KREDITWÜRDIG

EZB befindet sich in der Glaubwürdigkeitsfalle

Von Jan Holthusen *) Börsen-Zeitung, 3.11.2016 Auf dem alljährlichen Symposium der Kansas Fed in Jackson Hole hat der Ratspräsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi Ende August 2014 erstmals sehr deutlich seine Sorge darüber zum...

EZB befindet sich in der Glaubwürdigkeitsfalle

Von Jan Holthusen *)Auf dem alljährlichen Symposium der Kansas Fed in Jackson Hole hat der Ratspräsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi Ende August 2014 erstmals sehr deutlich seine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass die marktbasierten “Inflationserwartungen über alle Zeithorizonte hinweg deutlich zurückgegangen” seien. Dabei hob er besonders den aus fünf- und zehnjährigen Inflationsswaps zu ermittelnden Terminsatz (in fünf Jahren für fünf Jahre) hervor, der innerhalb weniger Wochen um rund 15 Basispunkte auf knapp 2 % gesunken sei. Bedeutung für die Kapitalmärkte bekam diese Größe, weil Draghi erklärt hatte, dass die EZB “dieses Maß gewöhnlich zur Bestimmung der mittelfristigen Inflation” verwende.In der Folge legte die EZB ein in ihrer Geschichte beispielloses Programm der monetären Lockerung auf. So wurden die Leitzinsen seitdem in drei Schritten auf immer neue historische Tiefstände gesenkt, neuartige Tendergeschäfte eingeführt und ein gigantisches Anleiheankaufprogramm von zunächst 60 Mrd. Euro beschlossen, das ein Jahr später um weitere 20 Mrd. Euro aufgestockt und um zusätzliche Assetklassen erweitert wurde. Zweifelhafte ProminenzDie von Draghi zitierten Inflationserwartungen reagierten hierauf jedoch nicht – im Gegenteil. So steht der 5×5-Terminsatz inzwischen bei nur noch wenig mehr als 1,25 % und das trotz der expansiven Maßnahmen, welche die Währungshüter in den vergangenen Jahren unternommen haben. Für die mittelfristige Entwicklung der Teuerung ist die Entwicklung der Inflationserwartungen zweifellos von erheblicher Bedeutung, so dass es wichtig ist, sie im Auge zu behalten. Ob es allerdings für eine Zentralbank sinnvoll ist, diese Größe mit den Instrumenten der Geldpolitik steuern zu wollen, ist zu bezweifeln. Mit seiner Aussage vor gut zwei Jahren hat Draghi dieser Größe eine Prominenz verschafft, die sie wahrscheinlich nicht verdient hat.Zwar hat die Geldpolitik in den vergangenen Jahren auch Positives bewirkt. So konnte in der EWU eine Rezession vermieden werden, die Kreditvergabe der Banken hat sich seitdem leicht erholt. Außerdem sind die Refinanzierungskosten für Konsumenten und Unternehmen weiter gesunken. Für die Glaubwürdigkeit der EZB ist es allerdings nicht förderlich, dass sie mit den Inflationserwartungen eine Größe zu einer Richtschnur für ihre Politik erklärt hat, die sie selbst nur ungenügend beeinflussen kann. Angesichts der Vielzahl und des Umfangs der seitdem getroffenen geldpolitischen Maßnahmen auf der einen und des nochmaligen deutlichen Rückgangs der Inflationserwartungen auf der anderen Seite muss bezweifelt werden, dass die Währungshüter in der Lage sind, diese Größe aktiv zu steuern. Es scheint vielmehr so zu sein, als habe der Verlauf der Teuerung einen wesentlich größeren Einfluss auf die Inflationserwartungen als die Politik der EZB. Und da die Entwicklung der Konsumentenpreise in den vergangenen zwei Jahren wiederum stark durch den Rohölpreis beeinflusst wurde, befindet sich die EZB nun in einer Glaubwürdigkeitsfalle, weil es, was diesen Indikator betrifft, so aussieht, als sei ihre Geldpolitik weitgehend wirkungslos verpufft. Der mögliche Einwand, dass die Erwartungen ohne die geldpolitischen Maßnahmen noch weiter zurückgegangen wären, kann in diesem Zusammenhang kaum überzeugen.Auch diese Entwicklung ist ein Anzeichen dafür, dass die expansive Geldpolitik – nicht nur in Europa – ihre Grenzen erreicht hat. Es mehren sich die Anzeichen, dass das bisherige Credo, immer mehr von der gleichen Medizin zu verabreichen, nicht mehr funktioniert. Damit wird klar, dass die Diskussion über eine weitere Erhöhung der Dosis zu einem Zeitpunkt, zu dem die Auswirkungen der vorigen Steigerung der Dosis noch nicht bekannt sind, nicht zur Gesundung des Patienten beiträgt. Hinzu kommt, dass die negativen Nebenwirkungen für Sparer, Investoren, die Marktliquidität und die Stabilität des Finanzsystems immer offensichtlicher werden. Ölpreis zeigt WirkungImmer deutlicher stellt sich nun die Frage, wie die EZB möglichst gesichtswahrend aus diesem Dilemma wieder herauskommen kann. Dabei könnte ihr gelegen kommen, dass der gestiegene Rohölpreis in den kommenden Monaten zu anziehenden Teuerungsraten führen dürfte. Wir rechnen hier für die Eurozone damit, dass die Marke von 1 % im ersten Quartal wieder überschritten wird. Mit anziehender Teuerung könnten dann auch die marktbasierten Inflationserwartungen wieder ansteigen, so dass die Forderungen nach immer neuen expansiven Maßnahmen abklingen sollten. Für eine Umkehr der Politik sollte das in den kommenden Monaten unserer Ansicht nach jedoch noch nicht reichen, aber allein die Erkenntnis, dass die Zeit immer neuer Lockerungen vorbei sein könnte, dürfte auch am Rentenmarkt den Abwärtsdruck von den Renditen nehmen.Mit der Erkenntnis, dass die Grenzen der expansiven Geldpolitik nun weitgehend erreicht sind, könnte sich in Europa die Diskussion über alternative Stützungsmaßnahmen für die schleppende Wirtschaftsentwicklung intensivieren. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Strukturreformen und eine solidere Budgetpolitik durchaus erfolgreich sein können, wie die Beispiele Irland und Spanien sowie in Ansätzen auch Portugal zeigen. Es ist aber auch offensichtlich geworden, dass die Wähler eine solche Entwicklung nicht (oder zu spät) honorieren und diejenigen Regierungen, die sich einer solchen Reformpolitik verpflichtet hatten, wieder abgewählt haben. Für den Euroraum insgesamt zeigt sich damit, dass für 2017 kaum mit Rückenwind aus der Umsetzung grundlegender Reformen in den vergangenen Jahren zu rechnen ist – von der Etablierung eines robusten und selbsttragenden Aufschwungs ganz zu schweigen. Grenzen sind erreichtDa gleichzeitig die Geldpolitik ihre Grenzen erreicht hat, dürfte in den kommenden Monaten der Ruf nach fiskalischer Stimulierung immer lauter werden. Die Unfähigkeit oder der Unwille zu Strukturreformen einerseits und das Erreichen der Grenzen der Geldpolitik andererseits lassen die Notwendigkeit einer fiskalischen Stimulierung geradezu zwingend erscheinen. Schon jetzt gibt es Stimmen aus dem Internationalen Währungsfonds und von Seiten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die zu mehr Impulsen in diese Richtung auffordern. Dass solche Forderungen in weiten Teilen des Euroraumes auf fruchtbaren Boden fallen dürften, steht außer Frage. Damit nimmt auch der Druck auf Deutschland zu, einer noch großzügigeren Auslegung der von vielen zunehmend als Fessel empfundenen Maastricht-Kriterien zuzustimmen – angesichts der seit der Staatsschuldenkrise teilweise massiv angestiegenen Schuldenquoten eine fragwürdige Tendenz, an der auch der EZB im Sinne nachhaltig stabiler Staatsfinanzen nicht gelegen sein kann.—-*) Jan Holthusen ist Leiter des Fixed Income Research der DZ Bank.