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Europas neue Notenbank

Von Ulrich Kater *) Börsen-Zeitung, 13.9.2012 Seit dem 6. September haben wir eine neue Notenbank. Wer sich noch der Illusion hingegeben hatte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) eine Nachfolgeorganisation der Deutschen Bundesbank ist, der muss...

Europas neue Notenbank

Von Ulrich Kater *)Seit dem 6. September haben wir eine neue Notenbank. Wer sich noch der Illusion hingegeben hatte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) eine Nachfolgeorganisation der Deutschen Bundesbank ist, der muss spätestens jetzt seine Einschätzung ändern. Die Argumentation von EZB-Präsident Mario Draghis, die das neue Programm in den Rang eines geldpolitischen Instruments erhebt, weil es eben dafür sorgen soll, dass die Geldpolitik der niedrigen Zinsen überhaupt funktioniert, kann man zwar führen. Sie dehnt aber das Gebiet der Geldpolitik weit über das bisherige Verständnis hinaus aus.Zunächst wird das neue Anleiheprogramm Ruhe in die Märkte hineinbringen, selbst wenn das noch eine Weile brauchen könnte: Nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum European Stability Mechanism (ESM) nun vorliegt, fehlt noch der Troika-Bericht zu Griechenland und schließlich der Antrag für ein vorläufiges Hilfsprogramm aus Spanien. Dann aber stehen die Zeichen auf Beruhigung: Bei der Vorstellung unlimitierter Ankäufe durch die Notenbank wendet sich jeder Händler mit Grausen ab: “Don’t fight the ECB.” Spekulationen gegen die Staatsanleihenmärkte eines Krisenlandes wird es nicht mehr geben. Die Zinssätze werden sich in einem Band von 2 bis 6 % von den kurzen bis zu den 10-jährigen Laufzeiten einpendeln. Zielzonen werden bei der EZB im Geheimen vorhanden sein, werden aber nicht veröffentlicht und können sich auch ändern je nach politischem Wohlverhalten des betreffenden Staates. Bundesrenditen werden ansteigen, aber zunächst nur mäßig. Die Flucht in Bundesanleihen ist eine Wette auf das Auseinanderbrechen der Währungsunion. Diese Ängste verschwinden nur langsam. Nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre hat sich das Misstrauen an den Kapitalmärkten gegen den Euro so hartnäckig festgesetzt, dass sich das Vertrauen nur ganz langsam zurückgewinnen lässt.So wird sich auch die internationale Gläubigerbasis für die Peripheriestaaten unter dem neuen Programm Outright Monetary Transactions (OMT) nicht gleich nachhaltig vergrößern, zumal gerade diejenigen, die sich in den Peripherieanleihen wieder engagieren, zur Risikosteuerung auch ihre Bestände an Bundesanleihen aufstocken. Bevor solche Risikoüberlegungen aufhören, müssen erst noch zahlreiche weitere Sanierungsmaßnahmen in den betreffenden Ländern Erfolge zeigen. Trotzdem werden die Ängste um die Funktionsfähigkeit von Finanzmärkten, Bankensystemen und Volkswirtschaften erst einmal zurückgehen. Was aber, wenn der erste Effekt verblasst und man sich wieder den harten Realitäten der makroökonomischen Ungleichgewichte gegenübersieht?Im schlechtesten Szenario werden die Befürchtungen, die die Bundesbank gegenüber dem Programm hegt, Wirklichkeit. Die Reformbereitschaft erlahmt und die Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Schuldentragfähigkeit kommt nicht voran. Die Anleihebestände der EZB schwellen an, sie kann sich wegen der Auswirkungen auf die Bilanz nicht leisten, aus dem OMT-Programm auszusteigen. Aus dem, was als Schuldenparkhaus mit begrenzten Öffnungszeiten gedacht war, wird ein Anleiheschrottplatz. Das Wachstum in der Eurozone kommt zum Stillstand, wenn der deutschen Konjunktur die Puste ausgeht. Bundesanleihen behalten ihre Funktion als Fluchthafen, die Finanzmarktfragmentierung bleibt bestehen, Kapital fließt aus den Peripherieländern ab, die Aktienmärkte treten auf der Stelle. Das Zinsniveau ist auf unbestimmte Zeit knapp über der Nulllinie festgeschraubt, kurz: Der Status quo wird einbetoniert. Bundrenditen steigenIm Positivszenario dagegen gewinnen die heutigen Krisenländer ab 2014 zunehmend an Dynamik zurück, weil Arbeitsmarkt- und Strukturreformen greifen, sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat und Schuldenprobleme bei Banken und in den Privatsektoren energisch angegangen wurden. Investitionsvertrauen kehrt zurück und der Bankensektor ist wieder in der Lage, hierfür neue Kredite zu produzieren. Ein Ende der extrem expansiven Geldpolitik kommt für bereits für 2015 ins Blickfeld, weil die Geldpolitik für die nordeuropäischen Länder viel zu expansiv ist. Denn diese bauen unter den negativen Realzinsen Inflation und Vermögenspreisblasen auf. Die Bundrenditen steigen deutlich über zwei Prozent an, an den Aktienmärkten haben sich bereits vorher Höchststände eingestellt. Beide Szenarien sind nicht die wahrscheinlichsten, sondern eher eines dazwischen, welches allerdings wohl eher näher an der ersten Möglichkeit liegen dürfte.Dabei wird auch wichtig sein, was dieser Zentralbankrat noch so alles vorhat. Das Anleiheprogramm hat mit dem Paradigma der strengen Trennung von Geld- und Finanzpolitik aufgeräumt. Wenn dies ein einmaliger Ausflug vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Umstände nach dem Ausbruch der Finanzkrise gewesen sein sollte, dann hat das Programm möglicherweise gar keine anderen Konsequenzen, als eine Beruhigung der europäischen Finanzmärkte zu erreichen und damit den bedrängten Ländern Zeit zu kaufen. Es kann aber auch sein, dass diese erste Intervention der Beginn eines neuen Paradigmas ist, innerhalb dessen der Zentralbankrat auch weiterhin ein Versagen von nationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik ausputzen muss. Wenn etwa in den kommenden Jahren das Wachstum in den heutigen Krisenstaaten nicht anspringen will und die Arbeitslosenzahlen unerträglich hoch bleiben, könnte der Zentralbankrat, etwa mit einer Geschichte über drohende Deflationsgefahren auch hier das Mandat dehnen. Es muss nicht so kommen, aber die Ungewissheit über die künftige Geldpolitik der EZB hat sich erhöht.—-*) Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der DekaBank.