GELD ODER BRIEF

Gebrauchtwagenhändler als Technologiewert

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 28.8.2020 Technologiewerte aller Art stehen derzeit bei den Anlegern hoch im Kurs. Heutzutage ist man bereits ein Technologiewert, wenn man Gebrauchtwagenhändler ist - jedenfalls soweit dieser...

Gebrauchtwagenhändler als Technologiewert

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtTechnologiewerte aller Art stehen derzeit bei den Anlegern hoch im Kurs. Heutzutage ist man bereits ein Technologiewert, wenn man Gebrauchtwagenhändler ist – jedenfalls soweit dieser Gebrauchtwagenmarkt im Internet und nicht wie früher üblich auf ehemaligen Industriebrachflächen am Rande großer Städte stattfindet. Die Rede ist von Vroom, ein Unternehmen, das im Juni an die amerikanische Technologiebörse Nasdaq gegangen ist und dort eines der erfolgreichsten amerikanischen Initial Public Offerings (IPO) des laufenden Jahres ist. Am ersten Handelstag, am 9. Juni ergab sich ein Kursgewinn von satten 117 %. In der Spitze wurde ein Kurs von 47,90 Dollar erreicht. Vorher schon konnte ein Zuteilungspreis der Aktie von 22 Dollar realisiert werden, oberhalb der zuvor genannten Preisspanne von 18 bis 20 Dollar. Wie aber der Kursgewinn am ersten Handelstag zeigt, waren die Eigner des Unternehmens, vor allem US-Finanzinvestoren, und die Investmentbanken offensichtlich noch nicht gierig genug, da eine derartige Kursbonanza sicherlich nicht im Interesse von Alteignern liegt, die daran nur mit den noch von ihnen gehaltenen Aktien teilhaben. Hohe MarktkapitalisierungIn der Spitze hat der Kurs bereits 72,68 Dollar erreicht, aktuell notiert das Unternehmen mit etwas mehr als 66 Dollar. Immerhin hatte der Börsengang ein Volumen von 468 Mill. Dollar. Das Unternehmen hat aktuell schon eine Marktkapitalisierung von 7,8 Mrd. Dollar. Es ist damit deutlich wertvoller als beispielsweise die Lufthansa mit der Zeit mit etwas mehr als 5 Mrd. Euro.Vroom als Online-Handelsplatz profitiert, so wird gehofft, von der Coronavirus-Pandemie, die rund um den Globus zu einer dramatischen Verschiebung der Nachfrage von stationären Händlern und Handelsplätzen hin zum Online-Geschäft geführt hat. “Der Markt verbindet einen hohen Wert mit Unternehmen der nächsten Generation, die in einer Nach-Covid-19-Welt aufblühen”, sagt Metthew Kennedy, IPO-Marktstratege bei Renaissance Capital, über den Vroom-Börsengang. Allerdings gibt es auch erhebliche Risiken. So haben die Pandemie und auch die Unruhen in den USA zu starken Einkommensverlusten breiter Bevölkerungsschichten geführt und insbesondere die amerikanische Autoindustrie leidet unter der schwierigen Situation. Dies könnte auch auf den Gebrauchtwagenhandel abfärben.Außerdem gab es in den USA für lange Zeit praktisch keinen Gebrauchtwagenhandel, da in besseren Zeiten US-Konsumenten nach wenigen Jahren jeweils ein neues Fahrzeug beim Autohändler ihres Vertrauens orderten und dort den alten Wagen einfach abgaben, wofür ihnen ein Restwert gutgeschrieben wurde, der den Rabatt beim Neuwagenkauf darstellte. Ferner ist das Risiko, als Käufer übers Ohr gehauen zu werden, schon im stationären Gebrauchtwagenhandel groß. Dass diese Gefahr im Internet ohne die Möglichkeit der physischen Prüfung des Kaufobjekts noch einmal deutlich größer ist, mag den Erfolg des Geschäftsmodells langfristig behindern. Allerdings gilt dies sicherlich auch für viele über Ebay verkaufte Gegenstände, was den Erfolg der Plattform nicht behindert hat. Vroom weist darauf hin, dass der Online-Anteil im Autohandel momentan in den USA gerade einmal 0,9 % beträgt. Insofern sollte es noch genügend Wachstumspotenziale für Vroom geben. Außerdem war das IPO des Hauptwettbewerbers Carvana 2017 auch ein großer Erfolg. Gegenüber dessen Zuteilungspreis ergibt sich bislang ein Kursanstieg von mehr als 600 %. Steigende VerlusteVroom als Unternehmen weist Eigenheiten auf, die bei Anlegern Stirnrunzeln hervorrufen sollten. Das Unternehmen ist bereits 2012 an den Start gegangen, war bisher aber nicht in der Lage, einen Gewinn zu erwirtschaften. Dafür wurden mit Stand zum 31. März – also vor dem Börsengang – Schulden von rund 616 Mill. Dollar aufgebaut. Für das Jahr 2019 lief ein Nettoverlust von 143 Mill. Dollar auf, verglichen mit 85,2 Mill. Dollar für 2018. Im ersten Quartal 2020 betrug das Minus 41,1 Mill. Dollar, verglichen mit 27,1 Mill. Dollar im gleichen Vorjahreszeitraum. Je mehr Autos Vroom also verkauft, desto höher wird der Verlust. Dies weckt nicht unbedingt Vertrauen in ein Geschäftsmodell, das auch noch beinhaltet, dass für weite Teile des operativen Geschäfts auf Fremdfirmen zurückgegriffen wird.Außerdem hatte beispielsweise Carmax, der größte stationäre Gebrauchtwagenhändler in den USA, vor der Krise in einem normalen Markt im zweiten Quartal 2019 einen deutlich höheren Gewinn je veräußertes Fahrzeug als Vroom, nämlich 3 310 Dollar verglichen mit 1 150 Dollar. Allerdings stieg der Vroom-Umsatz 2019 um satte 39 % auf 1,2 Mrd. Dollar. Für das erste Quartal 2020 ergab sich ein Umsatzanstieg um 60 % auf knapp 376 Mill. Dollar. Für das zweite Quartal lief ein Verlust von 63,2 Mill. Dollar gegenüber 59,2 Mill. Dollar vor einem Jahr auf. Die Erlöse gaben von 260,9 Mill. Dollar im Vergleichszeitraum auf 253,1 Mill. Dollar nach. Für das laufende dritte Quartal erwartet das Management einen Verlust von 37 bis 42 Cent je Aktie bei Erlösen zwischen 268 Mill. Dollar und 290 Mill. Dollar. Dies unterbietet die Analystenerwartungen von 36 Cent Verlust bei einem Umsatz von 345 Mill. Dollar. Bislang profitiert Vroom also nicht wirklich von der Pandemie. Im Börsenprospekt hieß es, dass es auch weiterhin Verluste geben wird und dass das Unternehmen nicht plant, auf absehbare Zeit Dividenden auszuschütten. Analysten angetanDie Analysten sind jedenfalls von dem Unternehmen trotz des starken Kurszuwachses angetan. Von elf Banken, die die Aktie auf ihrem Radarschirm haben, raten laut Factset sechs zum Kauf, während ein Institut den Titel mit einer Overweight-Einstufung versieht. Analystenurteile mit “Underweight” oder gar “Sell” gibt es keine. Allerdings hat die Aktie das durchschnittliche Kursziel der Analysten von 67,90 Dollar praktisch schon erreicht. Dies bedeutet, dass entweder die Analysten ihre Einstufungen anpassen müssen oder, was wahrscheinlicher ist, dass die Kursziele bald noch weiter angehoben werden.