IM INTERVIEW: KARL-HEINZ BRENDGEN UND ALEXANDER MOZER, ÖKOWORLD

"ESG und Ertrag kein Widerspruch"

Leiter des Nachhaltigkeitsresearchs: In den Schwellenländern findet ein echter Sinneswandel statt

"ESG und Ertrag kein Widerspruch"

ESG-Investing, das Anlegen nach ökologischen und anderen ethischen Kriterien, ist auf dem Vormarsch. Ökoworld zählt zu den Spezialisten auf diesem Gebiet und hat unter anderem einen in den Emerging Markets anlegenden Fonds im Angebot. Die Börsen-Zeitung hat Karl-Heinz Brendgen, Head of Sustainability Research, und Alexander Mozer, Leiter des Portfoliomanagements von Ökoworld, zu ESG-Investments in den Schwellenländern befragt.- Herr Brendgen, mit Schwellenländern assoziiert man gemeinhin eher grässliche Bilder von Luftverschmutzung und vergifteten Gewässern anstatt ökologisch konforme Investmentchancen. Kann man in den Emerging Markets überhaupt ökologisch anlegen?An Stelle eines Widerspruchs sehe ich in den Schwellenländern eher eine Parallelität zur Lage in Deutschland Mitte der siebziger Jahre. Damals erging eine Gesetzgebung zur Luft- und Wasserreinhaltung. Das war natürlich sehr positiv für Unternehmen, die entsprechende Technologien anbieten konnten. Ähnliches geschieht nun in China. Auch dort kann nun in Unternehmen investiert werden, die in den Bereichen Abgasreduzierung, Müllentsorgung, Wasserreinhaltung aktiv sind beziehungsweise Umwelttechnologie anbieten.- Gibt es in den Emerging Markets ein Umdenken?Brendgen: In den Schwellenländern findet ein echter Sinneswandel statt. Der Problemdruck ist einfach zu stark geworden.- Manche bezweifeln, dass ESG-Kriterien (Environment Social Governance) und eine gute Gewinn- und Renditeentwicklung Hand in Hand gehen können, sondern sehen ESG-konformes Verhalten als Hindernis für Profitabilität und Anlageerträge an. Was antworten Sie den Zweiflern?Mozer: Es gibt viele Beispiele dafür, dass ökologisch konformes Wirtschaften sehr wohl gut für die Ergebnisentwicklung sein kann. Wir sind beispielsweise in KCE Electronics investiert. Das ist ein thailändischer Hersteller von Leiterplatten, der mit einem geschlossenen Wasserkreislauf arbeitet, während die chinesischen Wettbewerber ihre Abwässer in die Flüsse leiten. Unternehmen aus den Industrieländern zahlen KCE einen Aufpreis, um Leiterplatten aus umweltverträglicher Produktion zu erhalten, und erteilen den chinesischen Konkurrenten keine Aufträge mehr. ESG und Anlageertrag sind kein Widerspruch. Dies zeigt auch die Wertentwicklung unseres im September 2012 aufgelegten Fonds Ökoworld Growing Markets 2.0. Die Outperformance gegenüber dem konventionellen Index MSCI Emerging Markets beträgt seit Auflage mehr als 35 %.- Hätten die Umweltsünden der Industrieländer samt Folgen als abschreckendes Beispiel nicht viel früher zu einem Umdenken in den Schwellenländern führen müssen?Brendgen: Die Schwellenländer ziehen durchaus Lehren aus den Erfahrungen der Industrieländer. Es gibt Fehler, die sie nicht wiederholen. So wird in den Emerging Markets vielfach nach dem Front-of-Pipe-Verfahren gearbeitet anstatt nach dem End-of-Pipe-Verfahren. Bei Letzterem kümmert man sich vereinfacht ausgedrückt erst um Abwässer und Abgase, wenn sie bereits an die Umwelt gelangt sind. Das Front-of-Pipe-Verfahren zielt darauf ab, den Produktionsprozess so zu gestalten, dass Abgase und Abwässer erst gar nicht entstehen.- Wie funktioniert Ihr Investmentansatz?Brendgen: Unsere Kollegen aus dem Fondsmanagement, die kontinuierlich nach neuen Anlageideen Ausschau halten, legen uns im Nachhaltigkeitsresearch Unternehmen vor, die zumindest einen für sie ersichtlichen Bezug zur Nachhaltigkeit haben und nicht offensichtlich gegen unsere Grundsätze oder Ausschlusskriterien verstoßen, zur Prüfung vor. Die tiefe Nachhaltigkeitsprüfung machen sie aber nicht.Mozer: Was wir machen, ist ein kontinuierliches Screening. Wir suchen nach Anhaltspunkten, ob die Unternehmen passen, und legen Brendgen Firmen zur Prüfung vor, die unter finanzwirtschaftlichen beziehungsweise Renditegesichtspunkten ein sinnvolles Investment zu sein scheinen. Ökologie ohne Ökonomie macht im Portfolio natürlich auch keinen Sinn. Im Sinne unseres getrennten Investmentprozesses kümmern wir uns ausschließlich um die Gewinnseite sowie die Risikooptimierung und Brendgen mit seinem Team um die ethische, ökologische und soziale Sinnseite.- Und wie filtern Sie Unternehmen in nachhaltiger Hinsicht aus?Brendgen: Wir gehen in die Details und prüfen in der Tiefe, was ein Fondsmanager so nicht kann. Die Vertretbarkeit eines Unternehmens als Investment ist nicht immer von vornherein offensichtlich. So können sich beispielsweise Chemieunternehmen, die im Bereich neue Materialien tätig sind, als komplizierte Fälle erweisen. Das ist zunächst positiv. Aber bei großen Chemieunternehmen gibt es eine große Bandbreite negativer Kriterien, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind, wie etwa im Falle eines PVC-Herstellers. Ein Glashersteller für Babynahrung könnte auch Pilotenkanzeln für Kampfjets herstellen. Ein Unternehmen, das Keramik für den Dentalbereich herstellt, könnte auch Köpfe von Raketen produzieren.- Inwiefern sind neue Materialien positiv zu sehen?Brendgen: Vor allem als Ersatz für nicht erneuerbare Materialien. Im Dentalbereich ersetzt etwa Keramik Metall.- In welchen Bereichen sehen Sie “rot”?Brendgen: Wir unterscheiden zwischen Negativkriterien und Ausschlusskriterien. Erstere werden nach Relevanz und Wesentlichkeit der negativen Aspekte gegenüber den positiven Wirkungen eines Unternehmens gewichtet. Sie können zudem länder- beziehungsweise branchenspezifisch unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe und Gewichtungen für die Abwägung erhalten, werden also je nach Region oder Branche unterschiedlich angewandt. Dann gibt es die harten Ausschlusskriterien. Dazu gehören, wie Sie sich denken können, Rüstungsgüter und Waffen, außerdem alles rund um die Atomenergie, gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere sowie systematische Verstöße gegen Menschenrechte und Kernkonventionen der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation. Aber auch hier sind die Dinge komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheinen. Gentechnik schließen wir nicht per se aus, etwa Mikroorganismen, mit deren Hilfe Insulin hergestellt wird. Der Teufel liegt hier im Detail. Da müssen wir sehr genau hinsehen.- Wie greifen bei Ihnen Menschenrechtskriterien?Brendgen: Wir investieren nicht in Ländern, in denen Diskriminierung von Minderheiten und Religionen quasi in der Verfassung steht. Das betrifft islamische Staaten, in denen die Scharia gilt, oder etwa Russland, wo der Einfluss der orthodoxen Kirche wächst.Mozer: Wobei es in diesen Ländern durchaus Unternehmen gibt, die Nachhaltigkeitskriterien genügen. Ein Problem in den Ländern ist oftmals außerdem ein Mangel an Transparenz.Brendgen: Einen interessanten Fall gibt es mit Rushydro in Russland. Dieses Unternehmen ist der größte Stromproduzent aus Wasserkraft der Welt. Allerdings nimmt es zu wenig Rücksicht auf Ökosysteme. Hier zeigt sich erneut die Komplexität des Themas. Wasserkraft als im Prinzip saubere Energie ist nicht per se nachhaltig.- Gibt es neben Ausschlusskriterien für ein Investment auch positiv besetzte Emerging-Market-Themen im Sinne der Förderung von Nachhaltigkeitszielen?Brendgen: Es gibt sehr vielfältige Themen. Gerade China hat trotz der erwähnten Problematik einiges zu bieten. So ist der massive Bahnausbau eines der bedeutendsten Infrastrukturprojekte der Regierung, und die Bahn ist eben das umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Durch die Städtewanderung lebt mittlerweile ungefähr die Hälfte der 1,3 Milliarden Chinesen in Städten. Es wird erwartet, dass bis zum Jahr 2030 noch einmal 230 Millionen Menschen in die Ballungsräume ziehen. Vor diesem Hintergrund ist geplant, das Schienennetz auf 270 000 Kilometer mehr als zu verdoppeln. Unternehmen, die an dieser Entwicklung partizipieren, ermöglichen ein interessantes ökologisches Investment.- Können Sie Beispiele nennen?Mozer: Durch die enorme Nachfrage sind CSR – China South Locomotive & Rolling Stock – und CNR – China Northern Rail – bereits Weltmarktführer im Lokomotiv- und Waggonbau geworden. Die Deutsche Bahn denkt sogar darüber nach, chinesischen Unternehmen den Vorzug vor Siemens zu geben. CSR und CNR stehen vor der Fusion. Davon wird die CSR-Tochter ZhuZhou Times Electric, ein Zulieferer, der beispielsweise Steuerungs- und Sicherheitstechnik für Lokomotiven herstellt, in Form von zusätzlichen Aufträgen profitieren. Die Unternehmen werden zudem von der politischen Führung massiv unterstützt. Ministerpräsident Li Keqiang wird von Medien bereits “Handlungsreisender in Sachen Bahn” genannt. Durch diese Schützenhilfe erhalten chinesische Unternehmen in Ländern von Laos bis Nicaragua einen milliardenschweren Bahnauftrag nach dem anderen. Li hat sehr ehrgeizige Bahnpläne. Mit dem Seidenstraßenprojekt will er eine Bahnverbindung von China bis zur Türkei bauen. Dafür wurden bereits 40 Mrd. Dollar bereitgestellt.- Wie sieht es mit direkt ökologischen Projekten in China aus?Brendgen: In den Fünfjahresplänen werden hier stets ehrgeizige Ziele gesetzt und deren Umsetzung angestoßen. Reinhaltung von Luft und Wasser haben wie erwähnt einen hohen Stellenwert. Viel Geld fließt auch in die regenerativen Energien, das heißt in Solar- und Windenergie.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.