IM INTERVIEW: ALESSANDRO TENTORI, CITIGROUP

"EZB wird ihre Zinsen weiter senken"

Stratege rechnet mit moderatem Anstieg der Staatsanleiherenditen und einem etwas festeren Euro

"EZB wird ihre Zinsen weiter senken"

Mit dem Einstieg der Fed in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik ist eine wichtige Weichenstellung für das nächste Jahr erfolgt. Insbesondere die Zins- beziehungsweise Anleihemärkte sowie auch die Währungen werden davon betroffen sein. Die Börsen-Zeitung hat Alessandro Tentori, den Leiter der internationalen Zinsstrategie der Citigroup, zu seiner Markteinschätzung befragt.- Herr Tentori, wie werden sich die Treasury- und die Bundrenditen Ihrer Einschätzung nach im kommenden Jahr entwickeln?Wir erwarten einen Anstieg, aber keineswegs in dramatischer Weise. Für die Treasuries gehen wir im Zehnjahresbereich von einem Anstieg in einen Bereich von 3,25 % bis 3,40 % zum Ultimo aus. Für die Bundesanleihen erwarten wir allenfalls einen minimalen Anstieg. Unsere Prognose für das Jahresende lautet auf 1,80 % bis 2 %. Die Sensitivität der Bundesanleihen für Bewegungen der Treasuries hat in diesem Jahr stark nachgelassen und wir gehen auch für das neue Jahr von einer geringen Sensitivität aus. Zudem wird die sich öffnende geldpolitische Kluft zwischen Euroland und den USA ein Thema sein.- Was erwarten Sie denn von der EZB?Die EZB wird ihre Zinsen weiter senken. Wir erwarten eine Reduzierung des Refinanzierungssatzes auf 0 % und außerdem des Einlagensatzes auf – 0,1 % in der ersten Hälfte des Jahres, wie das die dänische Zentralbank bereits gemacht hat.- Welche Erfahrungen haben die Dänen damit gemacht?Nun, die Beweggründe waren andere als die der EZB. Der dänischen Notenbank ging es in der Schuldenkrise, als die Krone als Safe-Haven-Währung unter Aufwertungsdruck stand, darum, die Landeswährung stabil zum Euro zu halten. Ansonsten waren die Resultate sehr bescheiden. Die Banken haben negative Zinsen nicht auf die Sparer überwälzt, und es gab auch keinen Anstieg in der Darlehensvergabe.- Ebendieses Problem hat die EZB doch auch.Genau. Der Transmissionsmechanismus funktioniert nicht; weder die konventionellen noch die unkonventionellen Maßnahmen greifen. Das billige Geld sollte eigentlich an die Unternehmen in Form von Krediten gehen. Stattdessen werden die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte an die Notenbank zurückgezahlt. Die Banken finden keine Nachfrage nach Krediten, weil die Unternehmen mit Investitionen nach wie vor sehr zurückhaltend sind. Zum anderen gehen große Unternehmen nicht mehr im früher üblichen Ausmaß zur Hausbank, sondern finanzieren sich verstärkt über den Kapitalmarkt, weil die Konditionen dort derzeit sehr günstig sind. Die kleineren Unternehmen können das nicht, was ein Problem ist, weil sie kaum Kredite erhalten.- Ist das nicht auch eine Folge der Regulierung?Basel III spielt eindeutig eine Rolle. Wenn eine Bank in Staatsanleihen investiert, wird das mit 0 % risikogewichtet. Dagegen muss ein Unternehmenskredit zu 100 % mit Kapital unterlegt werden. Das verteuert die Kreditvergabe. Hinzu kommt: Je mehr Staatsanleihen etwa spanische und italienische Banken kaufen, desto weniger Mittel können sie den Unternehmen zur Verfügung stellen. In beiden Ländern entfallen auf die Banken 60 % der Nachfrage nach Staatsanleihen. Das ist ein sehr hoher Wert.- Teilen Sie die vielfach geäußerte Auffassung, dass die sich auftuende geldpolitische Kluft zwischen den USA und Euroland den Dollar gegen den Euro stärken wird?Wir sind da anderer Ansicht. Wir glauben, dass die langfristigen fundamentalen Faktoren, also die starke Leistungsbilanzsituation Eurolands, den Tapering-Effekt überwiegen werden. Daher gehen wir von einem festeren Euro aus. Wir erwarten aber auch hier keine dramatische Entwicklung, sondern einen moderaten Anstieg auf 1,40 Dollar. Dafür spricht auch die Marktpositionierung. Sehr viele Marktteilnehmer setzen auf eine Abwertung des Euro.- Würde das nicht für neue Probleme im Euroraum sorgen?Es ist in der Tat unklar, ob nicht die EZB ein Interesse daran haben könnte, den Euro zu schwächen, wie das die Schweizerische Nationalbank mit dem Franken gemacht hat. Ein durch Leistungsbilanzüberschüsse starker Euro ist für die Konjunktur kein gutes Zeichen, wenn die Region auf Exporte setzt. Die Notenbank könnte also theoretisch sagen: “Ab 1,35 Dollar geben wir Euch alles.” In der Schweiz und auch kürzlich in Tschechien hat das sehr gut funktioniert. Allerdings wäre dies eine komplett neue Politik für die EZB. Hinzu kommt, dass sie dann fremde Assets wie Treasuries kaufen würde.- Wie schätzen Sie nach dem schwachen Jahr 2013 die Aussichten für die Emerging Markets ein?Der Tapering-Effekt ist unserer Einschätzung nach bereits zu zwei Dritteln in den Emerging Markets eingepreist, vor allem in anfälligeren Ländern wie Brasilien, Indonesien und Südafrika. Die große Bewegung hat damit zwischen Mai und September schon stattgefunden. Die zweite große Variable für die Schwellenländer ist China. Wie schnell schafft China den Übergang von einem Investitionsmodell in ein Konsummodell, und schafft es das Land, ohne das Wachstum allzu stark abzuschwächen? Einige Länder wie Indonesien befinden sich diesbezüglich in einer problematischen Lage.- Wird der Yen weiter abwerten?Auch hier ist unserer Meinung nach die große Bewegung schon gelaufen. Wir erwarten den Dollar Ende 2014 bei 105 Yen und damit nur unwesentlich oberhalb des aktuellen Niveaus. Der japanische Aktienmarkt kann unserer Meinung nach allerdings bei einer stabilen Währung weiter laufen. Wir sehen auf der Aktienseite Europa im nächsten Jahr aufgrund der günstigen Bewertung vorne, gleich gefolgt von Japan. US-Aktien werden dagegen aufgrund der relativ hohen Bewertung wahrscheinlich nicht der Renner wie im Jahr 2013.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.