DEVISENWOCHE

Für China ist die Krise auch eine Chance

Von Stefanie Holtze-Jen *) Börsen-Zeitung, 29.9.2020 Das chinesische Wort für "Krise", "weiji", setzt sich aus zwei Schriftzeichen zusammen, die einzeln gelesen "Gefahr" ("wei") und "Chance" ("ji") bedeuten. In einer Krise zu wachsen und gestärkt...

Für China ist die Krise auch eine Chance

Von Stefanie Holtze-Jen *)Das chinesische Wort für “Krise”, “weiji”, setzt sich aus zwei Schriftzeichen zusammen, die einzeln gelesen “Gefahr” (“wei”) und “Chance” (“ji”) bedeuten. In einer Krise zu wachsen und gestärkt aus ihr hervorzugehen, ist Teil der Sprache und damit Spiegel der chinesischen Kultur. Und an Krisen hat es in den vergangenen Jahren nicht gemangelt, folgten auf die große Finanzkrise doch zunächst der Handelskonflikt und nun die Coronavirus-Pandemie.Das im Mai eingeführte neue Entwicklungsmodell, mit dem China dieser jüngsten Krise begegnen will, beinhaltet eine Strategie der “doppelten Zirkulation”. Konkret bedeutet dies, dass sich das Land in der nächsten Phase seiner wirtschaftlichen Entwicklung hauptsächlich auf die “inländische Zirkulation” stützen wird, einen internen Zyklus aus Produktion, Vertrieb und Verbrauch. Dies wird durch den “internationalen Verkehr” flankiert, in dem sich China weiter in die Weltwirtschaft integriert und seine Türen für mehr ausländische Güter, Dienstleistungen und Kapital öffnet. Chinas neuer MarschChina steuert damit nach Aussagen der Regierung nicht nur in strategischen Bereichen auf eine neue Autonomie zu. Das Politbüro in Peking strebt offenbar auch insgesamt eine weitgehende Abkoppelung von den USA an. Statt importierter Waren sollen Chinas Verbraucher mehr heimische Produkte kaufen und so den Binnenmarkt und die eigenen Unternehmen stärken. Zulieferungen aus dem Ausland sollen reduziert werden, wo immer es geht. Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen am 3. November 2020 wird an diesem Marsch – wenn überhaupt – wohl nur die Geschwindigkeit der Umsetzung und nicht die generelle Richtung beeinflussen. So werden wir anlässlich der ersten Fernsehdebatte zwischen Präsident Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden am Dienstag live mitverfolgen können, dass die Unnachgiebigkeit gegenüber China den Wahlkampf beider Kandidaten gleichermaßen prägt. Formalisiert wird der 14. Fünf-Jahres-Plan der chinesischen Regierung schon bald im Oktober durch die Spitzen der Kommunistischen Partei. Er wird dann von 2021 bis 2025 gelten.Einige interessante Entwicklungen hinsichtlich des “internationalen Verkehrs” gab es kürzlich bereits für die Devisenmärkte. Das China Foreign Exchange Trade System (CFETS) kündigte vergangene Woche eine verbesserte Devisenvereinbarung für Anleger im Rahmen des Bond Connect an. Bond-Connect-Anleger können nun nach einer Registrierung beim CFETS bei bis zu drei Abwicklungsbanken in Hongkong Devisen-Konvertierungs- und Absicherungsaktivitäten im Zusammenhang mit Onshore-Anleihen durchführen. Vor der Änderung konnte der Bond-Connect-Investor nur Devisentransaktionen mit seiner Depotbank durchführen.Die Liberalisierung der Devisenhandelsvereinbarungen für den Bond Connect kam schneller als allgemein erwartet. Sie folgte ähnlichen Vereinbarungen bei anderen Zugangsprogrammen wie CIBM, QFII sowie RQFII und kam nur kurz nach einer Bemerkung von Charles Li, dem CEO der Hongkonger Börse, dass weitere Produkte bald unter Bond Connect verfügbar sein werden. Die Verbesserung verringert die betriebliche Lücke zwischen Bond Connect und anderen Zugangsprogrammen und stärkt so die Attraktivität des Bond-Connect-Programms. Am Freitag vergangener Woche gab FTSE Russell dann bekannt, dass chinesische Staatsanleihen in den FTSE-World-Government-Bond-Index (WGBI) aufgenommen werden. Die vorangegangenen Verbesserungen bei der Infrastruktur des chinesischen Markts für Staatsanleihen hatten dies ermöglicht. Im Juni 2018 wurden bereits chinesische A-Aktien in die MSCI-All-Country-World- und die MSCI-China-Indizes aufgenommen. Seit April 2019 wurden chinesische festverzinsliche Wertpapiere in den Bloomberg-Barclays-Global-Aggregate-Bond-Index einbezogen. Nun folgt der WGBI.Kurzfristig scheint die Einbeziehung in den WGBI für den Renminbi nur leicht positiv und für chinesische Anleihen weitgehend neutral bewertet zu werden, da der Zeitpunkt für eine Einbeziehung relativ weit entfernt liegt. Nach vollständiger Einbeziehung und unter Ankündigung einer zwölfmonatigen statt einer wie üblich zwanzigmonatigen Einschlussfrist könnten jedoch signifikante monatliche passive Zuflüsse in den Renminbi zwischen Oktober 2021 und September 2022 folgen. Hochrechnungen gehen von passiven Zuflüssen durch Anpassungen der Benchmark von etwa 140 Mrd. bis 170 Mrd. Dollar aus.Es ist anzunehmen, dass die Zuflüsse in China-Anleihen hauptsächlich auf Kosten von G3-Anleihen gehen werden. China wird nach der Aufnahme der sechstgrößte Markt im Index und der nach Mexiko zweithöchste Ertragsmarkt im WGBI. Die wichtigste Erkenntnis jedoch ist, dass China in Zukunft als entwickelter Markt anstatt als Schwellenland betrachtet wird. Die WGBI-Aufnahme trägt auch dazu bei, chinesische Anleihen für mehr Investoren zu legitimieren, insbesondere da die People’s Bank of China (PBOC) ihren geldpolitischen Kurs stabil hält, während der Rest der Welt die Zinsen senkt. Die jüngsten raschen technischen Verbesserungen über Devisenhandelsvereinbarungen, Depotbankvereinbarungen sowie grenzüberschreitende Überweisungen bedeuten einen starken Anreiz für die chinesischen Behörden, ihren heimischen Kapitalmarkt angesichts des gegenwärtigen Fensters einer erhöhten Auslandsnachfrage nach in Renminbi denominierten Investitionen weiter zu öffnen.Flankiert werden die Maßnahmen zur Öffnung für den “internationalen Verkehr” durch die Erwartung, dass der digitale Renminbi künftig in Hongkong als Pilotprojekt dem internationalen Finanzmarkt zur Verfügung gestellt wird. Chinas digitale Zentralbankwährung wird nach erfolgreichem Pilotprojekt nun in der kompletten südchinesischen Greater Bay Area (GBA) eingeführt. Die GBA besteht aus neun chinesischen Festlandstädten (Guangzhou, Shenzhen, Huizhou, Dongguan, Zhuhai, Zhongshan, Jiangmen, Foshan und Zhaoqing) und zwei speziellen Verwaltungsregionen (Macau und Hongkong) mit einer Gesamtbevölkerung von 69 Millionen Menschen.Im Bereich der digitalen Zentralbankwährungen hat China die Nase vorn. Während das Land schon mit der Einführung beschäftigt ist, tastet sich die Europäische Zentralbank erst an das Thema heran. Notenbankchefin Christine Lagarde kündigte vergangene Woche an, man wolle bald mit einer Konsultation der Öffentlichkeit zum digitalen Euro beginnen.Bei gleichbleibender Geschwindigkeit kann China die Pandemie also eventuell dazu nutzen, zehn Jahre Reform in nur zwei Jahren zu greifbaren Erfolgen umzuwandeln. So macht man aus einer Krise eine Chance. Die heimische Währung Renminbi, die zuletzt gut zugelegt hat, wird aufgrund dieser Zielsetzung weiterhin mindestens stabil bleiben, eventuell sogar mit leichter Aufwärtstendenz gemanagt werden. *) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der Fondsgesellschaft DWS.