Erdogan nähert sich dem ökonomischen Mainstream
Kreditwürdig
Erdogan nähert sich dem ökonomischen Mainstream
Von Janis Hübner*)
Die Finanzmärkte hatten vor den Wahlen in der Türkei auf einen Sieg der Opposition gehofft, da eine Fortsetzung der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre das Land näher an den Rand einer Finanzkrise geführt hätte. Doch Erdogan hat die Präsidentschaftswahl erneut für sich entschieden und obendrein die Mehrheit im Parlament verteidigt. Schon vor der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahl hatten aber Meldungen die Runde gemacht, Erdogan könne den angesehenen Wirtschaftsfachmann Mehmet Simsek zurück in die Regierung holen und damit eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik einleiten. Daher sanken die Risikoaufschläge türkischer Hartwährungsanleihen schon vor der Stichwahl.
Nach dem Wahlerfolg folgte neben der Ernennung von Simsek zum Finanzminister mit dem Wechsel an der Zentralbankspitze die zweite wichtige Personalentscheidung. Auf Sahap Kavcioglu, der eine Niedrigzinspolitik im Sinne des Präsidenten betrieben hatte, folgte Hafize Gaye Erkan, die zuvor für internationale Banken im Ausland gearbeitet hatte und als politisch unabhängig eingestuft wurde. Auch hier war das Signal klar: Erdogan gibt grünes Licht für höhere Zinsen. Gleichzeitig wurden die Interventionen am Devisenmarkt zurückgeschraubt, um die Währungsreserven zu schonen. Die Lira verlor innerhalb weniger Wochen mehr als 20% gegenüber dem Dollar. Die Abwertung näherte zwar die Lira einem fundamental gerechtfertigten Kurs an, sie befeuerte aber auch die Inflation, die auf über 58% im August stieg.
Unter Erkan agierte die Zentralbank zunächst vorsichtig und hob die Leitzinsen weniger stark an, als die meisten Beobachter dies erwartet hatten. Es verstärkte sich der Eindruck einer Notenbank, die zwar weiß, was eigentlich zu tun wäre, doch dies aus Rücksicht auf den Präsidenten nicht umsetzen kann. Dieses Bild änderte sich mit dem Zinsentscheid im August, bei dem der Leitzins überraschend deutlich um 750 Basispunkte auf 25% angehoben worden ist. Kurz darauf hat Erdogan erstmals öffentlich eingestanden, dass eine straffe Geldpolitik nötig ist, um den Inflationsdruck zu senken.
Risikoaufschläge gesunken
Die Risikoaufschläge türkischer Hartwährungsanleihen sind in der Folge nochmals gesunken und bewegen sich (gemessen am J.P. Morgan EMBIG für USD-Anleihen) bei rund 400 Basispunkten. Auf dem Hochpunkt der Unsicherheit nach dem ersten Wahlgang hatten die Spreads bei 630 Basispunkten gelegen. Das aktuelle Spreadniveau spiegelt damit vor allem die Erwartung wider, dass Simsek und Erkan über einen längeren Zeitraum ihre Politik verfolgen können, um damit die türkische Wirtschaft wieder in ruhigere Gewässer steuern zu können.
Was die aktuellen Risikoaufschläge eher weniger widerspiegeln, sind die enormen Herausforderungen, vor denen die Türkei steht. Die Inflationsrate wird nach Einschätzung der Regierung bis Ende des Jahres auf 65% steigen und auch über weite Strecken des ersten Halbjahrs 2024 auf ähnlichem Niveau liegen. Erst Ende 2026 wird sie nach der Regierungsprognose wieder im einstelligen Bereich liegen. Bei solch hohen Raten die Inflationserwartungen unter Kontrolle zu bekommen, dürfte angesichts der leidvollen Erfahrungen der türkischen Haushalte und Unternehmen ganz sicher nicht einfach werden.
Deutlich erschwert wird die Aufgabe durch die Einschränkung, die Erdogan machte, als er hohe Zinsen zur Notwendigkeit erklärte: Eine straffe Geldpolitik dürfe kein Wirtschaftswachstum kosten. Entsprechend prognostiziert die Regierung für 2024 ein Wirtschaftswachstum von 4% und bis 2026 einen Anstieg auf 5%. Hier zeigt sich, dass sich Erdogan weiterhin schwertut, ökonomische Zusammenhänge zu akzeptieren. Denn hohe Zinsen sollen nicht nur Inflationserwartungen stabilisieren, sondern vor allem die Nachfrage nach Krediten und in der Folge nach Gütern dämpfen. Dürfen die Zinsen nicht so weit steigen, dass dies gelingt, ist die Gefahr hoch, dass auch das Inflationsziel verfehlt wird. Ohne eine Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wird auch die zweite große makroökonomische Problemstelle bestehen bleiben: das hohe Leistungsbilanzdefizit. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres belief sich dieses auf über 42 Mrd. Dollar und so noch einmal 10 Mrd. Dollar höher als im Vorjahreszeitraum. Die Finanzierung eines solchen Defizits bleibt eine große Herausforderung. Zwar stehen aus dem arabischen Raum Investitionen in Aussicht, doch kann damit nur Zeit gekauft werden, und die Fixierung auf hohes Wirtschaftswachstum macht es unwahrscheinlich, dass diese Zeit gut genutzt wird.
So dürfte die türkische Lira unter Abwertungsdruck bleiben. Ob es gelingt, die Zinsen so weit anzuheben, dass Türken wieder in größerer Zahl bereit sind, ihre Ersparnisse in Lira zu halten, bleibt offen. Daran wird sich entscheiden, ob die währungsgesicherten Lira-Konten wie von der Zentralbank angestrebt zurückgefahren werden können. Ende August lagen diese noch bei umgerechnet 126 Mrd. Dollar und stellen damit weiterhin ein hohes finanzielles Risiko für die Sicherungsgeber, nämlich die Zentralbank und das Finanzministerium, dar. Zu all diesen Schwierigkeiten kommt die Unkalkulierbarkeit Erdogans. 2021 hatte er den damaligen Zentralbankgouverneur Naci Agbal entlassen, weil es dieser mit seinem Zinsanhebungskurs nach Ansicht Erdogans übertrieben hatte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Spannungen zwischen Präsident und Zentralbank steigen, wenn eine straffe Geldpolitik zu einer deutlichen Verlangsamung der Konjunktur führen sollte. Vor die Wahl gestellt dürfte sich Erdogan eher für hohes Wirtschaftswachstum als für Preisstabilität entscheiden, denn diese Präferenz ist die einzige wirkliche Konstante seiner langen Amtszeit.
Die Ratingagenturen bleiben angesichts der großen wirtschaftlichen Herausforderungen vorsichtig. Immerhin hat Fitch den Ausblick von negativ auf stabil verbessert, ein Schritt, den wir in den kommenden Monaten auch von S&P erwarten. Alle drei großen Agenturen vergeben Ratings im Single-B-Bereich und weisen auf das reale Risiko einer krisenhaften Zuspitzung hin. Dass sich diese Unsicherheit in der Bewertung türkischer Hartwährungsanleihen eher ungenügend widerspiegelt, dürfte zu einem guten Teil darauf zurückzuführen sein, dass insbesondere Auslandsinvestoren von der wirtschaftspolitischen Kehrtwende Erdogans doch überrascht wurden und Untergewichtungen abgebaut haben. Eine Rückkehr der Ausländer an den Markt für Lira-Anleihen ist weiterhin nicht zu erkennen. Der Weg zu makroökonomischer Stabilität ist auch aus Sicht der Kapitalmärkte noch weit.
*) Janis Hübner arbeitet im Makro Research der DekaBank.