GELD ODER BRIEF

Gazprom leidet unter Streit mit dem Westen

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 21.11.2014 Im Jahr 2014 gibt es für die russische Wirtschaft einen Slogan: "Nach China" heißt es nun seit der Ukraine-Krise und dem Beginn der westlichen Sanktionen. Nicht weil Europa als Handelspartner...

Gazprom leidet unter Streit mit dem Westen

Von Eduard Steiner, MoskauIm Jahr 2014 gibt es für die russische Wirtschaft einen Slogan: “Nach China” heißt es nun seit der Ukraine-Krise und dem Beginn der westlichen Sanktionen. Nicht weil Europa als Handelspartner für Russland gänzlich gestorben wäre. Aber die Verwerfungen haben den Kreml zu einem demonstrativen Schwenk Richtung Ostasien veranlasst.Sieht man einmal vom Ölgiganten Rosneft ab, so zeigt sich dieser Schwenk nirgends stärker als beim Gaskonzern Gazprom. Vor knapp zwei Wochen haben sich Russland und China darauf verständigt, dass der Konzern das Reich der Mitte mit 30 Mrd. Kubikmetern Erdgas versorgen soll. Und zwar über eine noch zu bauende Pipeline durch den Altai, wobei das Gas dafür nicht aus den – noch zu erschließenden – ostsibirischen, sondern aus jenen westsibirischen Feldern kommt, aus denen auch Europa beliefert wird. So viel China wie möglichGazprom will jedenfalls so viel China wie nur irgend möglich. Das ist nicht verwunderlich, schließlich fürchtet Gazprom angesichts des Streits mit dem Westen um ihre Gasgeschäfte mit Europa und versucht, neue Absatzmärkte zu erschließen. Dass dieses Unterfangen wiederholt mit antiwestlicher Rhetorik einhergeht, ist Teil eines plumpen Bluffs. In Wahrheit nämlich will und wird der Gazprom-Konzern seine Lieferungen nach Europa nicht kürzen, weil er nirgends so viel verdient wie dort. Ganze 174 Mrd. Kubikmeter setzte er im Vorjahr in Westeuropa – inklusive der Türkei – ab. Und bei aller demonstrativen Liebe zu China ist man sich in Moskau bewusst, dass man auch beim Gasgeschäft mit China nur Juniorpartner ist.Die Musik für Gazprom spielt daher auch weiterhin in Europa. Um das dortige Geschäft nicht zu stören, führte zuletzt auch kein Weg daran vorbei, den leidigen Gaskonflikt mit der Ukraine beizulegen, was Ende Oktober unter Vermittlung der EU auch gelang. Gazprom selbst war vom schwebenden Zustand bereits in Mitleidenschaft gezogen gewesen, die Konzernbilanz entsprechen verdorben: Für das erste Halbjahr nämlich musste der Energiekonzern einen Gewinneinbruch von 23 % auf 8,8 Mrd. Euro hinnehmen. Als Grund gibt Gazprom hohe Rückstellungen wegen der nicht beglichenen Gasschulden der Ukraine an. Ganze 4,2 Mrd. Euro hatte Gazprom zur Seite gelegt.Die Einigung mit der Ukraine ist zwar nur eine Übergangslösung bis Ende März, ehe dann das von beiden Seiten angerufene internationale Schiedsgericht in Stockholm eine endgültige Entscheidung treffen sollte. Aber Gazprom erhält nun immerhin die ausstehenden Schulden beglichen. Und die EU, die ein Drittel ihres Erdgases aus Russland erhält, braucht um den reibungslosen Transit über die Ukraine nicht mehr zu fürchten.Wie mit der EU überhaupt wieder Harmonie hergestellt werden kann, ist wahrscheinlich eine der größten Fragen, die Gazprom beschäftigt. Zwar stieg der Umsatz in Europa im ersten Halbjahr um 7 %, so dass der Gesamtumsatz bei 54,7 Mrd. Euro lag. Und auch die Absatzmenge in Europa blieb mit 86 Mrd. Kubikmetern nahezu unverändert. Nimmt man allerdings die vorliegenden Zahlen für die ersten neun Monate nach – wohlgemerkt ungenaueren – russischen Rechnungslegungsstandards, so ist der Absatz in Europa um 3,6 % auf 114,25 Mrd. Kubikmeter zurückgegangen. Gazproms größter Abnehmer Deutschland hat 6,5 % weniger abgenommen, der zweitgrößte Abnehmer Türkei hingegen um 7,2 % aufgestockt.Jedenfalls werden die Baustellen in Europa nicht weniger. Einige Konzerne haben noch Verfahren gegen Gazprom offen, um eine Vergünstigung der Lieferverträge zu erwirken. Im nächsten Jahr wird sich dann der zuletzt gefallene Ölpreis mit der üblichen zeitlichen Verzögerung auch massiv auf den Gaspreis auswirken. Die EU-Staaten überlegen zum Leidwesen Gazproms, die Zukäufe in Russland – wohl auch preislich – zu koordinieren. Die Genehmigung zur Totalnutzung der deutschen Pipeline Opal (der Anschlusspipeline zur Nord Stream) wurde von der EU bisher wider ursprüngliches Erwarten nicht erteilt. Und hinsichtlich der von Gazprom geplanten Pipeline South Stream macht die EU keinerlei Anstalten, den Weg freizugeben.Immerhin hat Gazprom Anfang November als erster russischer Konzern nach Einführung der Sanktionen Euro-Schuldscheine im Gesamtwert von 700 Mill. Dollar zu einem Zins von 4,3 % platziert. Analysten zufolge ging es hier um einen Test, das Verhältnis zu den Investoren wiederherzustellen, weshalb auch eine höherer, nicht marktüblicher Zinssatz als “Angstprämie” angeboten worden sei.Inzwischen hat Gazprom ihr Investitionsprogramm für 2015 gegenüber dem ursprünglichen für das Jahr 2014 um 4 % auf 839,24 Mrd. Rubel erhöht. Als Priorität nennt Gazprom die Entwicklung der Lagerstätten auf der Halbinsel Jamal und in Jakutien sowie den Pipelinebau nach China. Verlust ausgewiesenDie Zahlen für das dritte Quartal nach russischen Rechnungslegungsstandards zeigen jedenfalls einen der Rubelabwertung geschuldeten Nettoverlust von 3 Mrd. Dollar – das zweite Minus seit dem Krisenjahr 2008. Die Rubelabwertung werde sich im vierten Quartal noch stärker auswirken, schreiben die Analysten von der Citigroup: Zwar seien die Zahlen nach russischen Standards nicht gänzlich konsolidiert, aber man könne mit gewisser Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Dividenden stark zurückgehen würden. Analysten halten eine Reduzierung um ein Drittel für möglich.J.P. Morgan hat ihre Empfehlung für die Gazprom-ADR-Scheine vor einer Woche von “Kaufen” auf “Halten” herabgestuft. Grund sei eine geringere Erwartung an die Dividende und das beschränkte Potenzial zum Kurswachstum. Laut Bloomberg bestehen für die in London gelistete Gazprom acht Kaufempfehlungen. Elfmal wird zum “Halten” geraten, einmal zum Verkauf. Das Konsensziel des Kurses, der jetzt bei 6,196 Dollar steht, auf zwölf Monate lautet auf 8,57 Dollar.