IM INTERVIEW: RICHARD CARLYLE, CAPITAL GROUP

"Emerging Markets weiter interessant"

Investmentdirektor: Trump sorgt zunächst für Unwägbarkeiten - Dollar-Stärke ein Problem

"Emerging Markets weiter interessant"

Der Wahlsieg von Donald Trump hat an den Emerging Markets zu einer Phase unterdurchschnittlicher Entwicklung geführt. Nach Einschätzung von Richard Carlyle, Investmentdirektor für Aktien bei der Capital Group, gehen davon Unwägbarkeiten für Schwellenländeranlagen aus. Die langfristig positiven Aussichten sind seiner Meinung nach jedoch intakt.- Herr Carlyle, die Emerging Markets sind nach einer sehr starken Entwicklung durch den Wahlsieg von Donald Trump wieder unter Druck geraten. Haben sich ihre Aussichten nun grundlegend verändert?Schwellenländeranlagen bleiben aus langfristiger Sicht weiter sehr interessant. Daran ändert auch das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahl nichts. Auf die Schwellenländer entfallen mittlerweile 50 % des weltweiten BIP und sogar 75 % des globalen Wachstums. Ihr Anteil an der globalen Aktienmarktkapitalisierung beschränkt sich dagegen auf 11 %. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Anteil in 20 Jahren nicht deutlich größer sein wird.- Wie schätzen Sie die Bewertungssituation ein?Wir erleben seit vier Jahren eine Phase, in der die Emerging Markets in der Gunst der Marktteilnehmer ganz unten stehen. Die Aktienmärkte haben sich unterdurchschnittlich entwickelt, und die Währungen standen unter Druck. Wir haben eine Phase der Dollar-Stärke, und das ist für die Schwellenländer grundsätzlich ein Problem. Inzwischen hat sich eine riesige Bewertungslücke aufgebaut. Anfang 2016 waren die Aktienmärkte der Schwellenländer, wenn man das Kurs-Cash-flow-Verhältnis zugrundelegt, um 25 % billiger als die Aktienmärkte der entwickelten Volkswirtschaften. Außerdem findet man immer noch sehr attraktive Anleiherenditen. So bieten etwa Indien und Brasilien Renditen von 7 % und 8 %. Lässt man den koreanischen Won außer Acht, liegen die Emerging-Markets-Währungen inflationsbereinigt zum Dollar auf dem niedrigsten Niveau seit zehn Jahren.- Welche Rolle spielt nun der Wahlsieg von Donald Trump?Wir müssen nun prüfen, inwieweit sich die Lage verändert hat. Trump hat sich im Wahlkampf insbesondere auf China und Mexiko eingeschossen. So hat er unter anderem den Bau einer großen Mauer an der mexikanischen Grenze angekündigt und das Ziel formuliert, Arbeitsplätze aus Billiglohnländern in die Vereinigten Staaten zurückzuholen. Unserer Meinung nach ist der “Bull Case” für die Emerging Markets durch Trump jedoch nicht zerstört. Aber es gibt mit der Politik des neuen Präsidenten nun erst einmal gewisse Unwägbarkeiten.- Was wird, oder kann, Trump machen?Einige Dinge, die er gesagt hat, werden sich in der Realität nicht so ohne weiteres durchsetzen lassen. So hat er den Wunsch geäußert, dass Apple seine iPhones zukünftig in den USA produziert. Es wäre sehr schwierig, die Produktionsinfrastruktur, so wie sie im chinesischen Shenzhen besteht, in den Vereinigten Staaten zu replizieren. Außerdem würden Wettbewerber wie Samsung und HTC nach wie vor in Asien und damit wesentlich billiger produzieren, als dies in den USA möglich ist. Viele amerikanische Unternehmen haben jahrelang internationale Lieferketten aufgebaut. Das zu verändern, ist sehr schwierig.- Was sagen Sie zu dem Chaos, das in Indien durch das Verbot entstanden ist, 500- und 1 000-Rupien-Scheine zu verwenden?Hier lohnt sich ein Blick auf China. Das Land ist in den zurückliegenden vier Jahren sehr erfolgreich gegen die Korruption und die Schattenwirtschaft vorgegangen. Das ist langfristig sehr gut für die chinesische Wirtschaft, weil sie dadurch effizienter wird. Indien hat mit Narendra Modi einen starken Regierungschef. Der Ölpreisverfall hat ihm sehr geholfen, weil dadurch die Energiesubventionen deutlich reduziert werden konnten. Wenn es nun gelingt, mit der Bargeldbeschränkung die Schattenwirtschaft in die Schranken zu weisen, kann das Steueraufkommen erheblich erhöht werden. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten, die Infrastruktur auszubauen. Indien hat hier sehr große Defizite. So hat beispielsweise die Metropolregion Mumbai 35 Millionen Einwohner, aber eine Infrastruktur, die nur für 10 Millionen Menschen reicht. Problematisch ist unter anderem die unzureichende Stromversorgung. Ausfälle stoppen regelmäßig die Zementproduktion, was den Baustoff teuer macht.- Wie fällt Ihr Vergleich Indiens mit China aus?Indien wächst schneller als China und hat ein viel höheres Potenzial. Das Land verfügt über eine gut ausgebildete Bevölkerung und unternehmerisch denkende Arbeitnehmer, die sehr leistungswillig sind, weil sie ihren Lebensstandard erhöhen wollen. Indien hat beispielsweise sehr erfolgreiche Generikaunternehmen wie Sun Pharma. Es gibt etliche Gebiete wie zum Beispiel den Software- und Outsourcing-Sektor, auf denen Indien sehr erfolgreich ist. Zu den bekannten Namen zählt etwa der IT-Dienstleister Infosys. Sehr interessante langfristige Perspektiven hat zudem auch der große Markt für Finanzprodukte.- Seitdem die Emerging Markets im Jahr 2013 unter Druck geraten sind, betonen Strategen die Notwendigkeit, in dieser Assetklasse verstärkt von Land zu Land zu differenzieren. Teilen Sie diese Ansicht?Auch wir sind dieser Meinung. Wir haben dazu einen Kommentar mit der Überschrift: “The good, the bad and the ugly” geschrieben. Zur ersten Gruppe zählt Indien, zur zweiten und dritten Gruppe Russland und Brasilien. Brasilien hat lange von der starken Rohstoffnachfrage Chinas profitiert, darunter von der Eisenerzausfuhr. Dann bekam das Land große Probleme. Jetzt wird es aber wieder interessant. Brasilien hat eine große Volkswirtschaft und eine neue, reformwilligere Regierung. Argentinien bietet ein gutes Beispiel. Unter der neuen Regierung ist dem Land die Rückkehr an den Kapitalmarkt gelungen. Seine neuen Dollar-Anleihen haben eine sehr gute Performance erzielt. In Lateinamerika bevorzugen wir Anleihen, weil die Renditen hoch sind. Unsere Multi-Asset-Strategie im Bereich der Schwellenländer – Capital Group Emerging Markets Total Opportunities (ETOP) – setzt im Aktienbereich auf Asien und im Anleihebereich auf Lateinamerika.- Ist der stark gedrückte brasilianische Real nun eine attraktive Währung?Unserer Einschätzung nach findet in der Währung derzeit eine Bodenbildung statt. Die Währung ist aber sehr volatil und schwer prognostizierbar. Daher sichern wir unser Währungsrisiko regelmäßig ab.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.