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Für ein neues Kapitel in der Geschichte der EU-Kapitalmarktunion

Börsen-Zeitung, 12.10.2018 Drei Jahre ist es jetzt her, dass die Europäische Kommission ihren Aktionsplan für die Kapitalmarktunion (Capital Markets Union - CMU) vorgestellt hat. Zwar sind bei der Verwirklichung der wesentlichen Ziele der Initiative...

Für ein neues Kapitel in der Geschichte der EU-Kapitalmarktunion

Drei Jahre ist es jetzt her, dass die Europäische Kommission ihren Aktionsplan für die Kapitalmarktunion (Capital Markets Union – CMU) vorgestellt hat. Zwar sind bei der Verwirklichung der wesentlichen Ziele der Initiative – Vertiefung, Diversifizierung und tiefere Integration der europäischen Kapitalmärkte – bedeutende Fortschritte erzielt worden, doch bleibt noch viel zu tun. Das Projekt geht nun in eine entscheidende Phase: Es bleibt weniger als ein Jahr bis zum Ende des laufenden EU-Gesetzgebungszyklus und damit dem Endtermin für den Abschluss des CMU-Aktionsplans. Aber 2019 kann nicht als das Ende der Geschichte der CMU angesehen werden.Denn es bedarf mehr als der Abarbeitung des aktuellen Maßnahmenpakets, um eine effektive Kapitalmarktunion zu erreichen: Das Ausmaß des notwendigen Wandels kann nur auf Grundlage langfristiger politischer Ambitionen und Impulse bewältigt werden. Mehr Kapital verfügbarAngesichts einer Vielzahl von Herausforderungen, vor denen die europäischen Kapitalmärkte derzeit stehen – darunter der Brexit, zunehmender globaler Wettbewerb und politische Unsicherheit – ist die Verwirklichung der CMU für das Wirtschaftswachstum Europas wichtiger denn je. Das CMU-Projekt hat bereits heute Erfolge gebracht: So hat sich die Verfügbarkeit von Kapital für Investitionen deutlich verbessert. In den letzten fünf Jahren ist der Gesamtbetrag der privaten Ersparnisse der EU-Haushalte, der in Kapitalmarktprodukte wie Lebensversicherungen und Pensionsfonds investiert worden ist, von 114 % des BIP auf 118 % des BIP gestiegen. Dieser robuste Pool von Rücklagen ist von grundlegender Bedeutung für die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum in der EU. Noch zu banklastigAuch das in kleinere und mittelgroße Unternehmen investierte Kapital in Form von Venture Capital, Private Equity, Business Angel Investments und Crowdfunding hat sich von 10,6 Mrd. Euro im Jahr 2013 auf 22,7 Mrd. Euro im Jahr 2017 mehr als verdoppelt und damit Wachstum und Innovation ermöglicht.Dennoch gibt es weiterhin große Herausforderungen auf dem Weg zur Kapitalmarktunion. Europäische Unternehmen sind nach wie vor zu sehr auf Bankfinanzierungen angewiesen. So kamen im Jahr 2017 nur 14 % der neuen Mittel für EU-Unternehmen von den Kapitalmärkten, verglichen mit 86 % aus Bankkrediten. Dies führt dazu, dass die Quote von Unternehmen, die über den Kapitalmarkt finanziert werden, in der EU nur etwa halb so hoch ist wie in den USA – bei ähnlicher Größe der Volkswirtschaften.Mit dem Ende der Amtszeit der gegenwärtigen Europäischen Kommission und den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr muss die nächste Entwicklungsphase der Kapitalmarktunion mit neuen Zielen und neuer Kraft geplant werden. Dies erfordert nicht nur politisches Engagement auf EU-, sondern auch auf nationaler Ebene.Beispielsweise müssen die Mitgliedsstaaten die Privathaushalte in Hinblick auf die Ziele der CMU und angesichts der zunehmenden Lücken bei der Altersvorsorge dazu ermutigen, mehr Ersparnisse in Produktivvermögen zu investieren (zum Beispiel in Form von Eigenkapital über private Pensionsfonds). Derzeit haben die EU-Haushalte hohe Sparquoten, die sie jedoch lieber in konservativen Geldprodukten oder Bankeinlagen halten. Infolgedessen beträgt der Bestand an Ersparnissen der EU-Haushalte in Kapitalmarktinstrumenten nur das 1,18-fache des BIP, verglichen mit dem 2,9-fachen des jährlichen BIP in den Vereinigten Staaten.Auch die europäische Politik kann wichtige Anreize für Kleinanleger schaffen, ihre Ersparnisse für den Ruhestand produktiver einzusetzen. Die Kapitalmarktunion spielt eine wichtige Rolle dabei. Zu nennen sind hier vor allem die Initiativen für ein gesamteuropäisches Produkt für die persönliche Altersvorsorge (Pan-European Pensions Product, PEPP). Ein solches Produkt würde die europäische Integration in diesem Bereich erheblich unterstützen. Die Mitgliedstaaten könnten eine Einführung durch steuerliche Anreize und eine konsequente Umsetzung im Einklang mit anderen Mitgliedsstaaten fördern. Zeit für Kompromisse drängtEin weiterer Bereich, der starken politischen Willen fordert, ist die Verbesserung der Funktionsweise der EU-Insolvenzregelungen. Europas widersprüchliche Vorschriften schaffen Unsicherheit bei den Anlegern, behindern grenzüberschreitende Investitionen und verzögern die Umstrukturierung von Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten. Die Beseitigung dieser Ungereimtheiten zwischen den Mitgliedsstaaten erleichtert es angeschlagenen Unternehmen sich wieder zu erholen und wird der Realwirtschaft Wachstum bringen.Sowohl über das europäische Altersvorsorgeprodukt PEPP als auch über die Richtlinie zur Reform des Insolvenzrechts wird aktuell noch zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament gerungen. Eines der Ziele für die kommenden Monate muss es sein, dass bei zwei so wichtigen Vorhaben der CMU so schnell wie möglich Kompromisse gefunden werden. Denn die Uhr bis zum Ablauf der aktuellen Legislaturperiode tickt.Dies sind nur einige Beispiele; aber es gibt viele andere, bei denen politische Initiativen dazu beitragen können, das Potenzial der europäischen Kapitalmärkte in vollem Umfang zur Unterstützung des Wirtschaftswachstums zu erschließen. Unabhängig davon, wie die politische Landschaft im nächsten Jahr aussehen wird, muss die Kapitalmarktunion weiterhin eine Priorität für Europa sein, um Unternehmen, Investoren und Sparern zum Erfolg zu verhelfen.—-Simon Lewis ist Chief Executive Officer der Association for Financial Markets in Europe (AFME). In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Simon LewisUnabhängig vom Ausgang der Europa-Wahl im nächsten Jahr muss die Kapitalmarktunion weiterhin Priorität für die EU-Kommission haben. —-