Wachstumspotenzial

ETFs bleiben auf der Überholspur

Auch im schwierigen Börsenjahr 2022 sind den ETFs gegen den Markttrend erhebliche neue Mittel zugeflossen. Die passive Revolution setzt sich fort und ETFs verfügen besonders in Europa über hohes Wachstumspotenzial.

ETFs bleiben auf der Überholspur

Von Werner Rüppel, Frankfurt

An den Kapitalmärkten ist das zu Ende gehende Jahr 2022 für viele Teilnehmer ein sehr enttäuschendes gewesen. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar hatte zuvor kaum jemand gerechnet. In der Folge belasteten neben den hohen geopolitischen Risiken steigende Energiepreise, ein starker Anstieg der Inflation sowie die massiven Straffungen der Notenbanken die Märkte und es knickten sowohl Aktien als auch Anleihen ein. Da nimmt es nicht wunder, dass es in der Fondsindustrie im Jahresverlauf teilweise zu Mittelabflüssen kam. Per saldo betrafen die Abflüsse aber vor allem aktive Fonds.

Denn ein Produkt konnte gerade auch im schwierigen abgelaufenen Jahr Mittelzuflüsse verbuchen. Trotz der Krise an den Finanzmärkten haben die Anleger weltweit sowie in Europa weiterhin in die ETFs, die börsennotierten Indexfonds, investiert. Doch nicht nur die Nachfrage, auch das Angebot an ETFs und ETPs hat sich merklich ausgeweitet. Zum einen legen dabei immer mehr Anbieter, darunter auch traditionelle aktive Manager, ETFs auf. Zum anderen verbreitern die ETF-Anbieter ständig ihre Palette von börsennotierten Indexfonds. Kurzum: Die passive Revolution setzt sich fort und ETFs bleiben auf der Überholspur. Praktisch gehen nämlich alle Beobachter davon aus, dass die ETF-Industrie auch in den kommenden Jahren überdurchschnittlich stark wachsen wird. Vor diesem Hintergrund hat zum Beispiel auch die DWS unter ihrem neuen Chef Stefan Hoops angekündigt, ihr Xtrackers- und Passivgeschäft weltweit auszubauen, „basierend auf der Erwartung eines anhaltend starken Wachstums bei passiven Produkten“.

Zweithöchster Wert

Weltweit hat die ETF-Industrie nach Angaben des Analysehauses ETFGI im November den 42. Monat in Folge Nettomittelzuflüsse verzeichnet, was die anhaltende Dynamik des Wachstums der ETFs aufzeigt. Im November lagen die globalen Mittelzuflüsse bei 78,6 Mrd. Dollar nach 116,1 Mrd. Dollar im Oktober. Bis einschließlich November betrugen die globalen Mittelzuflüsse in diesem Jahr somit 787 Mrd. Dollar, das ist der zweithöchste Wert nach dem Rekordjahr 2021, als die Mittelzuflüsse bis Ende November 1,14 Bill. Dollar erreichten.

Nach Angaben von ETFGI flossen im November 34 Mrd. Dollar in Aktien-ETFs, deren Zuflüsse im laufenden Jahr damit 444 Mrd. Dollar erreichten. Anleihe-ETFs konnten Zuflüsse über 35,5 Mrd. Dollar im November verbuchen, so dass sich ihre Zuflüsse im bisherigen Jahresverlauf auf 218 Mrd. Dollar stellten. Insgesamt sind laut ETFGI per Ende November weltweit 9,3 Bill. Dollar in ETFs angelegt. Das sind zwar weniger als die 10,0 Bill. Dollar Ende 2021, die geringere Summe ist aber allein auf die 2022 erlittenen Kursverluste zurückzuführen, die Zuflüsse in ETFs halten ja an. Insgesamt umfasst die weltweite ETF-Industrie (inklusive ETPs, den börsengehandelten Produkten) inzwischen nach Angaben von ETFGI 11072 Produkte mit 22906 Listings von 668 Anbietern an 81 Börsen in 63 Ländern.

Auch in Europa hat die ETF-Industrie im laufenden Jahr Mittelzuflüsse verbucht, wenngleich die weltweite Nachfrage doch weitaus größer war. So flossen den ETFs in Europa laut ETFGI bis Ende Oktober frische Gelder über 68,8 Mrd. Dollar zu im Vergleich zu 165,8 Mrd. Dollar im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Aber 2021 war ja auch ein phänomenales Rekordjahr gewesen, immerhin flossen auch in Europa den ETFs im bisherigen Jahresverlauf frische Gelder zu. Die in ETFs angelegten Assets liegen auf dem Alten Kontinent inzwischen per Ende Oktober bei 1,2 Bill. Dollar. Ende 2021 waren es zwar 1,5 Bill. Dollar, aber auch hier schlagen die bei Aktien und Anleihen in diesem Jahr erlittenen Kursverluste zu Buche.

Wie erfolgreich ETFs in Deutschland und Europa sind, zeigt auch die aktuelle Mitteilung der Deutschen Börse, dass erstmals 2000 ETFs auf Xetra handelbar sind. Bereits am 22. August 2012 habe die Deutsche Börse als erste Börse Europas die Marke von 1000 börsennotierten ETFs überschritten. Das ETF-Produktangebot bleibe damit auch zehn Jahre später das größte unter allen europäischen Börsen. „Wir freuen uns, mit dem 2000sten ETF einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung unseres ETF-Segments erreicht zu haben. Aus dem ehemaligen Nischenprodukt zu Beginn der Jahrtausendwende wurde Europas erfolgreichstes Finanzprodukt, das über alle Anlegergruppen hinweg einen einfachen, kostengünstigen und effizienten Zugang zum Kapitalmarkt ermöglicht“, sagt Stephan Kraus, Leiter des ETF & ETP-Segments des Frankfurter Marktbetreibers. „Die wachsende Vielfalt des Produktangebots auf Xetra zeigt das unverändert hohe Interesse auf Anbieter- und Investorenseite an der Erschließung neuer Anlagemöglichkeiten mittels ETFs.“

Insgesamt wurden in diesem Jahr bislang 271 ETFs neu auf Xetra gelistet. Damit ist das Jahr 2022 schon jetzt das Jahr mit der höchsten Anzahl neu zugelassener Produkte seit dem Start des ETF-Segments am 11. April 2000, erklärt die Börse. Die Anzahl der ETF-Emittenten auf Xetra liegt aktuell bei 32 Anbietern. Anleger profitieren auf Xetra von der großen Vielfalt verfügbarer ETFs. Investoren könnten inzwischen auf ein breites Spektrum an Ländern, Regionen, Branchen, Themen und Strategien zurückgreifen. Dabei machten Aktien-ETFs mit 1414 Produkten unverändert den größten Teil des Produktangebots im ETF-Segment der Deutschen Börse aus. Doch auch Renten-ETFs hätten sich als weitere Anlageklasse fest etabliert. Das Angebot umfasse inzwischen 533 ETFs und decke Staats- und Unternehmensanleihen, Wandelanleihen, Pfandbriefe sowie Kreditderivate ab. „Als übergeordneter Trend mit außerordentlich hohen Wachstumsraten hat sich das Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren entwickelt“, erklärt die Deutsche Börse. „Aktuell können Anleger auf Xetra aus 732 ESG-ETFs zur Umsetzung einer nachhaltigen Investmentstrategie wählen.“

Europa mit Aufholpotenzial

Insgesamt sind die Voraussetzungen dafür, dass die ETF-Industrie weltweit und in Europa in den kommenden Jahren überdurchschnittlich stark wächst, ausgesprochen gut. „Das Wachstumspotenzial für ETFs in Europa ist beträchtlich. Vor allem wenn wir den europäischen mit dem reiferen US-amerikanischen ETF-Markt vergleichen, der in der Entwicklung in etwa drei bis vier Jahre weiter ist, sehen wir ein signifikantes Aufholpotenzial“, erklärt David Wenicker, Head of Wealth & Reatil Sales in Deutschland bei Blackrock. „Das sieht man schon an dem durchschnittlichen Anteil von ETFs in Portfolios. Hier liegen wir bei ca. 25 bis 30% in den USA versus 15 bis 20% in Europa. Wir schätzen daher, dass der europäische ETF-Markt in den nächsten Jahren um durchschnittlich 15% p.a. wachsen wird.“

Auch ETF-Spezialistin Chris Hofmann, Senior Sales Executive für Deutschland und Österreich bei Vanguard, erwartet, dass die in ETFs angelegten Gelder weiter zulegen werden: „Wir sind davon überzeugt, dass der ETF-Markt auch im kommenden Jahr – und darüber hinaus – auf Wachstumskurs bleiben wird. Das gilt insbesondere für Europa, wo das investierte Volumen im Vergleich zu den USA noch viel Spielraum nach oben hat.“ Ob allerdings das zuletzt hohe Wachstumstempo beibehalten werden kann, werde sich zeigen. Die hohen geopolitischen und ökono­mischen Risiken sowie das damit einhergehende High-Vola-Umfeld könnten laut Hofmann zumindest temporär die Zuflüsse etwas ausbremsen. „Langfristig bleiben die Perspektiven für den ETF-Markt allerdings überaus vielversprechend. Da sehe ich viel Rückenwind“, erklärt die ETF-Spezialistin.

Vielfältige Vorteile

Die Gründe, aus denen ETFs in den kommenden Jahren überdurchschnittlich stark wachsen dürften, sind unverändert intakt. Die „Aldi-Fonds“ sind kostengünstig und transparent. Und sowohl immer mehr institutionelle als auch immer mehr private Anleger setzten ETFs in ihren Portfolios ein. Wobei auch der digitale Vertrieb über Online- und Neo-Broker stetig zulegt und eine wachsende Zahl Privatanleger kostengünstig über ETF-Sparpläne anspart. Hinzu kommt noch, dass sich die ETFs in den vergangenen Jahren neue Assetklassen wie vor allem Anleiheprodukte, aber auch nachhaltige ETFs und spezielle Themen-ETFs erschlossen haben.

„ETFs bieten Vorteile, an denen kein Anleger vorbeikommt. Sie bestechen mit geringen Kostenquoten, bieten eine ideale Plattform zur Diversifikation und überzeugen mit hoher Handelbarkeit und Transparenz“, erklärt denn auch Vanguard-Spezialistin Hofmann. „Sie eignen sich für den langfristigen Vermögensaufbau bzw. für die private Altersvorsorge genauso wie für das strategische Portfoliomanagement oder die Wahrnehmung von kurz- bis mittelfristigen Marktchancen.“

Nur eine Produkthülle

Allerdings können auch bei den ETFs gerade durch die Produktbreite Risiken für Anleger entstehen. Schließlich sind Ucits-ETFs, auch wenn sie kostengünstig und transparent sind, nur eine Produkthülle. So kann laut Hofmann auch Gegenwind drohen: „Als problematisch erachte ich es, wenn aus Klasse Masse wird. Es drängen immer mehr Anbieter auf den Markt und die Zahl der gelisteten ETFs steigt rasant. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Heikel wird es jedoch, wenn das Qualitätsversprechen, mit dem ETFs zu Recht in Verbindung gebracht werden, darunter leidet oder deren Kernnutzen zu erodieren droht.“ Nach Meinung der ETF-Spezialistin sollten Anleger daher auf Anbieter setzen, die zum einen über eine langjährige Markterfahrung verfügen und die zum anderen ihre ETF-Expertise erfolgreich unter Beweis gestellt haben und die drittens ihrer Linie bzw. ihren Kernkompetenzen treu bleiben.

Auch bei den Produkttrends rät Hofmann, genau hinzuschauen. „Hier gilt es zunächst zwischen zumeist kurzlebigen Modeerscheinungen und echten langfristigen Markttrends zu unterscheiden“, sagt Hofmann. „Wir bei Vanguard halten nichts davon, kurzlebigen Trends zu folgen.“ Ein wirklicher Markttreiber sei hingegen das Thema Nachhaltigkeit.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.