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EZB-Anleihekäufe im Zenit

Von Christian Lenk *) Börsen-Zeitung, 6.9.2018 Die europäischen Währungshüter haben jüngst die Weichen für den weiteren Fortgang der Geldpolitik neu gestellt. Zum einen lässt die Forward Guidance der Notenbank-Oberen gegenwärtig darauf schließen,...

EZB-Anleihekäufe im Zenit

Von Christian Lenk *)Die europäischen Währungshüter haben jüngst die Weichen für den weiteren Fortgang der Geldpolitik neu gestellt. Zum einen lässt die Forward Guidance der Notenbank-Oberen gegenwärtig darauf schließen, dass bis über den Sommer 2019 hinaus nicht von einer Zinsanhebung auszugehen ist. Zum anderen haben die EZB-Vertreter entschieden, die Nettoneukäufe im Rahmen des Asset Purchase Programme (APP) zum Ende des Jahres zu beenden. In diesem Zusammenhang haben die Währungshüter hervorgehoben, dass den Reinvestitionen fälliger Wertpapiere nun eine größere Bedeutung zukommt.Bislang hat sich die EZB hinsichtlich dieser Thematik mit Informationen eher bedeckt gehalten hat. So hieß es im Zuge der Juli-Ratssitzung von Notenbankchef Mario Draghi lediglich, dass die Reinvestitionspolitik noch nicht thematisiert wurde. Die Währungshüter dürften aber nicht umhinkommen, in den kommenden Monaten etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Die Zentralbank steht dabei vor der Herausforderung, sich eine größtmögliche Flexibilität zu bewahren und zugleich für die Marktakteure nicht gänzlich unberechenbar zu sein. Kapitalschlüssel maßgeblichWir gehen davon aus, dass einige Grundpfeiler des APP auch mit Blick auf die Reinvestitionen weiter Bestand haben werden. So hat die Notenbank ihre Anleihekäufe im Rahmen des APP bislang am Kapitalschlüssel der EZB ausgerichtet. Den größten Anteil am (voll eingezahlten) EZB-Kapital hat derzeit Deutschland mit 25,7 %, gefolgt von Frankreich (20,3 %) und Italien (17,6 %). Dieser Fokus auf einen objektiven Maßstab sichert unserer Einschätzung nach die Glaubwürdigkeit und Reputation der Notenbank. So wird unter anderem verhindert, dass ein einzelner EWU-Staat gezielt unterstützt wird. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass der Kapitalschlüssel auch bei den Reinvestitionen maßgeblich bleiben wird. Hierauf lassen auch die jüngsten Äußerungen von EZB-Chef Draghi im Zuge der letzten Ratssitzung schließen.Den zweiten Grundpfeiler des APP stellt aus unserer Sicht die Marktneutralität dar. Die EZB hat im Rahmen des APP zwischenzeitlich Wertpapiere im Volumen von deutlich über 2 Bill. Euro erworben. Trotz dieses immensen Ankaufvolumens war die Notenbank stets bestrebt, die verschiedenen Marktsegmente in ihrer Funktionsfähigkeit und Preisbildung nicht zu beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang berücksichtigen die Währungshüter bei ihren Anleihekäufen unter anderem die Liquidität der ankaufbaren Wertpapiere.Zudem versucht die EZB, Verzerrungen zwischen den einzelnen Marktsegmenten zu vermeiden. Soweit es möglich ist, versucht die Notenbank also, “marktneutral” zu agieren. Ein Indiz hierfür ist, dass die gewichtete durchschnittliche Restlaufzeit der Anleihen im PSPP-Portfolio näherungsweise derjenigen von den jeweiligen Finanzagenturen emittierten Wertpapierportfolien entspricht.Als flankierende Säule des Programms erachten wir den Zeitraum, in dem die fällig werdenden Anleihen reinvestiert werden müssen. Um nicht unmittelbar nach Fälligkeit einer Anleihe am Finanzmarkt aktiv werden zu müssen, wurde festgelegt, dass Reinvestitionen über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten gestreckt werden können.Mit Blick auf eine Änderung oder Konkretisierung der Details ihrer Reinvestitionspolitik erwarten wir auf den kommenden EZB-Sitzungen jedoch keine massiven Umbrüche. In Summe gehen wir davon aus, dass die EZB das Reglement für die Reinvestitionsphase auch technisch so ausgestaltet, dass der Grad der Flexibilität so hoch wie möglich ist. Eine Verlängerung des Zeitraums, bis wann die Reinvestitionen von Fälligkeiten erfolgen müssen, erachten wir als sehr wahrscheinlich, während eine Abkehr vom Kapitalschlüssel oder von der Marktneutralität nicht zu erwarten ist. Kaum eine Operation Twist Insbesondere Ende Juni aufgekommene Spekulationen über eine mögliche Operation “Twist” könnten sich daher als überzogen darstellen: Eine dezidierte Konzentration der Reinvestitionen auf längere Laufzeiten erwarten wir nicht. Da jedoch die Duration der APP-Portfolien im Zeitablauf ceteris paribus auf natürlichem Weg abnimmt, müsste das Eurosystem allein aus technischen Gründen Käufe am langen Ende übergewichten. Diese würden so der stetig fallenden Restlaufzeit des APP-Portfolios entgegenwirken. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine “natürliche” Operation “Twist”, die keinen aktiven Ansatz verfolgt.Die europäischen Währungshüter haben bislang nicht konkret umrissen, über welchen Zeitraum sie die Reinvestition fälliger Wertpapiere fortführen wollen. Im geldpolitischen Statement heißt es lediglich, dass diese noch für eine “beträchtliche Zeit” fortgeführt werden sollen. Die EZB kann sich bei ihrem Vorgehen nur bedingt an anderen Notenbanken orientieren. Zwar hat eine Vielzahl an Zentralbanken im Zuge der Finanzmarktkrise ebenfalls Anleihekäufe vorgenommen, doch hat bislang lediglich die US-Notenbank eine Reduzierung der Zentralbankbilanz in Angriff genommen. Zunächst haben die US-Währungshüter im Oktober 2014 ihre Anleihekäufe im Rahmen des Quantitative Easing III beendet. Drei Jahre danach, im Oktober 2017, hat die Federal Reserve dann damit begonnen, ihre Bilanz aktiv zu vermindern.Sollte sich die EZB an diesem Zeitrahmen orientieren, würden die Reinvestitionen wohl zum Ende des Jahres 2021 eingestellt werden. Eine Umfrage von Bloomberg unter Finanzmarktteilnehmern hat ergeben, dass etwa 30 % der Befragten davon ausgehen, dass die Reinvestitionen nach etwa drei Jahren beendet werden. Allerdings rechnen 48 % der Umfrageteilnehmer bereits nach zwei Jahren mit einer Beendigung der Reinvestitionen und damit dem Auftakt zur Verminderung der Notenbankbilanz.Unserer Einschätzung nach ist davon auszugehen, dass sich die EZB weniger am Zeitrahmen der US-Notenbank orientiert, als vielmehr das weitere geldpolitische Vorgehen mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Eurozone verknüpft. Auf Basis der jüngsten konjunkturellen Entwicklung würde dies für ein Ende der Reinvestitionen zum Jahreswechsel 2022/23 sprechen.Das Ende der Reinvestitionen ist insofern relevant, als der Bestandseffekt die zentrale, Spread wie Rendite, beeinflussende Größe darstellt. Hierunter versteht sich der Zusammenhang zwischen dem kumulierten QE-Volumen und der hieraus resultierenden Rendite- beziehungsweise Spreadveränderung. Angesichts eines bis auf Weiteres konstanten APP-Bestandes dürften dessen positive Effekte damit weiter anhalten und deutlichen Spreadausweitungen entgegenstehen. Dennoch sind vor allem auf der Credit-Seite – ABS sowie Covered und Corporate Bonds – leichte Spreadausweitungen zu erwarten, da in diesen Segmenten das Eurosystem als besonders dominanter Nachfrager aufgetreten war.*) Christian Lenk (CFA) ist Senior-Rentenmarktstratege bei der DZ Bank.