"Fed erhöht Zins im Juni noch nicht"
Zeitpunkte und Tempo der kommenden Leitzinsanhebungen der US-Notenbank Fed zählen zu den Fragen, die die Marktteilnehmer derzeit am intensivsten beschäftigen. Erik Norland, Senior Economist der CME Group, ist überzeugt, dass der nächste Zinsschritt der Zentralbank nicht mehr lange auf sich warten lassen wird, wie er im Interview erklärt.- Herr Norland, was sagen die Future-Kontrakte der CME über die Einschätzung des Marktes über Leitzinserhöhungen der Fed?Die in den Fed Fund Futures implizierte Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Leitzinserhöhung im Juni sind nach dem jüngsten Fed-Protokoll deutlich revidiert worden. Der Markt preist nun eine Wahrscheinlichkeit von 80 % ein, dass die Fed in diesem Jahr eine Leitzinserhöhung beschließen wird. Vor dem Protokoll lag dieser Wert bei rund 50 %. Die Futures preisen sogar eine Wahrscheinlichkeit von 53 % ein, dass es bis zur Fed-Sitzung am 27. Juli zu einer Zinserhöhung kommen wird.- Wann wird die Fed Ihrer Meinung nach zur Tat schreiten?Die Fed wird den Leitzins im Juni wahrscheinlich noch nicht erhöhen. Denn sie hat den Markt noch nicht adäquat auf eine Erhöhung vorbereitet. Allerdings könnte sich auch das noch ändern, wenn die Beschäftigungsdaten vom Mai sehr stark ausfallen sollten. Erhöht die Fed nicht bis zum 27. Juli, könnte es ihr schwerfallen, das in den Sitzungen am 21. September oder am 2. November zu tun, weil sie während der Hochphase des Präsidentschaftswahlkampfs stattfinden.- Unterschätzt der Markt das Ausmaß der bevorstehenden Leitzinsanhebungen?Es gibt auf jeden Fall eine Lücke zwischen dem, was die Fed über das, was sie gerne machen würde, sagt, und dem, was der Markt einpreist. Im Dezember scheinen die Mitglieder des Offenmarktausschusses vier Leitzinserhöhungen für dieses Jahr erwartet zu haben. Seinerzeit implizierten die Fed Funds zwei Anhebungen als das wahrscheinlichste Ergebnis. Bis zum März haben die Mitglieder des Offenmarktausschusses ihre Erwartungen auf zwei Schritte revidiert, während der Markt gegenwärtig nur einen Schritt einpreist. Bislang waren die Märkte genauer als die Fed bei der Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Zinspolitik. Zwar könnte die Fed mehr Erhöhungen beschließen, als der Markt derzeit erwartet. Aber es gibt ein paar Faktoren, die sie zurückhalten.- Welche Faktoren sind das?Zum einen, und das ist am wichtigsten, ist die Inflation immer noch zu niedrig. Das von der Fed bevorzugte Inflationsmaß, der Core PCE Deflator, steigt derzeit im Vergleich zum Vorjahr nur um 1,6 % und liegt damit unter dem Ziel der Fed. Die Inflationsrate ist aufgrund des vorübergehenden Ölpreisverfalls sogar niedriger. Zweitens liegt die Gesamtverschuldung der USA bei 250 % des Bruttoinlandsprodukts. Dadurch reagiert die Wirtschaft empfindlicher auf Zinsanhebungen als in der Vergangenheit. Allerdings ist der Arbeitsmarkt nach wie vor robust.- Was erwarten Sie von der Fed?Ich gehe davon aus, dass die Fed in diesem Jahr eine Anhebung beschließen wird. Der Markt erwartet auch für 2017 einen Zinsschritt. Wenn aber der Arbeitsmarkt stark bleibt und die Inflation weiter steigt, könnte sich die Fed im kommenden Jahr für eine aggressivere Vorgehensweise entscheiden.- Ist die US-Volkswirtschaft stark genug für Leitzinserhöhungen?Die extrem hohe private und öffentliche Verschuldung sorgt dafür, dass die amerikanische Volkswirtschaft nun sensitiver für Zinserhöhungen ist als in der Vergangenheit, als das Verschuldungsniveau niedriger war. Die könnte das Ausmaß der Erhöhungen und auch die Geschwindigkeit begrenzen, mit der die Zinsen angehoben werden können. Allerdings spannt sich der Arbeitsmarkt an und steigt die Inflation. Dies würde für ein allmähliches Anziehen der Zügel sprechen. Jedoch sollte die Fed darauf achten, nicht die Zinskurve zu invertieren, indem sie die kurzen Zinsen über das Niveau der langen Zinsen anhebt. Denn dies würde die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe reduzieren und eine Rezession auslösen, für deren Bekämpfung der Fed dann nur wenig Munition zur Verfügung stehen würde.- Warum hat der Dollar seine Aufwertung unterbrochen?Abnehmende Erwartungen an Leitzinserhöhungen der Fed haben den Dollar belastet. Zudem gehen die Experimente mit negativen Einlagensätzen in Europa und Japan möglicherweise nach hinten los und ziehen die Zügel eher an, als sie zu lockern. Sowohl der Yen als auch der Euro haben sich zum Dollar erholt, nachdem die jeweiligen Zentralbanken negative Einlagensätze eingeführt hatten, die im Wesentlichen das Bankensystem besteuern.- Rechnen Sie mit einer weiteren Aufwertung des Dollar?Wenn die Fed die Zinsen schneller erhöht, als der Markt derzeit erwartet, oder die amerikanischen Wirtschaftsdaten die Erwartung schnellerer Anhebungen schüren, könnte der Dollar seinen Aufwärtstrend gegen andere Währungen wieder aufnehmen. Negative Ausleihesätze in Europa und Japan könnten im Gegensatz zu negativen Einlagesätzen diese Währungen ebenfalls schwächen und den gegensätzlichen Effekt der negativen Ausleihesätze teilweise kompensieren.- Die Ölpreise sind auf das höchste Niveau seit mehr als einem halben Jahr gestiegen. Welche Hauptursachen sind dafür verantwortlich?Die US-Rohölförderung ist in den Jahren 2004 bis 2008 von 5 auf mehr als 9 Millionen Barrel pro Tag gestiegen. Dies hat mehr als jeder andere Faktor zum weltweiten Kollaps der Ölpreise in der Spätphase des Jahres 2014 und im zurückliegenden Jahr beigetragen. Die amerikanische Förderung beginnt allerdings zu sinken. In den zurückliegenden zwölf Monaten ist sie von 9,4 auf 8,8 Millionen Barrel pro Tag gesunken. Das stützt die Preise.- Werden die Ölpreise weiter steigen?Die Öl-Futures-Kurve ist extrem flach. Die Terminmarktpreise für die Sorte WTI bis zum Ende des Jahrzehnts liegen durchschnittlich bei 50 Dollar. Dies deutet im Prinzip darauf hin, dass der Markt die jüngste Rally der Ölpreise für nicht nachhaltig hält. Die implizierte Volatilität der Optionen ist mit rund 50 % extrem hoch. Das deutet darauf hin, dass zwar die Ölpreise möglicherweise bis zum Ende der Dekade durchschnittlich bei 50 Dollar liegen werden, dabei sich aber in einer weiten Spanne bewegen könnten. Wir haben möglicherweise um 25 Dollar den unteren Rand der Spanne gesehen, aber wir wissen noch nicht, wo das obere Ende ist. Es könnte bei 80 bis 100 Dollar liegen.- Wie wird sich das Angebots-Nachfrage-Gefüge entwickeln und auf die Ölpreise auswirken?Die extrem hohe Lagerhaltung könnte einen weiteren Anstieg der Ölpreise verhindern. Die Lagerhaltung steigt immer noch dramatisch an und befindet sich auf rekordhohem Niveau, zumindest in den USA, wo sie wöchentlich gemessen wird. Bevor der Abbau der Vorräte beginnt, fällt es schwer zu behaupten, dass die Ölpreise nachhaltig steigen können. Der Hauptimpuls für höhere Preise könnte von Instabilität in Ölförderländern kommen. Die anfälligsten Länder wie Algerien, Angola, Irak, Nigeria und Venezuela sind durch die niedrigeren Ölpreise wirtschaftlich geschädigt worden und haben wenig Gegenmittel in Form von Währungsreserven von Sovereign-Wealth-Fonds, um den Schlag für die Wirtschaft abzufedern. Instabilität in diesen Ländern und insbesondere in den finanziell gut ausgestatteten Golfstaaten könnte die Ölpreise anziehen lassen. Jedoch würden höhere Ölpreise einen Wiederanstieg der US-Förderung sowie eine Produktionserhöhung in anderen Ländern auslösen. Daher könnte jede Bewegung auf ein Niveau von 80 bis 100 Dollar, die von Instabilität in Ölförderländern ausgelöst wird, recht schnell einen Schub neuen Angebots aus den USA zur Folge haben.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.