GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (141)

Für die EZB geht es um die Glaubwürdigkeit

Börsen-Zeitung, 4.11.2020 Für die EWU-Währungshüter ergeben sich bei ihrer "Strategic Review" insgesamt drei relevante Bereiche: erstens die Ebene der Strategie, worunter die Notwendigkeit einer Überarbeitung des Inflationsmaßes genauso fällt wie...

Für die EZB geht es um die Glaubwürdigkeit

Für die EWU-Währungshüter ergeben sich bei ihrer “Strategic Review” insgesamt drei relevante Bereiche: erstens die Ebene der Strategie, worunter die Notwendigkeit einer Überarbeitung des Inflationsmaßes genauso fällt wie eine Adjustierung des Inflationsziels. Statt “unter, aber nahe 2 %” rangierte die Teuerungsrate im gemeinsamen Währungsraum seit Ende der Großen Finanzkrise 2009 bei durchschnittlich 1,3 %. Im Zuge der Covid-19-Pandemie, die eine Kombination aus Angebots- und Nachfrageschock bewirkt hat, haben die EWU-Verbraucherpreise ihren Sinkflug verstärkt fortgesetzt. Im Oktober 2020 rangiert das Konsumentenpreisbarometer bereits den dritten Monat in Folge in negativem Terrain; lediglich die Kernrate verteidigt die Nulllinie mit aktuell 0,2 % im Jahresvergleich. Die jüngsten Entwicklungen an der Corona-Front deuten darauf hin, dass der dominante negative Effekt der Verschiebung der aggregierten Nachfragekurve persistenter sein dürfte als zunächst angenommen. Unter ZugzwangKann die EZB diesem Dilemma entkommen? Die Antwort ist eindeutig: Sie muss – “whatever it takes”. Denn ein Zentralbankziel, das dauerhaft angestrebt, aber verfehlt wird, schwächt mittel- bis langfristig die Glaubwürdigkeit. Dabei ist diese elementar, um die Erwartungen der privaten Haushalte und Unternehmen zu steuern. Nur ein konsistentes Bild über die zukünftige Entwicklung von Preisen für Güter und Dienstleistungen lässt Konsumenten Ausgabenpläne schmieden und Unternehmen Investitionen sicher planen. Auch das Verhandeln über Löhne und Gehälter bedingt eine entsprechende Preisbildungserwartung.Ähnlich wie die Fed mit ihrem Average Inflation Targeting dürfte die EZB ihre Zielformulierung so anpassen, dass sie nach Phasen niedriger Inflation mit einer höheren Inflationstoleranz in Zeiten steigender Verbraucherpreise reagiert. Damit würden die EWU-Währungshüter auch dem Umstand Rechnung tragen, dass der neutrale Zins (derjenige kurzfristige reale Zinssatz, bei dem die Wirtschaft mit voller Beschäftigung und niedriger und stabiler Inflation im Gleichgewicht ist) in den vergangenen Dekaden signifikant gesunken ist. Unter Berücksichtigung einer Inflationsrate ergibt dies in der Gegenwart einen nominalen Zins, der tendenziell zu nah am sogenannten Zero Lower Bound liegt, so dass die Zentralbank im Falle einer Rezession ihren Leitzins nur wenig senken kann. Insgesamt dürften die Inflationserwartungen durch eine quantitative Symmetrieeigenschaft des Inflationsziels einen leichten Auftrieb erhalten.Mit Blick auf das Inflationsmaß rückt das Konsumbündel eines repräsentativen Haushalts in den Fokus. Der zumeist größte Ausgabenposten, der für Wohnen, sticht dabei aufgrund seiner strukturellen Höhe, die augenscheinlich eine Funktion der (Miet-)Preisentwicklung an den Immobilienmärkten ist, ins Auge des Betrachters. Die Kenntnis über die grundsätzliche Richtung an diesen Märkten voraussetzend, rücken die Gewichte für selbst genutztes Wohneigentum und Mieten im Harmonisierten EWU-Verbraucherpreisindex in den Fokus. Während Erstere gar keine Berücksichtigung finden, fließen die Mieten mit 6,5 % ein. Kurzum: Diesem Ansatz der monatlichen Ausgabenerfassung dürfte kaum ein EU-Bürger auf den Leim gehen. Die EZB muss ein die Heterogenität in Bezug auf Wohneigentum und Mieten in den verschiedenen Ländern berücksichtigendes Inflationsmaß kalibrieren. Darunter fällt ausdrücklich nicht, Immobilienpreise stabil zu halten, sondern eine Berücksichtigung der Implikationen des Immobilienbooms auf den Preis eines typischen Konsumbündels.Mit diesem Ansatz würde die EZB auch den Nebeneffekten ihrer ultra-expansiven Geldpolitik Rechnung tragen, die den Ausgabenposten Wohnen zumindest zusätzlich erhöht haben. Wenngleich die Historie eines sinkenden Zins- und Renditeniveaus bereits vor der Existenz der EZB begonnen hat, so ist der Abwärtstrend dennoch durch entsprechende geldpolitische Maßnahmen verstärkt worden. Damit schließt sich der Kreis und die EZB könnte ihre Glaubwürdigkeit, die sie an den Bond-Märkten in Kombination mit der EU-Fiskalpolitik bereits genießt, bei den für sie wichtigsten Akteuren erneuern.Dieser Bereich umfasst die Ebene der Instrumente sowie der Kommunikation der geldpolitischen Maßnahmen. Hier wird nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten EU-Fiskalpolitik zu erörtern sein, inwieweit welches EZB-Kaufprogramm und welche Kreditfazilitäten einen dauerhaften Charakter bekommen sollen. Da diese Instrumente auch mit Blick auf die Finanzmarktstabilität, die nicht zuletzt für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus relevant ist, von Bedeutung sind, scheint eine Aufwertung innerhalb des EZB-Werkzeugkastens sinnvoll. Dies hätte ferner zur Folge, dass das oberste Ziel – die Wahrung der Preisstabilität – implizit um Finanzstabilitätsaspekte ergänzt würde. Hierdurch könnte die Zielerreichung erleichtert werden. Darüber hinaus könnten die EWU-Währungshüter die positiven empirischen Belege für ihre Negative Interest Rate Policy durchaus transparenter ansprechen. “Grüne” GeldpolitikDie dritte Ebene der Policy Review umfasst die Auslegung des Mandats, worunter auch Aspekte einer “grünen” Geldpolitik fallen. Grundsätzlich sei hier angemerkt, dass sich die EZB mittels eines Klimaziels kein neues Glaubwürdigkeitsproblem bei Nicht-Erreichung einfangen sollte. Davon unabhängig dürften Green Bonds Berücksichtigung im Rahmen von Anleihekäufen finden. Zuletzt erschienen: ESG wertvolles Risikomanagement-Instrument für Anlagen in Schwellenländern (140), Vontobel Das neue SPACtakel am US-Aktienmarkt (139), Metzler Sechs Monate nach dem Start: Wie viel Pep hat das PEPP? (138), DWS —-Daniel Winkler, Multi Asset Strategist bei H&A Global Investment Management