IM INTERVIEW: CHRISTOPHE FRANKEL, EUROPEAN STABILITY MECHANISM

ESM als defensiver Anleger

Finanzchef des Euro-Rettungsschirms über Preiserwartungen, Emissionsstrategie und Investitionsverhalten

ESM als defensiver Anleger

Christophe Frankel, CFO des ESM, sieht den Rettungsschirm hinsichtlich der Investition des eingezahlten Kapitals an den Märkten als defensiven Anleger, um keine Marktbeeinträchtigungen auszulösen. Bei den Bondemissionen ordnet er das Haus als supranationale Adresse ein und die künftige Renditekurve zwischen EIB und EFSF.- Herr Frankel, wann erwarten Sie das Kapitalmarktdebüt des ESM?Das ist nicht so einfach zu sagen. Wie die EFSF darf sich auch der ESM nicht im Voraus finanzieren. Wir müssen darauf warten, dass ein Euro-Land einen Hilfsantrag stellt und der Prozess der Bewilligung, einschließlich eines Memorandum of Understanding, vollständig abgeschlossen ist. Da es derzeit keinen Hilfsantrag gibt, also nicht einmal der erste Schritt gemacht wurde, können wir nicht voraussehen, wann wir an den Markt gehen werden.- Aber es gibt doch die Anfrage Spaniens nach Hilfen zur Rekapitalisierung der heimischen Banken.Ja, dieser Antrag wurde gestellt und bewilligt – als Programm unter der EFSF. Es soll nun auf den ESM übertragen werden. Aber bei den Hilfen zur Rekapitalisierung von Banken handelt es sich um ein Payment in Kind, also quasi um eine Zahlung in Form von Sachleistungen, in diesem Fall von Anleihen. Wir legen Anleihen auf und reichen sie im Falle Spaniens derzeit, ohne an den Markt zu gehen, an die Frob, die Rekapitalisierungsagentur der Regierung, weiter. Die gibt sie dann an die bedürftigen Banken, die sie nutzen, um sich Liquidität zu verschaffen.- Wenn Sie dann aber irgendwann doch an den Markt gehen: Was wird Ihr Preisziel für die zu emittierenden Bonds sein? Wird der Orientierungspunkt die EFSF sein aufgrund ihrer ähnlichen Struktur der Anteilseigner oder die Europäische Investitionsbank (EIB), weil sie eine vergleichbare Kapitalstruktur hat?Die EFSF bzw. ihre Bonds rentieren derzeit einige Basispunkte oberhalb der EIB und der EU. Die Investorenbasis des ESM wird voraussichtlich breiter sein als bei der EFSF. Insofern gehen wir von engeren Spreads im Vergleich zu den Bonds der EFSF aus.- Von Beginn an?Verständlicherweise werden die Investoren in der ersten Phase den ESM als neuen Emittenten mit der EFSF als etablierter Adresse vergleichen. Und wir wissen, dass wir als neue Emittentenadresse eine Neuemissionsprämie für unsere Bonds bezahlen müssen. Allerdings können wir uns vorstellen, dass in der zweiten Phase die Investoren würdigen werden, dass die Struktur des ESM deutlich robuster ist als die der EFSF. Dann gibt es vielleicht noch eine dritte Phase, wenn das Emissionsvolumen der EFSF sinken wird. Dann könnte es zu einer Art Knappheitsprämie bei EFSF-Papieren kommen.- Wo ordnen Sie die künftige Renditekurve des ESM ein?Unsere Renditekurve könnte zwischen EIB und EFSF liegen – vielleicht nicht von Beginn an, aber nach einer Weile.- Mit welchen zusätzlichen Investoren rechnen Sie für ESM-Papiere?Wir wissen, dass einige Notenbanken und Banken EFSF-Titel nicht erwerben können, weil sie die Garantiestruktur der EFSF nicht mögen. Sie könnten sich aber durchaus für ESM-Anleihen interessieren.- Warum spielt die Struktur des ESM für Investoren eine solche Rolle?Die Investoren schätzen vor allem, dass die Struktur einfach und erprobt ist. Die Verhältnisse zwischen eingezahltem und abrufbarem Kapital und zwischen eingezahltem Kapital und dem Ausleihevolumen sind äußerst konservativ. Zudem sehen die Anleger das klare Verfahren, mit dem abrufbares Kapital aktiviert werden kann, als Vorteil an.- Als was stufen Sie – aus Sicht des Anleihemarktes bzw. des Bondinvestors – den ESM ein, als supranationale Institution oder als sogenannte Agency, als staatsnahen Emittenten wie etwa die KfW?Für mich ist es eindeutig eine supranationale Einheit, die damit in ihrer Struktur vergleichbar mit anderen Adressen dieses Segments ist.- Wie wird Ihre Finanzierungsstrategie aussehen?Die Finanzierungsstrategie des ESM wird der EFSF-Strategie sehr ähnlich sein. Wir werden aller Voraussicht nach mit Benchmark-Anleihen im langfristigen Laufzeitenbereich starten und wohl auch ein Programm an Geldmarktpapieren, also Titel für das sehr kurze Marktende auflegen.- Unter den EFSF-Bonds geht die längste Laufzeit derzeit bis April 2037. Können sich Investoren auch beim ESM auf 30-jährige Anleihen oder sogar noch länger laufende Bonds wie etwa 40-jährige Titel einstellen?Nun, es gibt keine formelle Limitierung, außer dass wir keine Anleihen mit Laufzeiten auflegen dürfen, die länger sind als die Laufzeiten der Kredite, die wir vergeben. Und die sind zurzeit nicht länger als 30 Jahre. Es gibt zudem keine direkte Koppelung der Termine, an denen wir Kredite an Staaten ausreichen und an denen wir Anleihen zur Refinanzierung begeben.- Der ESM wird das eingezahlte Kapital, das sich 2014 auf 80 Mrd. Euro belaufen wird, in Anleihen von Staaten, supranationalen Institutionen oder etwa Agencies investieren müssen – also in eine Assetklasse, die mit Ausnahme von Bundesanleihen in zunehmendem Maße illiquide ist oder zu werden droht. Sie treten damit als Anleger an den Märkten auf und treten damit in Wettbewerb mit anderen Real-Money-Investoren, die einen Buy & Hold-Ansatz verfolgen und auf der krampfhaften Suche nach Rendite sind. Wie wollen Sie bei den Kapitalinvestments vorgehen, ohne Marktbeeinträchtigungen auszulösen?Ich glaube nicht, dass es eine wachsende Illiquidität in dieser Assetklasse gibt, zumindest deckt sich das nicht mit meinen Erfahrungen. Was unseren Auftritt am Markt angeht: Wir werden bei den Investments des eingezahlten Kapitals nicht aktiv auf den Markt zugehen und explizit Investmentanfragen in bestimmten Volumina vornehmen. Wir werden tätig, wenn uns Marktteilnehmer Anleihen anbieten. Kurzum: Den ESM sehe ich als defensiven Anleger. Das ist unserer Meinung nach die sanfteste Vorgehensweise, um den Markt nicht zu beeinflussen.- Haben Sie denn damit schon gestartet?Ja, wir sind längst dabei, Anleihen zu kaufen; innerhalb und außerhalb der Eurozone, in Euro und mindestens mit “AA”-Rating. Aber wir haben auch andere Anlagemöglichkeiten, etwa Einlagen. Wir sind nicht gezwungen, allein Anleihen zu kaufen.- Werden Sie auch Bonds in anderen Währungen begeben?Wie gesagt, es ist noch zu früh, um das schon anzukündigen. Sicherlich werden wir, wenn wir irgendwann mit Emissionen anfangen, mit einer Benchmark in Euro starten. Aber wir dürfen auch in anderen Währungen emittieren. Und für den ESM wird das aufgrund seiner Struktur sogar einfacher sein als für die EFSF.- Wie weit gediehen sind die Vorarbeiten für eine Hebelung durch eine Fonds- oder eine Versicherungslösung?Sie wissen, dass diese Lösungen für die EFSF vorbereitet sind. Bislang wurden sie noch nicht benutzt, da kein Land einen Hilfsantrag gestellt hat, der diese Instrumente vorgesehen hätte. Für den ESM laufen die politischen Diskussionen zur Nutzung dieser Instrumente noch. Von technischer Seite aus würde es indes keine Hindernisse geben. Wir würden dieses Instrument vor allem nutzen, um den Marktzugang eines Landes zu erhalten oder um die Rückkehr eines Landes an den Markt zu begleiten.- Die Investoren, die Sie sprechen, hätten daran aber weiterhin Interesse?Ja, sicher. Wir haben Zusagen von großen privaten Investoren, dass sie sich in einem Co-Investmentfonds engagieren würden. Und wir wissen, dass es unter bedeutenden Versicherern und anderen Investoren Interesse an Zertifikatelösungen gibt.- Wird der ESM regelmäßig Anleihen mit variabler Verzinsung, also Floating Rate Notes (FRN), emittieren, ähnlich wie die EFSF?Theoretisch können wir FRN begeben. Aber der Markt ist nicht groß und nicht sehr liquide. Es gibt nur eine bestimmte Gruppe von Investoren, die sich in FRN engagieren. Zu den Floatern der EFSF ist zu sagen, dass sie nur im Rahmen der Rekapitalisierung der spanischen Banken und hier auch nur im Wege des Private Placement begeben wurden und nicht als öffentliche Emission.- Werden Sie Aufstockungen von ESM-Anleihen vornehmen?Ja, ich habe ja gesagt, dass sich unsere Finanzierungsstrategie an das anlehnt, was die EFSF gemacht hat. In der Form, in der wir es tun, soll es die Liquidität umlaufender Anleihen erhöhen und auf die spezifische Nachfrage von Investoren reagieren.- Wo sehen Sie das Mindestvolumen der ESM-Anleihen bzw. der Benchmarks aus Ihrem Hause?Das kommt prinzipiell auf die Laufzeit an. Bei einem Volumen von 3 Mrd. Euro sehen wir generell die Benchmark-Anleihen. Aber für sehr lang laufende Anleihen muss das nicht gelten. Die EFSF hat schon Papiere im Volumen von 1,5 Mrd. Euro begeben.- Wird der ESM einen Emissionskalender veröffentlichen?Das können wir heute noch nicht sagen, weil das davon abhängt, in welcher Form man uns auffordert, aktiv zu werden.- Wie werden sich ESM und EFSF nebeneinander am Markt verhalten?Das ist ein wichtiger Punkt, den wir bei unseren Gesprächen mit Investoren ansprechen. Ihnen soll bewusst sein, dass beide im Markt aktiv sein können – zwar nicht exakt zur gleichen Zeit, aber unter dem Management des gleichen Teams. Das gewährleistet die vollkommene Koordinierung des Marktauftritts.- Wird die EFSF überhaupt noch aktiv bleiben, wenn sie doch ab Mitte 2013 keine neuen Hilfspakete für Euro-Staaten mehr starten darf?Ganz sicher, die EFSF wird aktiv bleiben – auch als Emittent. Nächstes Jahr wird die EFSF 40 Mrd. Euro refinanzieren, übernächstes Jahr 33 Mrd. Euro und in den Jahren danach steht ja das Roll-over von bestehenden Schulden an. Denn wir haben ja langfristige Kredite zum Teil mit Anleihen mit mittleren Laufzeiten refinanziert. Wir müssen deshalb auch in der Folgezeit jährlich mehrere Milliarden Euro aufnehmen.- Werden denn bis Sommer 2013 alle neuen Hilfsanträge automatisch an den ESM geleitet, oder könnte die EFSF noch einmal zum Zuge kommen?Der natürliche Adressat für einen neuen Hilfsantrag ist fortan der ESM. Aber es gibt keine verbindliche Vorgabe. Bis Mitte 2013 könnte die EFSF theoretisch auch noch neue Programme übernehmen.- Falls Spanien von den Ratingagenturen in den spekulativen Bereich herabgestuft würde, wie können Sie dann Investoren davon überzeugen, dass ein “AAA” für den ESM noch gerechtfertigt ist?Durch die Struktur – mit eingezahltem Kapital und dem Ausstiegsverbot für die Kapitalgeber – ist der ESM widerstandsfähiger gegen Ratingherabstufungen. Bei der EFSF schlägt das Rating der wichtigsten Garantieländer fast direkt auf die Ausleihekapazität der EFSF durch. Beim ESM ist das anders.- Sehen das auch die Ratingagenturen so?Ja, Moody’s und Fitch haben das in ihren Stellungnahmen zum ESM, den sie mit “AAA” bewerten, sogar unterstrichen.- Wann wird ein Rating von Standard & Poor’s vorliegen?Wir haben nur zwei in Auftrag gegeben, bei Moody’s und Fitch. Standard & Poor’s erarbeitet gerade eine neue Methodologie für supranationale Institutionen, deshalb haben wir dort noch kein Rating angefragt.- Werden Sie das denn nachholen, falls Sie an den Markt gehen?Nicht unbedingt, zwei Ratings reichen aus.- Welche Rolle spielt denn eigentlich für Investoren die Ansage der Europäischen Zentralbank (EZB), ESM-Programmstaaten am Sekundärmarkt zu unterstützen?Der Markt hat die Ankündigung der EZB ja sehr positiv aufgenommen. Wir werden manchmal danach gefragt, wie wir uns in dem Fall, dass ein Land von der EZB am Sekundärmarkt unterstützt wird, verhalten werden. Da sich die EZB wohl eher dem kurzfristigen Laufzeitenbereich bis drei Jahre widmet, werden wir uns wohl dann eher um die längeren Laufzeiten kümmern.- Zum Abschluss: Wie reagieren die Investoren denn nun auf den ESM gerade mit Blick auf Bondkäufe?Bei unseren bisherigen Gesprächen haben wir bislang ein sehr gutes Feedback bekommen. Das gilt zum Beispiel auch für die asiatischen Adressen. Viele heben gerade die Kapitalstruktur verbunden mit dem Ausstiegsverbot der Kapitalgeber hervor. Diese Aspekte würden es ihnen zum Beispiel erleichtern, die zu genehmigenden Bondkäufe durch die hausinternen Prozesse zu bekommen, wie etwa die Anlagekomitees oder das Kreditlinienmanagement. Der ESM wird es in dieser Hinsicht wohl leichter haben als die EFSF.—-Das Interview führten Detlef Fechtner und Kai Johannsen.