TECHNISCHE ANALYSE

Für den Dax ist es fünf vor zwölf

Von Stephen Schneider*) Börsen-Zeitung, 9.9.2015 Nach den deutlichen Verlusten Ende August, als der Dax Ausverkauf-ähnliche Strukturen zeigte, haben die Bullen sehr schnell einen kleinen Teil des verlorenen Terrains zurückerobert. Zuletzt...

Für den Dax ist es fünf vor zwölf

Von Stephen Schneider*)Nach den deutlichen Verlusten Ende August, als der Dax Ausverkauf-ähnliche Strukturen zeigte, haben die Bullen sehr schnell einen kleinen Teil des verlorenen Terrains zurückerobert. Zuletzt stagnierte der Index aber bereits wieder, und ein erhoffter Befreiungsschlag blieb bisher damit aus. Nun gilt es die Kursstruktur der letzten Handelstage einzuschätzen. Handelt es sich hierbei lediglich um eine Erholung oder wurde bereits der Grundstein einer Trendwende eingeleitet?Die Betrachtung der Elliott-Wellen spricht zumindest für eine negative Entwicklung, denn zur Komplettierung des idealtypischen Musters fehlt noch eine Abwärtswelle. Sollte sich diese Sichtweise bewahrheiten, müssten die Notierungen aber sinken. Die zyklische Betrachtung würde dann für nachgebende Kurse bis zum 21. September sprechen. Dieser Blickwinkel gewinnt zusätzlich an Bedeutung, weil am Freitag davor der Hexensabbat ansteht. Mit einem erneuten Rücksetzer würde auch der klassischen Charttechnik Rechnung getragen, denn damit würde “ein zweites Standbein” ausgeprägt. Die mögliche Folge wäre eine W-Formation, die oft eine Wende einleitet. Wichtige UnterstützungenKeinesfalls sollten die Notierungen deutlich unter die letzte Unterstützung bei 9 220 Punkten fallen, denn dann wäre der Weg frei bis zu dem Tiefpunkt des letzten Jahres von 8 350 Zählern. Problematisch wäre solch ein Rücksetzer auch für die Struktur im langfristigen Chart, denn bei Wochenschlusskursen unter 10 000 Punkten würde ein übergeordnetes Verkaufsignal generiert werden. Insgesamt sollte die Aufwärtsbewegung von September 2011 bis zum letzten April dann korrigiert werden. Mit dem bisherigen Rücksetzer seit dem Frühjahr wäre es dann vermutlich nicht getan. Vielmehr könnte eine Baisse folgen, die sich bis zum Frühsommer 2016 erstrecken dürfte.In diesem Zusammenhang macht auch die Betrachtung der anderen weltweit wichtigen Indizes keinen Mut. Der chinesische Aktienindex CSI 300 konnte sich zuletzt zwar bei deutlich über 3 000 Punkten stabilisieren, das idealtypische Ziel dar aktuellen Abwärtsbewegung liegt aber bei 2 700 Zählern und wurde damit noch nicht erreicht. Anzeichen, die auf eine Wende deuten, sind nicht erkennbar. Vielleicht kann sich der Dax zum Teil abkoppeln, sollte sich der CSI 300 aber tatsächlich auf den Weg zu dieser Marke machen, dürfte die Bewegung auch am Dax nicht spurlos vorübergehen.Schließlich spricht auch das Indikatorenbild für eine abwartenden Haltung. Der RSI hat Ende August zwar im überverkauften Bereich gedreht, doch steigt der Oszillator in einem ersten Schritt oft nur bis zum neutralen Bereich an, in dem er sich zurzeit bereits befindet. Zudem beschreibt er nur das kurzfristige Geschehen. Die Linien des mittel- bis langfristigen MACD sind hingegen weiter nach unten ausgerichtet. Ein Ende der mittlerweile mittelfristigen Abwärtsbewegung ist damit nicht in Sicht.Bei all diesen negativen Aussichten lässt sich aber auch ein Lichtblick finden, denn zurzeit besteht noch die Möglichkeit einer V-Formation. Diese Kursstruktur könnte wiederum für Gewinne bis zum nächsten März sorgen. Sogar neue historische Höchstkurse könnten die Folge sein, die momentan utopisch erscheinen und vermutlich nur die wenigsten Anleger für möglich halten. Gerade diese pessimistische Haltung, die sich durch diverse Sentiment-Umfragen belegen lässt, würde sich dann eventuell als eine Triebfeder für das deutsche Aktienbarometer entpuppen: Nach und nach würde das Interesse der Anleger bei einem anziehenden Dax wieder steigen. Die Konsequenz wäre eine eventuell langsame, dafür aber stetig anziehende Aufwärtsbewegung. Voraussetzung für eine solche V-Formation ist aber, dass die Notierungen zeitnah aus der Seitwärtsbewegung der letzten Tage nach oben ausbrechen. Der offensichtliche Widerstand bei etwa 10 650 Punkten darf in den nächsten Handelstagen dann keine besondere Rolle spielen. Eine erste Verschnaufpause wäre erst bei oder knapp über 11 150 Zählern zu verzeihen. Nach einem Rücksetzer müssten die Bullen den Dax dann aber auch über diese Hürde schieben. Vor dem Hintergrund einer Mitte Oktober startenden Jahresendrally erscheint dieses Szenario nicht unmöglich.In diesem Zusammenhang lässt auch die Betrachtung der Einzeltitel Hoffnung aufkommen, denn einige wichtige – und zuletzt auch indextreibende – Aktien haben ihr idealtypisches Ziel erreicht. Als Beispiel sei hier eine VW-Aktie genannt, die ihr Korrekturziel von etwa 150 Euro nach einem Jahreshöchstkurs von gut 260 Euro erreicht hat. Ähnlich verhält es sich bei den Papieren von BASF, die einen Rücksetzer von 97 Euro auf eine markante Unterstützung bei knapp 65 Euro zeigten.Fazit: Es ist fünf vor zwölf für den Dax, denn der Index muss zeitnah und signifikant ansteigen, will er seine Chancen auf eine Jahresendrally mit deutlichen Gewinnen wahren. Obwohl sich bisher noch keine Anzeichen für einen solchen Anstieg finden lassen, kann ein Kauf in Verbindung mit einem Stopp-Loss bei 9 900 Punkten (Schlusskurs) unter taktischen Gründen dennoch eine gute Wahl sein: Sollte der Dax nach unten wegbrechen, wird der Verlust auf etwa 4 % begrenzt. Steigen die Notierungen in den kommenden Sitzungen aber tatsächlich an, besteht eine – wenn auch nur geringe – Chance auf Gewinne von 20 % und mehr bis zum nächsten Frühjahr.—-*) Stephen Schneider ist Analyst bei der WGZ Bank.