LEITARTIKEL

Ganz tiefrot

Ein neuer Tag, eine neue Euro-Staatsanleiherally - so stiegen die Zinsstrategen der Commerzbank am Mittwoch in ihren morgendlichen Zinsausblick für die Eurozone ein. Etwas salopper formuliert, könnte man auch sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier....

Ganz tiefrot

Ein neuer Tag, eine neue Euro-Staatsanleiherally – so stiegen die Zinsstrategen der Commerzbank am Mittwoch in ihren morgendlichen Zinsausblick für die Eurozone ein. Etwas salopper formuliert, könnte man auch sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier. Es ja tatsächlich so, dass fast kein Tag mehr vergeht, an dem nicht neue historische Renditetiefs, sprich: Minusrekorde – im Blick ist dabei zuallererst die zehnjährige Bundesanleihe – aufgestellt werden. Und mancher reibt sich verwundert die Augen, wie tief der Markt offensichtlich fallen kann. Dem sei gesagt: Nach unten gibt es erst mal keine Grenze.Was steht hinter dieser Kursrally europäischer Staatsanleihen, allen voran der Bundesanleihen, und damit diesem kräftigen Renditerutsch. Es sind die globalen Konjunkturaussichten, die sich enorm eingetrübt haben. Zurückzuführen ist das auf drei Faktoren. Erstens: der Handelsstreit der USA mit China. An den Märkten gehen immer mehr Akteure davon aus, dass dieser Handelsstreit durchaus das Zeug dazu hat, zu einem Handelskrieg auszuarten. Das wird nicht ohne Bremsspuren für die Wirtschaft bleiben. Schon die dadurch ausgelöste Verunsicherung der Unternehmen führt dazu, dass man lieber erst mal in Warteposition geht. Und in dieser Warteposition wird man ja nicht gerade für ein paar Tage verharren. Das bedeutet, dass Investitionen in die Zukunft verschoben werden; allein das belastet die Konjunktur. Und es hält gleichzeitig die Verunsicherung an den Märkten hoch, was dazu führt, dass sichere Häfen wie Bundesanleihen angesteuert werden. Damit bleibt der Abwärtsdruck auf die Renditen bestehen.Hinzu kommt in dieser Gemengelage noch, dass auch die US-Notenbank Fed den Handelsstreit immer mehr berücksichtigen muss und wird. Sie wird der US-Wirtschaft mit Zinssenkungen unter die Arme greifen müssen, so die Prognose vieler Marktteilnehmer. Sie gehen davon aus, dass die Zeit der Leitzinsanhebungen nun sowieso vorbei ist und nun die Zinswende ansteht. Richtig: Zinswende nach unten. So gehen derzeit viele davon aus, dass die Fed im Dezember den ersten Schritt nach unten vornimmt. Mancher rechnet aber auch schon im Sommer mit diesem Schritt. Auch das ist nicht gerade dazu geeignet, die Renditen in der Eurozone nach oben zu treiben.Zweitens: Der Brexit ist verschoben. Das sorgte zunächst für Erleichterung, gibt der Aufschub doch Zeit, Lösungen zu finden. Aber wie Isabelle Mateos y Lago, Managing Director im Bereich der Official Institutions bei BlackRock, auf der Jahrestagung des internationalen Kapitalmarktverbandes ICMA kürzlich richtig anmerkte, wird aus diesem Aufschub eine Phase der erhöhten Unsicherheit in Europa werden. Denn eines wird in nächster Zeit klar werden: Die Bandbreite der Entscheidungen, die noch getroffen werden können und die Ergebnisse, die dadurch möglich werden, wird größer. Das sorgt nicht gerade für mehr Sicherheit, im Gegenteil: Die Unsicherheit nimmt zu. Das ist ein weiteres Argument, warum Anleger in sichere Bundesanleihen gehen. Das hält den Renditeabwärtsdruck zudem intakt.Drittens: Die Eurozone ist selbstredend keine Insel, die komplett unabhängig ist und sich von allem abkoppeln kann. Aufgrund der vielen konjunkturellen Fragezeichen hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinspläne auf die lange Bank geschoben. Nach ihrer Zinssitzung in Vilnius stellte EZB-Präsident Mario Draghi in Aussicht, dass die Leitzinsen bis mindestens Mitte 2020 nicht angetastet werden. Bisher galt, dass die Zinsen bis Ende dieses Jahres unverändert bleiben. Hinzu kommt, dass sich auch die Inflationsaussichten in der Eurozone nicht so gestalten, dass von dieser Seite ein Handlungsdruck in Richtung von Zinsanhebungen für Europas Währungshüter entsteht. Mancher Marktteilnehmer hält es durchaus für möglich, dass auf immer und ewig Niedriginflation herrschen wird. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre machen Gegenargumentationen nicht gerade einfacher. Diese Inflationsaussichten sprechen ebenfalls für niedrigere Renditen der Bundespapiere.In diesem Umfeld sollten sich Anleger darauf einstellen, dass das Niedrig- bzw. Negativrenditeumfeld noch erhalten bleiben wird; dieses Jahr, nächstes Jahr und wohl auch noch 2021. Die Frage ist also nicht, ob die Bundrenditen noch tiefer in den roten Bereich fallen, sondern wie tiefrot sie werden. Ganz tiefrot. Im zehnjährigen Bereich liegt der Rekord nun bei minus 0,24 %. Minus 0,50 % sind durchaus möglich. Bei zweijährigen Papieren war minus 1 % Anfang 2017 schon einmal zum Greifen nah. Das könnte jetzt durchaus in Angriff genommen werden. Die Chancen stehen gut. ——Von Kai JohannsenDie Bundrenditen sacken auf Rekordtiefs. US-Handelsstreit und Brexit, aber auch die Eurozonenkonjunktur sprechen für ein weiteres Abtauchen.——