TECHNISCHE ANALYSE

Füchse interessieren sich für Versorger

Von Daniel Haase *) Börsen-Zeitung, 25.9.2013 In den Schriften des antiken griechischen Dichters Archilochus findet sich der Vers: "Viele Dinge weiß der Fuchs, aber der Igel weiß nur eine große Sache." Der wesentliche Unterschied zwischen...

Füchse interessieren sich für Versorger

Von Daniel Haase *)In den Schriften des antiken griechischen Dichters Archilochus findet sich der Vers: “Viele Dinge weiß der Fuchs, aber der Igel weiß nur eine große Sache.” Der wesentliche Unterschied zwischen technischer und fundamentaler Analyse wie auch zwischen Trendfolgern und Contrarians gleicht meines Erachtens jenem zwischen Fuchs und Igel. Letztlich bleiben uns in Anbetracht begrenzter zeitlicher Ressourcen nur zwei Optionen: Wir können entweder versuchen, sehr viel Wissen über weniges oder ein wenig über vieles zu erlangen.Füchse gelangen in der Börsenwelt früher oder später zur technischen Analyse und vermutlich auch zur Trendfolge. Aufgrund ihrer höchst unterschiedlichen Herangehensweisen gibt es nur selten Titel, die sowohl für trendfolgend als auch für antizyklisch agierende Investoren von Interesse sind. Umso spannender wird es, wenn dies – wie aktuell bei Energieversorger-Aktien – einmal der Fall ist. Veränderte EinschätzungWegen ihrer von konjunkturellen Schwankungen weitgehend unabhängigen Gewinnentwicklung und ihrer sicheren Rendite galten Versorgeraktien über Jahrzehnte als eher langweilige, aber grundsolide “Witwen-und-Waisen-Papiere”. Zumindest über Langeweile konnten sich die Aktionäre von Energieversorgern in den zurückliegenden fünf Jahren nicht mehr beschweren. Vergleicht man die aktuellen Notierungen mit den 2007/08er-Vorkrisenhochs, so erlitt unter den Sektorindizes des Stoxx Europe 600 einzig jener für Banken ( – 66 %) höhere Verluste als der für Versorger ( – 51 %). Die Einschätzung des Sektors aus Sicht der Anleger hat sich grundlegend ins Negative gewandelt.Der relative wie auch absolute Niedergang des Versorgersektors wird in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach mit der sogenannten Energiewende in Verbindung gebracht, welche die deutsche Politik als Reaktion auf die Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima vollzog. Doch taugt die Energiewende als alleinige Erklärung? Wohl kaum.Zum einen setzte die Underperformance des Sektors bereits im November 2008 und damit 28 Monate vor dem Unglück ein. Vom 19. November 2008 bis zum 11. März 2011 hinkte der Versorgerindex dem Stoxx Europe 600 bereits um glatte 50 Prozentpunkte hinterher ( – 8 % statt + 42 %). Zum anderen wurden die politischen Weichen im Anschluss an die Katastrophe außerhalb Deutschlands wenn überhaupt dann nur moderat neu justiert. Die unterdurchschnittliche Entwicklung des Sektors ( – 14 % statt + 14 % im Stoxx Europe 600) setzte sich jedoch fort. Eine mit dem Geschehen besser übereinstimmende Erklärung bietet die Annahme einer gewachsenen Abhängigkeit bei der Gewinnentwicklung von konjunkturellen Schwankungen (in Verbindung mit recht hohen Schulden). Wenn dies so ist, dann gibt es aktuell nicht nur für Igel, sondern auch für Füchse gute Gründe, sich den Sektor mal etwas näher anzuschauen.Seit dem 15. Juli gewinnen Versorgeraktien (+ 9,4 %) relativ zum Stoxx Europe 600 (+ 5,1 %), aber auch zum Dax (+ 4,9 %) kontinuierlich an Terrain. Gegenüber den bis zum Frühjahr 2013 sehr beliebten, vermeintlich defensiven Sektoren Konsumgüter (+ 1,1 %), Nahrungs- und Genussmittel (+ 0,4 %) und Gesundheit ( – 1,2 %) ist der Abstand noch deutlich größer. Positiv fällt obendrein auf, dass diese relative Trendwende gelang, obwohl der Strom negativer Nachrichten noch nicht abgerissen ist.Die vor ein paar Tagen angekündigte Dividendenhalbierung bei RWE beispielsweise beeindruckte die Börsianer nur für ein paar Stunden. Wenn jedoch die absoluten und relativen Kurse seit zwei Monaten zulegen und neue negative Nachrichten keine neuen, nachhaltig negativen Kursreaktionen mehr hervorzurufen vermögen, dann stehen die Chancen auf eine große Trendwende recht gut.Hinzu kommt: Nicht nur die relative, sondern auch die absolute Kursentwicklung im Sektor erscheint aussichtsreich. Bereits ein Anstieg von moderaten 3 % würde ausreichen, um die seit über zwei Jahren anhaltende Bodenbildungsphase zu beenden und einen Ausbruch nach oben zu starten. Dies würde mit hoher Sicherheit weitere Trendfolger in den Sektor ziehen.Innerhalb des Stoxx Europe 600 Utilities haben britische Versorger das höchste Ländergewicht (37 %). Doch während sie seit dem 15. Juli im Schnitt nur + 2,4 % gewannen und mit United Utilities ( – 1,5 %), National Grid ( – 2,2 %) und Scottish & Southern ( – 2,6 %) alle drei Schlusslichter stellen, legten die Versorger aus der Eurozone zeitgleich um satte + 11,4 % zu. Auf den Top-Plätzen befinden sich beispielsweise die italienische Enel (+ 21,4 %), Frankreichs GDF Suez (+ 20,3 %) sowie Österreichs Verbund und Spaniens Endesa (jeweils + 17,6 %). Die beiden deutschen Versorger RWE (+ 9,5 %) und Eon (+ 9,4 %) bewegen sich im Mittelfeld.Letztlich gilt auch in der technischen Analyse der Ausspruch von John Maynard Keynes: “Es ist besser, vage richtigzuliegen, als präzise falsch.” Ob sich die noch junge Erholung der Versorgeraktien zu einer großen Trendwende weiterentwickeln kann, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Allerdings sind die aktuellen Aussichten so gut, dass erste Positionierungen im Sektor schon jetzt gerechtfertigt erscheinen.—-*) Daniel Haase ist technischer Analyst und Inhaber von folgedemtrend.de.