Euro gilt als weitgehend ausgereizt

Die Prognosen der Experten gehen weit auseinander - Notenbanktagungen im Fokus

Euro gilt als weitgehend ausgereizt

Erstmals seit dem Januar 2015 ist der Euro am Dienstag wieder über die Schwelle von 1,20 Dollar gestiegen. Doch damit dürfte das Aufwärtspotenzial der Währung zunächst weitgehend ausgereizt sein, glauben viele Experten. Uneinigkeit herrscht allerdings darüber, ob der Euro das aktuelle Kursniveau in etwa behaupten kann oder nachgeben wird.Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtDer Euro scheint derzeit nur eine Richtung zu kennen: nach oben. Am Dienstag ist die Währung erstmals seit Anfang Januar 2015 über die Schwelle von 1,20 Dollar gestiegen. Wird das Tageshoch von 1,2069 Dollar zugrundegelegt, hat sie in diesem Jahr um bis zu 14,8 % zugelegt und damit die Markterwartungen deutlich übertroffen. Getragen wurde die Aufwärtsbewegung durch den sich allmählich anbahnenden Schwenk der EZB hin zu einer etwas restriktiveren geldpolitischen Linie und die Schließung der Wachstumsdifferenz zwischen dem Euroraum und den USA. Stillschweigende DuldungZudem haben die politischen Risiken in Europa an Schrecken verloren, während Donald Trump sich immer mehr zu einem politischen Risiko für die Vereinigten Staaten entwickelt hat. Die Erwartungen einer potenziell wachstums- und inflationstreibenden Wirtschaftspolitik in den USA sind der Ernüchterung gewichen. Der jüngste Schub im Euro-Kurs wurde vom Notenbankertreffen in Jackson Hole ausgelöst bzw. dadurch, dass sich EZB-Präsident Mario Draghi zur Aufwertung des Euro nicht äußerte, was als stillschweigende Duldung interpretiert wurde. Hinzu kam in dieser Woche der erneute Raketenabschuss Nordkoreas. Auch der Hurrikan “Harvey”, der mit Houston die fünftgrößte Stadt der USA überschwemmt hat, könnte eine Rolle spielen, da er auch in den Konjunkturdaten Spuren hinterlassen dürfte.Die Experten sind sich auf den erreichten Niveaus derzeit allerdings darin einig, dass das Aufwärtspotenzial der Währung weitgehend ausgereizt ist. Über die Frage, ob sich die Währung auf diesen Höhen halten bzw. noch etwas zulegen wird oder aber zurückfallen wird, gehen die Meinungen weit auseinander. Potenzial von 1,25 DollarZu den Euro-Optimisten zählt Morgan Stanley. Das US-Haus traut der Währung in den kommenden Monaten noch einen Anstieg bis auf 1,25 Dollar zu. Seine Währungsstrategen verweisen auf die US-Notenbank Fed, die zu verstehen gegeben hat, dass sie nur sehr allmählich an der Zinsschraube drehen wird. Das FOMC-Sitzungsprotokoll habe gezeigt, dass unter Teilnehmern über die Auswirkungen einer Lockerung der Finanzbedingungen diskutiert worden sei, es aber letztlich in dem Gremium kaum Sorgen deswegen gebe. Solange dies Bestand habe, werde der Dollar wahrscheinlich nicht zu einer Rally ansetzen. Dazu wäre nach Meinung der Bank eine stärkere Betonung der Finanzkonditionen durch die US-Währungshüter notwendig.Aber auch Euro-Pessimisten argumentieren mit der Geldpolitik. So rechnet etwa die Commerzbank zunächst mit weiteren Euro-Avancen und hält auf kurze Sicht Notierungen um 1,22 Dollar für möglich. Im ersten Quartal erwartet sie die Gemeinschaftswährung jedoch bei 1,16 Dollar. Für zunächst steigende Euro-Kurse sprächen das politische Durcheinander in den USA und die Tatsache, dass die EZB wegen des verbesserten Wirtschaftswachstums im September eine Verringerung der Anleihekäufe als Erfolg verkaufen könne. Erst wenn der Markt Anfang 2018 aggressivere Fed-Zinserhöhungen einpreise, werde der Euro wieder fallen.Ähnlich lautet die Einschätzung der Postbank. “Die bevorstehende geldpolitische Wende im Euroraum – als Signal hierfür wurde auch der fehlende Verweis auf die jüngste Euro-Aufwertung in Draghis Rede in Jackson Hole gewertet – dürfte den Euro auf Jahressicht grundsätzlich stützen. Der Fortschritt im US-Zinserhöhungszyklus dürfte hingegen einen Durchmarsch des Euro nach oben verhindern.” Auf Jahressicht erwartet die Bank den Euro bei 1,19 Dollar. Bilanzverkürzung ab OktoberIm Fokus stehen damit die anstehenden Notenbanktagungen im kommenden Monat. Am 7. September tritt der Rat der EZB zusammen. Die Postbank hält für möglich, dass die Notenbank eine Reduzierung der Anleihekäufe auf monatlich 60 Mrd. Euro ankündigt, die Anfang 2018 wirksam wird. Eine Entscheidung über das zukünftige Volumen und die neue (Mindest-)Laufzeit des Ankaufprogramms werde sie aber wohl erst im Oktober bekannt geben. Obwohl es bislang keine diesbezüglichen Signale gebe, werde die EZB bis dahin wahrscheinlich noch die Gelegenheit nutzen, die weitere Entwicklung des Euro an den Devisenmärkten abzuwarten. Das bedeute aber auch, dass die Reduzierung der Anleiheankäufe umso langsamer erfolgen werde, je stärker der Euro sich entwickle, und vice versa.Rund zwei Wochen nach der EZB, am 19. und 20. September, tagt dann der Offenmarktausschuss der Fed. Die Postbank erwartet, dass die US-Währungshüter dann den bereits avisierten Start der Bilanzverkürzung mit Wirkung zum Oktober verkünden werden.