DEVISENWOCHE

"Europhorie" am Ende?

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 27.6.2017 Anfang April schrieb ich an dieser Stelle, der Euro könne ein "Zwischenhoch" erleben. So kam es auch, allerdings schneller, als ich erwartet hatte. Statt bis zum Herbst brauchte der Wechselkurs...

"Europhorie" am Ende?

Von Ulrich Leuchtmann *)Anfang April schrieb ich an dieser Stelle, der Euro könne ein “Zwischenhoch” erleben. So kam es auch, allerdings schneller, als ich erwartet hatte. Statt bis zum Herbst brauchte der Wechselkurs gerade einmal einen Monat, um die Marke von 1,12 Dollar zu knacken. Seitdem ist die Dynamik allerdings dahin. Deutlich mehr ist für den Euro momentan kaum drin.Erinnern wir uns an die Stimmung im April: Damals erwarteten Viele einen ersten Zinsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB) bereits für Mitte 2018. Der Geldmarkt hatte solch ein Szenario bereits mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 66 % eingepreist. Trumpflation ausgepreistDiese Hoffnung ist spätestens mit der letzten EZB-Sitzung verflogen. Nicht nur, dass EZB-Präsident Mario Draghi verkünden musste, dass Europas Währungshüter ihre eigene Inflationsprognose erneut reduzieren und nun erst für 2019 eine Rückkehr zum Inflationsziel (nahe, aber unter 2 %) erwarten. Draghi machte auch klar, dass Europas Währungshüter an ihrer “Forward Guidance” festhalten, an ihrem Versprechen, “die EZB-Leitzinsen für längere Zeit und weit über den Zeithorizont des Nettoerwerbs von Vermögenswerten hinaus auf ihrem aktuellen Niveau” zu belassen. Nun läuft das als “QE” bekannte Anleihenkaufprogramm derzeit noch mit 60 Mrd. Euro pro Monat. Die EZB wird dieses Volumen nur peu à peu zurückfahren, zumal ihr verfahrenstechnische Tricks (Laufzeitensteuerung und Aufweichung der Kapitalschlüssel-Allokation der QE-Käufe) erlauben, die rechtlich starke Emittenten-Restriktion, nach der sie maximal ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Emittenten halten darf, noch eine Weile zu umgehen. Das heißt: Vor Ende 2018 dürfte es mit Zinsanhebungen im Euroraum nichts werden. Vielleicht sogar viel später.Der Markt hat dieses Faktum mittlerweile akzeptiert. Dem Euro-Dollar-Wechselkurs hat das allerdings nicht geschadet. Denn zeitgleich mussten auch Dollar-negative Neuigkeiten verarbeitet werden. Die “Trumpflation”-Story musste ausgepreist werden. Kurz nach der US-Wahl hatte der Markt noch damit gerechnet, dass die Wirtschafts-, Steuer- und Handelspolitik der neuen US-Administration deutliche inflationäre Effekte erzeugen würde. Die marktbasierten langfristigen Inflationserwartungen zogen schnell an – und damit die Aussicht auf eine relativ zügige Zinsnormalisierung durch die Fed. Diese Sicht ist nicht länger aufrecht zu halten. Der neue Hausherr im Weißen Haus ist mehr mit Affäre, Ermittlungen und dem Befüllen sozialer Medien beschäftigt als mit Wirtschaftspolitik. Ja, eine Steuerreform wird kommen, aber (1) wahrscheinlich erst im nächsten Jahr und (2) weitaus weniger radikal, als anzunehmen war. Und ja, die Fiskalpolitik mag expansiver werden, doch wird der Kongress dem Präsidenten keinen Freifahrtschein für hemmungslose Defizite geben – so viel ist bereits absehbar.Es wird also nichts mit der Trumpflation. Zumindest erwartet das mittlerweile kaum jemand mehr. Und ohne dieses Narrativ nimmt der Markt der Fed auch nicht mehr ab, dass sie in der von ihr angekündigten Geschwindigkeit ihren Leitzins anhebt. Vier Zinsschritte bis Ende 2018 kündigt der Offenmarktausschuss (FOMC) an, während am Markt kaum mehr als einen Schritt einpreist.Man kann viel Verständnis für die Markt-Skepsis aufbringen. Seit Jahren verbreitet das FOMC die Erwartung rasch steigender Leitzinsen und lieferte zunächst (bis Ende 2015) nichts – und dann weitaus weniger, als es selbst in Aussicht gestellt hatte. Mein Punkt ist: Das Überraschungspotenzial auf der Dollar-positiven Seite ist deutlich höher als das Überraschungspotenzial auf der USD-negativen Seite.Noch langsamer, als der Markt erwartet, wird das FOMC kaum den US-Leitzins erhöhen. Kein Zinsschritt bis Ende 2018: Das würde de facto bedeuten, dass der Fed-Zinserhöhungszyklus schon wieder abgebrochen würde – weit bevor auch nur halbwegs normale Zinsniveaus erreicht wären. Solch ein Szenario wäre nur realistisch, wenn die USA einen Wachstumseinbruch erleben würden. Doch darauf deutet nichts hin. Die Konjunktur läuft von einzelnen schwachen Quartalen abgesehen gut.Andererseits kann man nicht ausschließen, dass die US-Zinsnormalisierung schneller abläuft, als der Markt erwartet. Sei es, dass die Ölpreise wieder heftig steigen, sei es, dass der US-Arbeitsmarkt doch höhere Lohninflation erzeugt. Die Liste der möglichen positiven Inflationsüberraschungen ist lang. Auf dieser Seite besteht für den Devisenmarkt mehr Überraschungspotenzial. Und damit erscheint neuerliche Dollar-Stärke wahrscheinlicher als noch mehr -Schwäche. Spannender HerbstDas Problem ist nur: In den nächsten Wochen ist kaum mit einem entsprechenden Auslöser zu rechnen. Das FOMC kann nicht mehr machen als reden. Das hat es bislang auch schon getan, ohne den Markt von seiner Zinssicht zu überzeugen. Spätestens im Herbst ist die ruhige Zeit aber definitiv vorbei. Dann muss das FOMC so langsam den Markt auf eine weitere Zinserhöhung in diesem Jahr vorbereiten, wenn es noch dazu steht. Und die EZB muss so langsam erklären, wann und mit welcher Geschwindigkeit sie ihr QE-Programm zurückzudrehen beginnt. Sollten wir eine Sommerflaute am Devisenmarkt erleben, spricht viel für einen heißen Herbst.—-*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.