Erste Zuflucht für unsichere Investoren
Sichere Anlagen sind in den vergangenen Monaten rar geworden. US-Staatsanleihen zählen daher zu den wenigen Investments, denen die Marktteilnehmer noch fast blind vertrauen – der hohen US-Staatsverschuldung zum Trotz. Ein Grund ist, dass sich für die Papiere selbst bei Markttumulten immer noch Käufer finden. Am Mittwoch haben die zehnjährigen Treasuries im asiatischen Handel bei unter 1,38 % ein Rekordtief markiert. Da stellt sich die Frage, ob eine Investition in Treasuries sich noch lohnen kann.Von Sebastian Schmid, New York”Die rekordniedrigen Treasury-Renditen reflektieren lediglich die eskalierenden Probleme in Europa”, ist Anthony Valeri, Anleihestratege bei LPL Financial, überzeugt. Mit dieser Ansicht steht er im Markt nicht alleine da. Kaum ein Investor oder Analyst führt den Absturz der Renditen bei zehnjährigen US-Bonds auf die Robustheit der US-Wirtschaft zurück. Bill Gross, Co-CEO der Pacific Investment Management Company, geht in seinen jüngsten Einschätzungen davon aus, dass das Wachstum beim US-Bruttoinlandsprodukt sich der Nulllinie annähert. Mittelfristig fürchtet er eine Rezession. Die US-Notenbank werde schon bald um weitere geldpolitische Lockerungsmaßnahmen nicht herumkommen. Von dieser Seite dürften die Niedrigrenditen daher weitere Unterstützung finden. Bei Barclays rechnen die Analysten damit, dass die Zehn-Jahres-Renditen sogar bis auf 1,25 % fallen könnten. In einem Jahr sehen die Experten der britischen Bank die Renditen allerdings wieder bei 1,5 % und damit leicht über dem heutigen Niveau. Euroraum entscheidendEntscheidend für die weitere Entwicklung der US-Staatsanleihen wird der Fortgang der Schuldenkrise im Euroraum sein. Solange diese nicht weniger bedrohlich erscheint, bleiben die US-Staatsanleihen als erste Zuflucht attraktiv – obwohl sich die zerstrittenen US-Parteien 2012 sicher nicht mehr auf einen Plan zur Haushaltskonsolidierung einigen und zudem die US-Konjunktur derzeit deutlich abflaut. Valeri rechnet damit, dass zehnjährige Treasuries mittelfristig Renditen zwischen 1,40 % und 1,70 % bieten werden. Nennenswerte Kursgewinne für Anleger, die in diesen Tagen zuschlagen, hält Valeri – anders als Barclays – für wenig realistisch.Ein stützender Faktor für die US-Wirtschaft scheint derzeit der Häusermarkt zu sein. Im Mai ist die Zahl der Verkäufe neuer Häuser auf den höchsten Stand seit April 2010 geklettert, allerdings begünstigt durch Hypothekenzinsen auf rekordniedrigem Niveau. Dennoch sind manche Marktbeobachter der Überzeugung, die Erholung am Immobilienmarkt weise auf eine robustere US-Konjunktur hin als gemeinhin angenommen. “Die Renditen von US-Staatsanleihen sind wesentlich niedriger, als die wirtschaftliche Situation der USA suggeriert”, sagt etwa Hiroki Shimazu, Ökonom bei SMBC Nikko Securities, laut Nachrichtenagentur Bloomberg. Er rechnet damit, dass zehn Jahre laufende US-Bonds bis Jahresende wieder 2,5 % bringen werden. Der Kurs der Papiere würde demnach deutlich abrutschen.Allerdings zeigt der Trend derzeit noch immer in eine andere Richtung. Wer Anfang 2011 in Staatsanleihen eines Landes mit Top-Bonität wie Deutschland, Großbritannien oder eben die USA investiert hat, konnte dank kräftig gesunkener Renditen (siehe Grafik) enorme Kursgewinne einfahren. Diese positive Erfahrung der jüngeren Vergangenheit könnte die Investoren – wie zuvor bei zahllosen anderen Anlageprodukten – erneut blind machen für das steigende Rückschlagpotenzial. Derzeit nimmt die Zahl derjenigen, die auf weitere Kursanstiege bei US-Treasuries hoffen, jedenfalls wieder zu. Einer Umfrage von J.P. Morgan Chase zufolge wetten derzeit 26 % der Investoren auf steigende Kurse der Treasuries. Im Vormonat hatten nur 19 % einen weiteren Anstieg erwartet. Der Anteil der Pessimisten, die wie etwa Shimazu auf fallende Kurse setzen, blieb mit 13 % dagegen unverändert.