LEITARTIKEL

Gefahr für die Ölversorgung

In der Vergangenheit haben die Geopolitik oder genauer gesagt geopolitische Krisen stets einen großen Einfluss auf den Ölpreis gehabt. Zuletzt war es aber ruhig geworden. So spielte der iranisch-amerikanische Atomkonflikt nach der Annäherung der...

Gefahr für die Ölversorgung

In der Vergangenheit haben die Geopolitik oder genauer gesagt geopolitische Krisen stets einen großen Einfluss auf den Ölpreis gehabt. Zuletzt war es aber ruhig geworden. So spielte der iranisch-amerikanische Atomkonflikt nach der Annäherung der Parteien kaum noch eine Rolle beim Ölpreis. Aber auch vorher hielten sich die Preisanstiege selbst auf dem Höhepunkt der Spannungen in Grenzen. Nun könnte sich das aber wieder ändern: Die jüngsten Ereignisse im Irak haben das Zeug, die gesamte Ölregion am Persischen Golf zu destabilisieren.Die Ereignisse der vergangenen Tage sind bemerkenswert. In ganz kurzer Zeit haben die Kämpfer der sunnitisch geprägten Islamistenorganisation “Islamischer Staat im Irak und Syrien” (ISIS) fast die Hälfte des Irak überrannt, darunter die zweitgrößte Staat Mossul. Sie stehen nun vor den Toren der Hauptstadt Bagdad. Es besteht die Gefahr, dass die instabile und bislang unklug handelnde Regierung unter dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki fällt und damit die Hauptstadt unter die Kontrolle der schnell und brutal agierenden Kämpfer der ISIS gerät. Damit wäre der ohnehin geschwächte irakische Staat quasi am Ende. Eines der Kernländer der arabischen Welt würde insofern zur weltweit wachsenden Gruppe der “gescheiterten Staaten” gehören. Das Nachbarland Syrien, das freilich kein bedeutender Ölförderer ist, muss bereits zu dieser Gruppe gezählt werden.Zwar würden sich damit noch nicht die großen Ölfelder im Süden des Irak in der Hand der Islamisten befinden. Diese sind gut verteidigt – unter anderem, weil daran internationale Ölkonzerne ein vitales Interesse haben. Wie der aktuelle Anstieg des Ölpreises bis auf zeitweise 114 Dollar je Barrel Brent Crude aber deutlich macht, werden diese Ölfelder von den Marktteilnehmern nicht mehr als sicher eingestuft. Dafür spricht auch, dass die Börsenkurse derjenigen Ölkonzerne, die stark im Irak engagiert sind, bereits deutlich unter Druck geraten sind. So haben etwa Gulf Keystone Petroleum im Verlauf der abgelaufenen Handelswoche 14 % an Wert eingebüßt.Sollte der neue Bürgerkrieg im Irak auch den Süden und damit die Ölfelder erfassen, würde eine Förderung von 3,2 Mill. Barrel pro Tag (bpd) ausfallen. Dies würde allerdings noch nicht zu einer Verknappung von Öl als dem wichtigsten Energieträger der Industrieländer führen. Saudi-Arabien, mit rund 10 Mill. bpd das bedeutendste Förderland, verfügt derzeit über ungenutzte Kapazitäten von ungefähr 3 Mill. bpd. Diese könnten kurzfristig in Betrieb genommen werden, so dass die Lücke ausgeglichen wäre. Zudem würde es sich – selbst wenn die Saudis nicht einspringen könnten – nur um einen Ausfall von rund 5 % der Weltförderung von knapp 60 Mill. bpd handeln. Allerdings würde ein Eingreifen der USA und des Irans auf Seiten der irakischen Regierung für eine Ausweitung des Konflikts und damit für weiteren Aufwärtsdruck auf den Ölpreis sorgen.Die Gefahren für die Ölversorgung der Welt gehen aber weit über den möglichen Ausfall der irakischen Förderung hinaus. Es besteht das Risiko der Destabilisierung der gesamten arabischen Welt und damit der wichtigsten Ölförderregion rund um den Persischen Golf. Diese Perspektive könnte den Ölpreis noch deutlich stärker nach oben hieven, als es bisher geschehen ist.So haben die ISIS-Extremisten nicht nur anspruchsvolle Ziele – sie streben nicht weniger als einen einheitlichen islamistischen Staat in der gesamten arabischen Welt an. Sie sollen auch bereits über größere finanzielle und militärische Ressourcen verfügen als El-Kaida. Wie das Beispiel Syrien deutlich macht, fällt es den extremen islamistischen Kräfte daher leicht, sich auf Seiten der Opposition gegen ein Regime in eine führende Position zu bringen.Der Erfolg der ISIS dürfte politisch und religiös Gleichgesinnte in anderen arabischen Staaten anspornen, die korrupten Regime zu vertreiben. Die politische Lage in vielen Ländern der Region ist labil, wie der fast überall gescheiterte arabische Frühling bewiesen hat. Für die Labilität ist letztlich die wachsende soziale Ungleichheit und die Verarmung der Massen in der arabischen Welt verantwortlich. Wie Zahlen des Ölkonzerns BP zeigen, ist das Pro-Kopf-Einkommen in den Mitgliedstaaten des Ölkartells Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) in realen Größen seit den siebziger Jahren nicht mehr gestiegen. Eine rasche Lösung für die sozialen Probleme der Region zeichnet sich derweil nirgendwo ab.——–Von Dieter KuckelkornDie Gefahren des Siegeszugs der Islamisten der ISIS für die Ölversorgung der Welt gehen weit über den Ausfall der irakischen Förderung hinaus.——-