren war der Dollar sehr teuer, von 2003 bis 2009 war er die Schwächste unter allen großen Währungen. Für US-Investoren war es daher eine sehr gute Idee, in den Emerging Markets zu investieren. Seit dem Jahr 2010 haben dies auch viele europäische Investoren getan. Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise ergab es absolut Sinn, lieber in den Schwellenländern als in die europäischen Peripheriestaaten zu investieren. Die Folge der Zuflüsse waren sehr stark gesunkene Anleiherenditen und sehr stark gestiegene Währungen. Nun aber haben die Kapitalströme gedreht. Seit Ben Bernankes Ankündigung am 23. Mai wurden mehr als 31 Mrd. US-Dollar aus Schwellenländeranleihenfonds abgezogen.- Und wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein? Besteht nun Hoffnung auf eine Bodenbildung?Das glauben wir nicht. Wir befürchten, dass der Einbruch im Frühjahr nur eine erste Phase einer Entwicklung war, die sich wahrscheinlich zu einer neuen Emerging-Markets-Krise ausweiten wird. Der Markt hat bereits auf die Andeutung Bernankes vom Mai sehr dramatisch reagiert. Was wird erst geschehen, wenn die Fed mit der Reduzierung der Anleihekäufe beginnt und später auch noch die erste Leitzinserhöhung verkündet? Wir gehen davon aus, dass es zu weiteren Abflüssen aus den Schwellenländern bzw. zu Rückflüssen in die entwickelten Volkswirtschaften kommen wird. Das ist das Problem. Der brasilianische Real wird unserer Einschätzung nach innerhalb der nächsten Jahre um weitere 20 % abwerten. Dagegen ist der Dollar angesichts der Tatsache, dass die USA mittlerweile ein höheres Wachstum haben als manches Schwellenland, unser Favorit unter den größeren Währungen.- Was löst das in den Schwellenländern aus?Für einige Schwellenländer ist das sehr gefährlich. Denn sie haben in den zurückliegenden Jahren hohe Leistungsbilanzdefizite aufgebaut. Zu den anfälligsten Ländern in dieser Hinsicht – Morgan Stanley nennt sie die “Fragile Five” – zählen Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und die Türkei. Aber es gibt noch weitere Länder mit hohen Defiziten wie zum Beispiel Chile, Kroatien, die Ukraine oder afrikanische Länder wie Nigeria. Selbst wenn sich die Portfolioflüsse lediglich verlangsamen, verursacht dies Probleme. Wenn es aber zu Abflüssen kommt, werden die Probleme gravierend sein. Viele Länder haben derzeit Leistungsbilanzdefizite, die so hoch sind wie vor schweren Krisen der Vergangenheit. So ist das Defizit Indonesiens so hoch wie zuletzt im zweiten Quartal 1997.- Welche weiteren Warnsignale sehen Sie?Klassische Warnsignale neben hohen Leistungsbilanzdefiziten sind stark gestiegene Währungen und eine hohe Verschuldung. Wenn der handelsgewichtete Außenwert einer Währung zwei bis drei Jahre lang stetig steigt, ist das ein Zeichen für eine Blase in der eigenen Volkswirtschaft. Brasilien hatte unter den großen Schwellenländern den stärksten Währungsanstieg und nicht von ungefähr unter dem Einfluss des Ansturms ausländischen Kapitals von einem Währungskrieg gesprochen. Allein die Zuflüsse aus Japan entsprachen 8 % des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts. Der feste Real hat die Wirtschaft des Lands belastet. Auch in anderen Defizitländern hat sich das Wachstum erheblich abgeschwächt. Japan wird in diesem Jahr möglicherweise ein höheres Wachstum aufweisen als Südafrika oder die Türkei.- Welches Land halten sie derzeit für besonders kritisch?Venezuela hat ein gewaltiges Problem. Die Währung ist stark überbewertet. Das Problem ist, dass sie an den Dollar gebunden ist. Das kann aber nicht funktionieren, wenn man eine extrem hohe Inflation hat. Nach den offiziellen Zahlen ist die Jahresteuerung von 20 % zu Beginn des Jahres auf 55 % gestiegen. Die tatsächliche Inflation bewegt sich aber in einer Größenordnung von rund 200 %. Auch wenn Venezuela eine sehr geschlossene Wirtschaft ist, ist das ein Problem. Denn das Land hat eine hohe auf Dollar lautende Außenverschuldung. Wenn Venezuela in eine schwere Krise rutscht, wird es Ansteckungseffekte für die gesamte Asset-Klasse der Emerging-Markets-Anleihen geben. Der Markt beginnt das bereits zu realisieren. Die Renditen einzelner Venezuela-Bonds sind auf 15 % gestiegen, und wir glauben, dass das noch viel schlimmer wird. Eine Krise des Lands wird im Übrigen auf ganz Lateinamerika ausstrahlen, vor allem auf Brasilien und Kolumbien, das ebenfalls ein Leistungsbilanzproblem hat.- Wie sieht die Lage in China aus?Der Renminbi ist seit dem Jahr 2005 um 40 % gestiegen, allerdings nur nominal. Gravierender ist, dass die Löhne durchschnittlich um 10 % p.a. zugelegt haben. Das Land verliert rasant an Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen sind dazu übergegangen, Produktion in andere Länder zu verlagern. Einige verlagern sogar in die USA, weil sie dort billiger produzieren können. China will nach wie vor mit Jahresraten von 8 % wachsen, damit die Bevölkerung zufrieden bleibt. Fundamental gesehen sollte das Wachstum zwischen 4 % und 5 % liegen. Die Führung versucht aber, das hohe Tempo aufrechtzuerhalten, und das geht nur mit einer gigantischen Kreditblase – wobei die Kreditaufnahme von Privatpersonen und Unternehmen stärker ins Gewicht fällt als die öffentliche Verschuldung. Der Anstieg der Gesamtverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts erinnert an die Entwicklung in den USA und Großbritannien vor der großen Finanzkrise. Die entsprechenden Werte sind in den Jahren 2002 bis 2008 um 30 % bzw. 45 % gestiegen. China hat nun eine wesentlich schlimmere Kreditblase. Der Anteil der Gesamtverschuldung ist von 2008 auf 2012 um 50 % gestiegen. Einschließlich des laufenden Jahres dürfte sich der Anstieg auf zwischen 55 % und 60 % belaufen. Damit liegt die Gesamtverschuldung nun ungefähr beim Zweifachen des Bruttoinlandsprodukts.- Was sind die Folgen?Viele glauben, dass die USA und Europa derzeit wie Japan aussehen. Wir glauben, dass es mehr Ähnlichkeiten zwischen China und Japan gibt. Es ist wahrscheinlich unvermeidbar, dass es in China zu einer Bankenkrise kommen wird. Es wurden sehr viele unproduktive Kredite zum Beispiel für unbewohnte Wolkenkratzer und ganze Geisterstädte vergeben. Allerdings hat China keine hohe Abhängigkeit von ausländischen Krediten. Die Regierung kann auf die Ersparnisse der Bevölkerung zugreifen, um das Problem zu lösen. Die Folge wird aber ein deutlich niedrigeres Wachstum sein.- Würde das die Probleme der anderen Staaten verschlimmern?Genau das, wobei die Umstellung des Wirtschaftsmodells auf den Konsum weniger Investitionen bedeutet, was ebenfalls das Wachstum dämpfen wird. In der Tat sind einige Schwellenländer in den zurückliegenden Jahren sehr von der chinesischen Nachfrage abhängig geworden. Dazu zählen Brasilien, Indonesien, Korea, Malaysia und Südafrika. Chile ist hier auch zu erwähnen. Dieses Land bestreitet 50 % seiner Ausfuhren mit Kupfer. Man kann richtig zusehen, wie sich über den Schwellenländern ein perfekter Sturm anbahnt. Für Investoren ist das vor allem vor dem Hintergrund der Marktenge brisant.- Können Sie das näher erläutern?Im Frühjahr hat schon die Andeutung Bernankes über eine Reduktion der Anleihekäufe ausgereicht, um die Geld-Brief-Spanne beispielsweise indonesischer Anleihen auf 2 % auszudehnen. Das zeigt, dass der Ausgang einfach zu klein ist, erst recht für den Fall, dass es zu noch heftigeren Turbulenzen kommen sollte. Viele Schwellenländer haben keine liquiden Märkte. Wer soll auf der anderen Seite als Käufer einspringen, wenn die Investoren in großem Stil aussteigen? Verschärft wird dies noch durch eine ungesunde Investorenkonzentration. Bei einigen Schwellenländern werden 10 % bis 20 % von einem einzelnen Investor gehalten, in einem Fall – Ghana – sogar 70 %. Was machen diese Fondsgesellschaften, wenn sie Anteilsrückgaben haben, aber diese Anleihen nicht verkaufen können?- Rechnen Sie mit einer Krise im Stile der 80er und 90er Jahre?Die Krisen der 80er und der 90er Jahre waren regional. Das gilt für die Lateinamerika-Krise Anfang der 80er Jahre, die Tequila-Krise in Mexiko 1994, die Asienkrise 1997 und die Russlandkrise 1998. Diesmal könnte sich eine Emerging-Markets-Krise weltweit ausbreiten. Wenn zum Beispiel ein Fonds Venezuela nicht verkaufen kann, wird er die Anleihen anderer Länder verkaufen, wenn er Anteilsrückgaben hat.- Wie sind sie derzeit in den Emerging Markets positioniert?In unserem Global Macro Bond Fund liegt der Anteil der Schwellenländer derzeit bei 0 %. 75 % des Vermögens sind in den USA investiert, 20 % in Europa. Einige ökonomische Indikatoren der Schwellenländer sehen so schlimm aus wie vor vergangenen Krisen, einige sogar schlimmer. Außerdem ist der Risikoaufschlag über Treasuries im historischen Vergleich sehr niedrig, das heißt, die Bewertungen enthalten das Krisenpotential nicht.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.