Im InterviewMartin Lück

"Es ist klar, dass die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen"

Die Welt ist durch geopolitische Krisen gekennzeichnet, Europa nähert sich der Rezession. Gleichwohl hat der Dax kürzlich noch Rekorde erzielt. Martin Lück, Chief Investment Strategist für Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa von BlackRock , erläutert, wie dies zusammen passt und wie sich die Märkte weiter entwickeln werden.

"Es ist klar, dass die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen"

Im Interview: Martin Lück

"Die Bäume wachsen nicht mehr in den Himmel"

BlackRock-Chefstratege für Deutschland sieht nur noch begrenzte Chancen für die Aktienmärkte - Erhöhte Bewertungen an Wall Street

ku Frankfurt

In der Welt gibt es zahlreiche geopolitische Krisen, Europa nähert sich der Rezession. Gleichwohl hat der Dax kürzlich noch Rekorde erzielt. Martin Lück, Chief Investment Strategist für Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa von BlackRock , erläutert, wie dies zusammen passt und wie sich die Märkte weiter entwickeln werden.

Herr Lück, das Marktumfeld ist derzeit durch Rezessionssorgen, Inflation und geopolitische Konflikte geprägt und damit als durchaus schwierig zu bezeichnen. Was bedeutet das für die Märkte?

Nun, wenn wir einen Blick auf die Volatilität an den Märkten werfen, so ist diese erstaunlich niedrig. An den Märkten wird derzeit davon ausgegangen, dass das Gros der Leitzinsanhebungen durch die Notenbanken bereits eingepreist ist. Es gibt zudem den Konsens, dass das Wirtschaftswachstum verhalten ausfallen wird. Wenn wir uns die Gewinnerwartungen ansehen, so wird von einer Delle im zweiten Halbjahr ausgegangen. Richtung 2024 gibt es dann aber wieder mehr Zuversicht. Man könnte also von einer abwartenden Haltung der Märkte sprechen. Die geopolitischen Spannungen werden hier in Europa übrigens stärker wahrgenommen als in den USA, weil der Ukraine-Krieg quasi vor unserer Haustür stattfindet. In den USA ist der Krieg weit entfernt, weshalb er momentan eine eher nachgelagerte Rolle spielt.

Wie wird in diesem Umfeld die Geldpolitik der großen Notenbanken in nächster Zeit aussehen?

Die amerikanischen Notenbank Federal Reserve hat mit ihren Zinserhöhungen früher angefangen als die Europäische Zentralbank und sie hat die Zinsen auch stärker angehoben. Damit kommt sie eher am Höhepunkt des Zinsanhebungszyklus an. Die Zinssitzung der Fed im Juni würde ich aber noch nicht als das Ende der Zinserhöhungen ansehen wollen. Gemäß ihrer eigenen Einschätzung ist die Fed mit den Zinsschritten noch nicht durch. Es ist aber letztlich nicht entscheidend, ob noch ein oder zwei Zinsschritte kommen. Der Markt geht davon aus, dass wir uns nahe dem Ende der Erhöhungen befinden.

Wie sieht es bei der EZB aus?

Frau Lagarde hat betont, dass die Reise der EZB noch nicht zu Ende ist. Es ist bereits im Markt eingepreist, dass es nicht nur im Juni einen Zinsschritt geben wird, sondern zumindest noch einen weiteren im Juli. Aber auch hier stellt sich dann die Frage, ob nicht noch weitere Anhebungen erforderlich sind, weil die Geldentwertung nachlässt. Die Inflation wird aber in erster Linie aufgrund der Basiseffekte schwächer. Das ist nicht nur für die Marktteilnehmer etwas verwirrend, es erleichtert auch der EZB die Kommunikation nicht unbedingt.

Wieso?

Wir haben jetzt bereits in den USA und bald auch in der Eurozone ein seltenes Phänomen, dass nämlich die Gesamtinflationsrate unter die Kerninflationsrate fällt. Das liegt daran, dass die Basiseffekte bei den volatilen Komponenten Energie- und Lebensmittelpreise besonders ausgeprägt sind. Rechnet man also diese Bereiche heraus, so erscheinen die Inflationsraten geglättet. Wenn nun die Gesamtinflationsraten fallen, werden in der Öffentlichkeit die Rufe lauter, mit den Zinsanhebungen aufzuhören. Die Kerninflationsrate wird aber angetrieben beispielsweise auch durch die Lohnentwicklung in den Dienstleistungssektoren. Die Notenbank muss dann darauf hinweisen, dass die volatilen Komponenten den Ausweis der Inflation verzerren und dass sie aufgrund der Lohnentwicklung in den Dienstleistungsbereichen gezwungen ist, die Geldpolitik straffer zu halten. Das ist eine durchaus schwierige Kommunikation für die Notenbanken, insbesondere wenn die Inflationsraten über den Sommer und in den Herbst hinein noch stärker fallen sollten. Dann wird es auch schwieriger, den Markt davon zu überzeugen, dass es notwendig ist, weiter auf die Zinsbremse zu treten.

Wie beurteilen Sie die Aussichten für die Aktienmärkte? Ist die Rekordfahrt des Dax nachhaltig?

Viele Investoren gehen derzeit davon aus, dass der starke Gegenwind der Zinsanhebungen allmählich nachlässt. Es geht hier um den Zins-Diskontfaktor: Steigt dieser, geraten die Gegenwartswerte, hier also die Bewertungen, unter Druck. Der zweite wichtige Antriebsfaktor sind natürlich die Unternehmensgewinne. Die Gewinnerwartungen für den Dax und andere Indizes liegen nicht so weit über dem langfristigen Durchschnitt, dass eine dramatische Rückschlaggefahr drohen würde. Für einen deutlichen Rückschlag beim Dax müssten wir eine ausgeprägte Korrektur der Gewinnerwartungen sehen. Das würde wiederum eine starke konjunkturelle Eintrübung voraussetzen. Mit Blick auf die aktuellen Erwartungen eines Wirtschaftswachstums leicht unter oder minimal über Null könnte es noch einmal eine gewisse Reduzierung der Gewinnprognosen geben, die aber nicht so stark ausfallen dürfte, dass mit einem starken Einbruch des Dax zu rechnen wäre. Allerdings ist gleichermaßen klar, dass die Bäume ausgehend vom aktuellen Niveau nicht mehr in den Himmel wachsen. Sollte der Dax weiter kräftig zulegen, kämen die Bewertungen in einen Bereich hinein, der sich deutlich von den langfristigen und als fair zu bezeichnenden Niveaus eines KGVs von 12,5 bis 13 entfernen würde. Der Blick auf den amerikanischen Aktienmarkt zeigt wiederum, dass sich der S&P500 mit einem KGV von 19 schon relativ deutlich oberhalb des langfristigen Durchschnitts bewegt. Für den US-Markt können wir daher noch weniger an Zuwächsen erwarten.

Welche Regionen sind derzeit für die Aktienanlage besonders interessant?

Wir glauben, dass die Schwellenländer ein größeres Kurspotenzial aufweisen als die entwickelten Märkte. Das liegt unter anderem daran, dass die Schwellenländer früher als die entwickelten Länder damit begonnen haben, die Zinsen anzuheben. Sie sind also im Zinszyklus weiter. Damit bestehen Chancen, dass auf Sicht die Zinsen wieder etwas gesenkt werden können, was das Wirtschaftswachstum und die Unternehmensgewinne anschieben würde. Außerdem haben wir in den Emerging Markets teilweise deutlich günstigere Bewertungen. Die Schwellenländer profitieren in der Summe auch stärker von der Wiedereröffnung Chinas nach der Pandemie.

Welche Branchen bevorzugen sie derzeit in der Aktienanlage?

In der taktischen Allokation bevorzugen wir derzeit diejenigen Bereiche, die Volatilität besser aushalten wie beispielsweise Nahrungsmittel, die Gesundheitsversorgung oder auch der Energiesektor, der durch die hohen bezahlten Preise bessere Gewinnperspektiven hat. Allerdings kommt gerade im Energiebereich dem Übergang hin zu einer kohlenstoffärmeren Welt eine besondere Bedeutung zu. Das bedeutet, dass viele Unternehmen sich Gedanken machen, wie sie den Übergang in die nachhaltige Energieerzeugung umsetzen und was dies für ihr Geschäftsmodell bedeutet. Es kommt aber auch stark darauf an, welche Region man betrachtet. So hat beispielsweise der europäische Finanzsektor derzeit ein geringeres Risiko in Probleme hineinzulaufen als die amerikanischen Regionalbanken, weil die Regulierung in Europa stringenter ist und weil die Banken in Europa von einer auskömmlicheren Zinsmarge profitieren. Wenn man aber grundsätzlich Aktien ausfiltert nach den drei wichtigsten Kriterien Region, Branche und Faktoren ist Letzteres derzeit wahrscheinlich der wichtigere Punkt. Wir sind der Meinung, dass man hier einen klaren Fokus legen sollte auf Qualitätsaktien, also auf Unternehmen, die in der Lage sind, hohe Produzentenpreise und Energiekosten sowie höhere Löhne an ihre Kunden weiterzugeben. Diese Unternehmen sollten auch die stabilsten Gewinnmargen aufweisen und sich im Marktumfeld gut behaupten.

Wie werden sich die Zinsen an den Anleihenmärkten entwickeln?

Die Zinsen sind besonders am kurzen Ende stark stiegen, wo die Erwartungen mit Blick auf die Notenbanken eingepreist werden. Dadurch haben sich auch inverse Zinsstrukturkurven ergeben. Wir werden nun eine gewisse Normalisierung sehen. Die kürzeren Laufzeiten werden von der Rendite her wieder etwas herunterkommen, es werden also die sich abzeichnenden ersten Zinssenkungen vorweggenommen. Viel wichtiger ist aber, dass am langen Ende die Möglichkeit besteht, dass die Zinsen weiter steigen.

Warum ist das so?

Es könnte sich die Überzeugung durchsetzen, dass sich die Inflation, nachdem sie durch den Post-Covid-Neustart und die Energiekrise aus ihrem Tiefschlaf erweckt wurde, hartnäckiger hält als viele Marktteilnehmer gedacht haben. Dabei kommen dann auch die strukturellen Faktoren zum Tragen, die immer wieder genannt werden: Deglobalisierung, Dekarbonisierung, Demographie. Das sind Knappheitsphänomene, die dafür sorgen, dass die Inflation hoch bleibt. Auch andere Bereiche wie Digitalisierung oder Immigration erfordern höhere Investitionen der öffentlichen Hand. Sobald sich das in den Inflationserwartungen der Marktteilnehmer abbildet, müssten die langfristigen Zinsen steigen. Aufgrund dieser Effekte wird es also zu einer Normalisierung der Zinskurve kommen.

Wo sehen Sie auf Basis dieser Effekte besondere Chancen an den Anleihenmärkten?

Solange sich, wie wir vermuten, noch keine realistischen Annahmen der Marktteilnehmer über die Inflationsentwicklung in der langen Frist ab fünf Jahren gebildet haben, bieten sich Chancen in inflationsgeschützten Anleihen. Außerdem ist es wahrscheinlich besser, auf das kurze Ende der Zinskurve zu setzen, weil dort der größte Teil des Zinsanstiegs bereits eingepreist ist. Anders ausgedrückt, hier bestehen die größten Chancen, dass die Zinsen wieder etwas heruntergehen. In der langen Frist sind wir weiterhin sehr vorsichtig, außer wenn die Notenbanken signalisieren würden, dass es eine hohe Quote der Reinvestition in fällig werdende Anleihen, die aus den Kaufprogrammen herausfallen, geben wird. Allerdings hat die EZB angekündigt, die Reinvestitionen im Sommer auslaufen zu lassen.

Wie beurteilen Sie Investments in Anleihen aus den Emerging Markets?

Dort sehen wir Chancen, wenn die Zinsen dort wieder fallen. Für die Entscheidung, ob Lokalwährungsanleihen oder Hartwährungsanleihen zu bevorzugen sind, ist dann die Entwicklung der Devisenkurs zu beachten. Denn wenn die Zinsen in den Schwellenländern sinken, in den Industrieländern aber hoch bleiben, könnte das zum Nachteil der Währungen der Emerging Markets werden.

Wie wird sich der Devisenmarkt entwickeln? Rechnen sie mit größeren Verschiebungen der Devisenkurse?

Wir glauben, dass sich hier Zinsdifferenzen auswirken werden. Wir würden beispielsweise den Yen im Aufwind sehen, sofern die Bank of Japan von ihrer bisherigen Geldpolitik abrückt, was aber noch nicht erkennbar ist. Bei den großen Reservewährungen werden wir wenig Verschiebungen sehen, auch wenn immer darüber sehr viel spekuliert wird. Ich sehe beispielsweise nicht, dass der Yuan zu einer großen Reservewährung wird, dazu müsste China ja auch erst einmal die freie Handelbarkeit seiner Währung zulassen. Das Währungspaar Euro/Dollar hat sich ja wieder der Parität angenähert, größere Verschiebungen würde ich in den nächsten sechs Monaten nicht erwarten.

Womit rechnen Sie beim Goldpreis?

Gold wird als Asset gesucht, wenn Volatilität und Inflation befürchtet werden. Gegen die Goldanlage sprechen stets ein starker Dollar und ein Anstieg der Zinsen. Aktuell herrscht an allen diesen Fronten eine gewisse Ruhe. Daher ist das Bedürfnis, sich über Gold Sicherheit zu verschaffen, tendenziell kleiner geworden. Auf der anderen Seite hat aber auch der Gegenwind für den Goldpreis nachgelassen, da der Dollar nicht noch stärker geworden ist und da die USA die Zinsen nicht mehr in größerem Ausmaß anheben als Europa. Insofern spricht viel für eine Seitwärtsentwicklung des Goldpreises.

Wie beurteilen Sie aktuell Immobilieninvestments, die ja momentan nicht zu den beliebtesten Anlagen zählen?

Immobilien sind zwar im Moment nicht die gefragteste aller Anlageklassen. Aktuell geraten einige Projekte unter Wasser, weil sie nicht mehr rentabel und nicht mehr finanzierbar sind. Gemäß den Indizes sind die Immobilienpreise in Deutschland so stark gefallen wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber, wie immer in diesen Phasen, war der Abwärtstrend sehr selektiv. Es kommt nämlich extrem auf den Faktor Lage an. In guten Lagen steigen die Preise schneller und sie fallen langsamer. In den absoluten Spitzenlagen in Frankfurt sind die Preise bisher kaum gesunken. Längerfristig werden Immobilien eine attraktive und stark nachgefragte Anlageklasse bleiben. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass die Realzinsen im Vergleich zu früheren Zyklen relativ niedrig bleiben werden, angesichts der vermutlich langfristig höheren Inflation. So etwas spricht einfach für reale Anlagen in Immobilien, aber auch Infrastruktur und Private Equity. Die Immobilienpreise werden auch deshalb wieder steigen, weil es Knappheit gibt. Wenn, wie jetzt, Angebot herausgenommen wird, werden die Preise wieder steigen. Immobilien sind also eine Asset-Klasse, bei der man langen Atem benötigt. Sie sollten aber in keinem Portfolio fehlen.

Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.