DEVISENWOCHE

Gefahr des harten Brexit belastet Pfund

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 18.10.2016 Mit der Ankündigung eines mehr oder weniger konkreten Zeitplanes für den Brexit und der Formulierung nicht verhandelbarer Positionen in der Frage der Personenfreizügigkeit hat die britische...

Gefahr des harten Brexit belastet Pfund

Von Ulrich Leuchtmann *)Mit der Ankündigung eines mehr oder weniger konkreten Zeitplanes für den Brexit und der Formulierung nicht verhandelbarer Positionen in der Frage der Personenfreizügigkeit hat die britische Premierministerin Theresa May die Wahrscheinlichkeit für einen “harten Brexit” – einen Brexit ohne Zugang des Landes zum gemeinsamen Binnenmarkt und ohne Freihandelsabkommen – erhöht. Damit steigen die langfristigen realwirtschaftlichen Risiken für das Vereinigte Königreich erheblich, denn es droht ein Rückfall auf den Minimum-Standard der WTO-Regeln, der die britische Wirtschaft beschädigen könnte. Kein Wunder, dass der Devisenmarkt darauf ebenso erheblich reagiert hat und das Pfund gegenüber dem Euro, verglichen mit den Niveaus von Anfang Juli (also unmittelbar nach dem Brexit-Referendum), noch mal um fast 4,5 % nachgegeben hat. Höhere RisikenVerstärkt wird diese Reaktion durch die Zahlungsbilanzsituation der UK-Volkswirtschaft. Das Leistungsbilanzdefizit beträgt fast 6 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das bedeutet: Das Land konsumiert und investiert Jahr für Jahr 6 % mehr Waren und Dienstleistungen, als es selbst erwirtschaftet. Dieses Leistungsbilanzdefizit muss durch das Ausland finanziert werden. Langfristige Brexit-Risiken könnten aber schlimmstenfalls Ausmaße annehmen, die diese Finanzierung abreißen lassen. In solch einem Fall muss ein Leistungsbilanzdefizit aufgrund mangelnder Finanzierung korrigiert werden. Dies geht in aller Regel mit einer heftigen Abwertung der betroffenen Währung einher: Importeure wären dann bereit, das britische Pfund billig zu verkaufen, weil sie auf Fremdwährungen zur Begleichung notwendiger Import-Rechnungen angewiesen sind, während ausländische Investoren sich zurückziehen würden und (a) die Pfund-Nachfrage einstellen, weil sie nicht mehr in Großbritannien investieren wollen, oder (b) sich sogar aus Investitionen zurückziehen und somit das Pfund verkaufen könnten.Dass der Streit einer britischen Supermarktkette mit einem multinationalen Lebensmittelkonzern um wechselkursbedingte Preisanpassungen jüngst eskalierte und etliche Waren für Tage aus den Regalen der Supermärkte verschwanden, mag als kurioser Einzelfall abgetan werden. Er zeigt allerdings exemplarisch die Risiken, die einem Land drohen, wenn die eigene Währung deutlich abwertet. Es kann sich weniger Importe leisten. Das ist aus konjunktureller Sicht positiv (weil Exporteure und Unternehmen, die am heimischen Markt gegen Importe in Konkurrenz stehen, profitieren), und deshalb performten britische Aktien in den vergangenen Wochen sehr gut.Für das Pfund besteht aber weiterhin Absturzgefahr. Schwächeanfälle wie am Morgen des 7. Oktober (als das Pfund binnen Sekunden fast 7 % verlor, sich danach freilich größtenteils erholte) mögen auf technische Marktbedingungen zurückzuführen sein. Aber sie sind bei einer Währung, die aus fundamentaler Sicht angeschlagen ist, viel wahrscheinlicher als bei anderen Währungen. Und sie erzeugen weitere Unsicherheit. So könnte die Situation eintreten, dass eine Abwertung der britischen Währung nicht überwiegend als Gelegenheit angesehen wird, die Währung billig zu erwerben, sondern als Gefahr für die Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits. Dann wäre ein schwaches Pfund nicht mehr ein Kaufsignal für die Währung, sondern eher ein Verkaufssignal. So könnte leicht eine sich selbst verstärkende Abwertungsspirale entstehen. Notenbank gefragtMan kann darauf setzen, dass die Bank of England (BoE) in allergrößter Not mit Zinserhöhungen einen allzu großen Verfall des Pfund verhindern würde. Würde die BoE solch einen Schritt früh genug durchführen, könnte sie drohende Abwertungsängste eindämmen. Allerdings wäre das kein leichter Schritt. Denn er würde die britische Wirtschaft zu unpassender Zeit belasten. Man kann nicht sicher sein, dass die BoE den dafür nötigen Mut rechtzeitig aufbrächte, bevor die Abwertungsdynamik durch höhere Zinsen nicht mehr zu stoppen wäre.Letztendlich muss die Entwarnung für das Pfund von der Politik kommen. In der Tat gibt es ermutigende Signale. Die Einbeziehung des Parlaments in den Brexit-Prozess konnte den Devisenmarkt vorige Woche in einer Phase zunehmender Pfund-Schwäche beruhigen. Und grundsätzlich ist ein Rückfall auf die WTO-Regeln auch nicht im Interesse der (Rest-) EU. Von Freihandel profitieren beide Seiten. Dass die EU einen harten Kurs in den Verhandlungen mit den Briten fahren könnte, mag aus grundsätzlichen Überlegungen (Vermeidung von Nachahmern) logisch erscheinen. Nur hat sich die EU in den vergangenen Jahren selten als grundsatztreuer Verhandlungspartner erwiesen. Es scheint wahrscheinlicher, dass sie letztendlich eine praktikable Lösung anstrebt. Das heißt: Selbst wenn ein uneingeschränkter Zugang der Briten zum Binnenmarkt (à la Norwegen) an der Frage der Personenfreizügigkeit scheitert, bleibt dennoch die Chance auf ein weitgehendes Freihandelsabkommen, welches die realwirtschaftliche Situation für viele britische Branchen kaum verschlechtern würde. Wenn solch ein Freihandelsabkommen hinreichend umfassend wäre, entfiele die fundamentale Gefahr für das Pfund. Es dürfte sich in diesem Szenario von jetzigen Niveaus erholen.Dass ich dieser Lösung eine hohe Wahrscheinlichkeit beimesse, darf freilich nicht als Kaufempfehlung für das Pfund verstanden werden. Denn erstens wird der Verhandlungsprozess schwierig. Wie immer bei Verhandlungen in Brüssel dürften die Verhandlungspartner möglichst lange auf Maximalpositionen verharren. Und sei es nur, um daheim Verhandlungsstärke zu demonstrieren. Auf zeitweise negative Nachrichten von dieser Seite würde das Pfund erneut mit Schwächeanfällen reagieren. Und zweitens ist nicht auszuschließen, dass entweder die britische Regierung (womöglich aufgrund von Widerständen in den Tory-Reihen) oder die EU (aufgrund unterschiedlicher Interessen der Mitgliedstaaten) ein hinreichend starkes Freihandelsabkommen doch verhindert. Selbst wenn das nur ein Risikoszenario ist und nicht das wahrscheinlichste, die Folgen für das Pfund wären potenziell so deutlich, dass sie nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Für viele Anleger dürfte das Risikoprofil von Pfund-Positionen unattraktiv bleiben.—-*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisenresearch bei der Commerzbank.