Gaza-Krieg gefährdet Ölversorgung des Westens
Krieg gefährdet Ölversorgung
Erste Boykott-Drohungen – Brent-Preis könnte bis 157 Dollar steigen – Projekte vor dem Aus
Der Gaza-Krieg gefährdet zunehmend die Energieversorgung des Westens. Es gibt erste Boykott-Drohungen seitens des Irans. Die Weltbank befürchtet im Fall von kriegs- oder boykott-bedingten Lieferausfällen einen Anstieg des Ölpreises bis auf 157 Dollar je Barrel. Zudem stehen Gasprojekte im östlichen Mittelmeer vor dem Aus.
ku Frankfurt
Der Krieg im Gazastreifen läuft nun schon einen Monat mit enormen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Die Eskalation zu einem regionalen Krieg unter Einbeziehung verschiedener Mächte ist bislang aber ausgeblieben, und auch die Energiemärkte haben sich vorerst wieder beruhigt. Der Preis der wichtigsten Ölsorte Brent Crude war schon über die Marke von 96 Dollar gestiegen, aktuell liegt er sogar wieder unter der Marke von 82 Dollar – unter anderem eine Reaktion auf die jüngst enttäuschenden Konjunkturdaten aus China.
Dass die Eskalation des Kriegs ausgeblieben ist trotz enormen Drucks der öffentlichen Meinung in den islamischen Ländern, liegt aktuell vor allem an der Zurückhaltung der schiitisch-libanesischen Miliz Hezbollah und deren Verbündeten Iran. Die aktuelle Hezbollah-Strategie ist jedoch nicht ohne Gefahren: Die Miliz bemüht sich, durch eine Vielzahl kleiner Angriffe auf israelische Militäreinrichtungen einen hohen Druck aufrecht zu erhalten, so israelische Truppen an der Nordgrenze zu binden und die ökonomischen Kosten für Israel zu erhöhen. Allerdings schaukelt sich diese Konfrontation immer weiter hoch, die Angriffe beider Seiten nehmen zu. Gleichzeitig hat die Nato im zentralen und östlichen Mittelmeer eine enorme Konzentration von Kräften zusammengezogen, und zwar mindestens 73 Kriegsschiffe der USA und ihrer Verbündeten, darunter gleich zwei Flugzeugträgerverbände. Hinzu kommen umfangreiche Truppenverbände und eine große Zahl von Flugzeugen. Eine solche Konzentration hat es seit den 1970er Jahren nicht mehr gegeben. Viele Beobachter in der Region befürchten, dass es dabei mit Blick auf die Menge der zusammengezogenen Kräfte weniger um die Unterstützung Israels im Gazastreifen geht, als darum, im Rahmen des Konflikts schon aus Sicht des Westens lange existierende Probleme zu lösen wie den Aufstieg des Iran zu führenden Regionalmacht und den Sieg der syrischen Regierung im Bürgerkrieg.
Sollte sich dies bewahrheiten oder sollte der Druck der Straße islamische Länder zum Kriegseintritt zwingen oder sollte es eine von den Konfliktparteien ungewollte Eskalation geben, müssten die Akteure an den Energiemärkten die Situation neu bewerten, was in Preissprüngen resultieren dürfte. Es muss aber nicht einmal zu einer Ausweitung der militärischen Auseinandersetzungen kommen. Ins Spiel gebracht hat die iranische Führung einen Ölboykott. Dieser soll sich zwar zunächst gegen Israel richten, allerdings versorgt sich das Land praktisch nicht über die islamischen Mitgliedsländer der Opec, sondern aus anderen Quellen wie Aserbaidschan oder Angola. Sollten sich die islamischen Mitgliedsländer der Opec zu gemeinsame Aktion durchringen, wäre rasch ein Ölboykott gegen die westlichen Unterstützer Israels auf der Tagesordnung.
Die Weltbank hat die Auswirkungen eines solchen Boykotts auf den Ölmarkt untersucht. Sie kommt von dem Ergebnis, dass die islamischen Mitgliedsländer der Opec etwa 24 Mill. Barrel pro Tag (bpd) produzieren. Dies entspricht etwa einem Viertel der weltweite Nachfrage. Schwergewichte in dieser Gruppe sind Saudi-Arabien mit 9 Mill. bpd, der Irak mit 4,1 Mill. bpd, der Iran mit inzwischen 3,4 Mill. bpd und die Vereinigten Arabischen Emirate mit 2,9 Mill. bpd. Die Weltbank hat nun drei verschiedene Szenarien berechnet für Boykotte oder sonstige beispielsweise kriegsbedingte Ausfälle unterschiedlichen Umfangs.
Ausfall erwartet
Im kleinen Szenario wird mit einem Ausfall von 500.000 bpd bis 2 Mill. bpd gerechnet. Dies können zu einem Preisanstieg von bis zu 13% über dem Basisszenario der Weltbank für das vierte Quartal von 90 Dollar je Barrel führen, also bis auf knapp über 100 Dollar. Im mittleren Szenario wird ein Ausfall von 3 bis 5 Mill. bpd unterstellt. In diesem Fall sei mit einem Preisanstieg von 21 bis 35% gegenüber dem Basisszenario zu rechnen, also einem Preisniveau von bis zu 121 Dollar. Und sollten gar 6 bis 8 Mill. bpd ausfallen, geht die Weltbank von einem Preisanstieg zwischen 56 und 75% aus, also einem Ölpreis von bis zu 157,50 Dollar. Betroffen ist aber nicht nur der Ölmarkt. Die Weltbank macht darauf aufmerksam, dass der Preis für Erdgas am europäischen Spotmarkt um 35% nach oben sprang, als im Rahmen des Kriegs ein Gasfeld vor der Küste Israels seinen Betrieb einstellte, was ergänzt wurde durch die Beschädigung einer Gaspipeline zwischen Finnland und Estland.
Durch den Krieg sind auch eine Reihe von Projekten zur Gasförderung gefährdet, Israel ist derzeit nach Ägypten der zweitgrößte Gasproduzent im östlichen Mittelmeer. Gefährdet ist der Einstieg von BP und der Abu Dhabi National Oil Co. beim israelischen Gasproduzent NewMed Energy, auch wenn BP betont, man halte an dem Projekt fest. NewMed und seine Partner haben das Leviathan-Gasfeld entdeckt, das größte im gesamten Mittelmeer, das die Seegrenzen von Palästina, Libanon, Zypern und der Türkei berührt. Gefährdet ist auch ein Projekt der französischen TotalEnergies vor der libanesischen Küste. TotalEnergies führt dabei ein Konsortium an, dem auch die italienische Eni und QatarEnergy angehören. Eine Weiterführung dieses Projekts ist angesichts des Kriegs kaum denkbar.