DEVISENWOCHE

Furcht vor Hard Brexit belastet das Pfund

Von Dirk Chlench *) Börsen-Zeitung, 6.11.2018 Aus Brüsseler Kreisen war Mitte Oktober zu hören, dass sich die Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union (EU) über die Modalitäten des EU-Ausstiegs auf einem guten...

Furcht vor Hard Brexit belastet das Pfund

Von Dirk Chlench *)Aus Brüsseler Kreisen war Mitte Oktober zu hören, dass sich die Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union (EU) über die Modalitäten des EU-Ausstiegs auf einem guten Wege befänden. Die kurzfristig angetretene Reise des britische Brexit-Ministers Dominic Raab befeuerte Spekulationen auf eine baldige Einigung. Der erhoffte Durchbruch blieb jedoch aus. Die britische Regierungschefin Theresa May beorderte ihren Minister unverrichteter Dinge wieder zurück nach London. Auch das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU wenige Tage später brachte außer dem Austausch freundlicher Worte keine nennenswerten Fortschritte. Streitpunkt irische Grenze Der Knackpunkt der Verhandlungen ist weiterhin die Auffanglösung für Nordirland. Dem Vernehmen nach zeichnete sich in den Verhandlungen jüngst folgender Kompromiss ab: Sollten die EU und das Vereinigte Königreich während der geplanten Übergangsphase keine Einigung über ihre zukünftigen Handelsbeziehungen finden, werde das Vereinigte Königreich als “Backstop” in der Europäischen Zollunion verbleiben, und zwar so lange, bis eine friedenssichernde Lösung für Nordirland gefunden sei. Nordirland solle bis dahin nicht nur in der Zollunion, sondern auch im Europäischen Binnenmarkt verbleiben.Obgleich dieser Vorschlag bedeutet hätte, dass Theresa May ein weiteres Mal eine ihrer roten Linien hätte räumen müssen, soll sie dem Vernehmen nach anfänglich durchaus Einverständnis signalisiert haben. Die Furcht vor einer Revolte in ihrem Kabinett ließ die britische Regierungschefin jedoch offenbar vor einer Zustimmung zurückschrecken. Die Hard Brexiteers in ihrem Kabinett stören sich vor allem daran, dass im vorliegenden Vorschlag kein Enddatum für das Ausscheiden aus der Zollunion enthalten ist. Die Hard Brexiteers befürchten – nicht ohne Grund -, dass damit der faktische EU-Austritt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden könnte. Ein vollständiges Ausscheiden aus der Zollunion ist jedoch Voraussetzung dafür, dass das Vereinigte Königreich nach eigener Interessenlage Freihandelsverträge mit anderen Staaten abschließen kann. Dies war im Vorfeld des Referendums eines der genannten Ziele für einen Brexit. Zudem zeigte sich in der nordirischen Partei DUP, welche die Minderheitsregierung der Konservativen toleriert, Widerstand gegen den Brüsseler Vorschlag. Die DUP befürchtet, dass der vorgesehene Verbleib Nordirlands im Europäischen Binnenmarkt Kontrollen auf der Irischen See erforderlich machen werde, was die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs untergraben würde. Hohe WahrscheinlichkeitAngesichts dieser verfahrenen Lage stufen wir die Wahrscheinlichkeit eines Hard Brexit auf 35 % ein. Die bisherigen Erfahrungen lehren jedoch, dass in der EU die wichtigen Entscheidungen meist in letzter Minute erfolgen. Sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich haben ein wirtschaftliches Interesse daran, dass ein Hard Brexit vermieden wird. Wir halten daher an unserem Hauptszenario fest, dass sich die EU und das Vereinigte Königreich für die Zeit nach dem geplanten EU-Austritt im März 2019 auf eine Übergangsperiode verständigen werden, an welche sich der Abschluss eines Freihandelsabkommens anschließt. Das Nordirland-Problem würde in diesem Szenario freilich wahrscheinlich weiter einer befriedigenden Lösung harren.In diesem Szenario sollten die Devisenmarktteilnehmer ihr Augenmerk wieder auf die wirtschaftlichen Rahmendaten richten. Und diese sind für das Vereinigte Königreich trotz des noch schwingenden Damoklesschwertes eines Hard Brexit nicht schlecht. Das Expansionstempo der britischen Wirtschaft hat sich in den zurückliegenden Monaten etwas beschleunigt. Die Wirtschaftsleistung legte im Zeitraum Juni bis August 2018 um 0, 7 % gegenüber den vorangegangenen Dreimonatszeitraum zu, und die Arbeitslosenquote fiel im selben Zeitraum auf eine Rate von 4,0 % und verzeichnete damit ihren niedrigsten Stand seit 1975. Diese gute Arbeitsmarktlage hat sich zuletzt auch in einem beschleunigten Lohnanstieg niedergeschlagen. Leitzins wird weiter steigen Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Bank of England (BoE) ihren eingeschlagenen Zinserhöhungskurs fortsetzt. Nach unserer Prognose wird die BoE ihren Leitzins im Mai 2019 auf 1,0 % anheben. Die erste EZB-Leitzinserhöhung erwarten wir hingegen frühestens für die zweite Jahreshälfte 2019. Dadurch sollte sich der Zinsvorsprung kurzlaufender Emissionen des britischen Schatzamtes gegenüber ihren Pendants aus Deutschland weiter ausweiten und somit dem Kurs des Pfund Sterling gegenüber dem Euro Auftrieb geben. Aufwertung möglich Es kommt unterstützend hinzu, dass der Euro nach unseren Berechnungen gemäß der Kaufkraftparität gegenüber dem Pfund Sterling überbewertet ist.Zudem werten wir es als Kontra-Indikation, dass spekulativ orientierte Investoren überwiegend auf eine Abwertung des Pfund Sterling positioniert sind. Im Ergebnis erwarten wir eine Abwertung des Euro auf 0,85 Pfund Sterling per Ende 2018.—-*) Dirk Chlench ist Senior Economist bei der LBBW in Stuttgart.