Gelassenheit trotz Kriegsgefahr

Akteure am Ölmarkt rechnen nicht mit einem US-Angriff auf den Iran - Brent-Notierung in enger Spanne

Gelassenheit trotz Kriegsgefahr

Trotz der immer aggressiver werden Rhetorik der staatlichen Akteure am Persischen Golf ist ein Krieg zwischen den USA und dem Iran momentan eher unwahrscheinlich. Diese Einschätzung spiegelt auch der Ölpreis wider, der kaum auf die jüngste Eskalation reagiert hat.Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDie geopolitische Lage am Persischen Golf droht zu explodieren, ein Krieg zwischen den USA und dem Iran scheint mittlerweile fast unvermeidlich. Die US-Regierung hat bereits dafür Sorge getragen, dass ihre Angriffspläne an die Öffentlichkeit gelangt sind. Diese sehen als einen ersten Schritt die Verlegung von 120 000 US-Soldaten an den Golf vor und in einem zweiten Schritt das Zusammenziehen einer Invasionsarmee von bis zu 500 000 amerikanischen Soldaten. Gleichzeitig wird in regierungsnahen US-Medien über mehrere tausend Luftangriffe auf den Iran spekuliert. US-Senatoren fallen auf Twitter bereits mit patriotischen Äußerungen auf, in denen sie sich überzeugt zeigen, dass es einen schnellen militärischen Sieg gegen den Iran geben wird.Ein Krieg in der Region würde zweifellos zu einer drastischen Verknappung des globalen Ölangebots führen – mit einem kriegsbedingten Ausfall der iranischen Ölindustrie für möglicherweise mehrere Jahre und einer Sperrung der Meerenge von Hormus, durch die rund 25 % der weltweiten Öltransporte abgewickelt werden.Gleichwohl tun die Akteure am Ölmarkt so, als ginge sie das alles nichts an. Der Preis der wichtigsten Rohölsorte Brent Crude bewegt sich derzeit in einer Spanne zwischen 70 und 75 Dollar, die die gegenwärtige Drosselungspolitik des Kartells Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) und die US-Sanktionen gegen den Iran und gegen Venezuela einpreist, aber keine stark gestiegenen geopolitischen Risiken widerspiegelt. Ihr Jahreshoch von knapp über 75 Dollar hat die Brent-Notierung Ende April markiert, also noch vor der jüngsten Eskalation zwischen Washington und Teheran. Dabei sind sich die meisten Marktbeobachter einig, dass ein Krieg den Ölpreis auf 200 Dollar oder sogar noch weit darüber treiben würde.Zu beobachten ist lediglich, dass der Spread zwischen Brent Crude und der führenden US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) auf fast 10 Dollar je Barrel gestiegen ist. Das zeigt aber vor allem die reichliche Versorgung des amerikanischen Marktes mit Öl an. Der Grund für die Tiefenentspannung der Marktteilnehmer liegt darin, dass sie es derzeit für ziemlich unwahrscheinlich halten, dass tatsächlich ein Krieg am Golf ausbricht. Zwar ist es nicht auszuschließen, dass das gegenwärtige Niveau an Konfrontation und Misstrauen zu einer unbeabsichtigten militärischen Konfrontation führt – die dann den befürchteten Preissprung bei Rohöl auslösen würde. Es liegt derzeit trotz der aggressiven Rhetorik aber nicht im Interesse der Beteiligten, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Aggressives AuftretenDas gilt auch für die USA, die momentan in der Region so kriegerisch auftreten wie zuletzt 2003 vor dem Angriff auf den Irak. Zwar will die Trump-Administration die iranische Regierung in die Knie zwingen, das iranische Öl nach dem Vorbild des Irak für US-Konzerne verfügbar machen und vor allem verhindern, dass der Iran ein wichtiger Knotenpunkt der von China vorangetriebenen Neuen Seidenstraße und der eurasischen Integration wird. Dabei setzt die Trump-Administration aber mehr auf das Mittel einer langsamen wirtschaftlichen Strangulierung des Iran flankiert von “Regime-Change”-Aktivitäten gemäß Vorbildern wie dem Arabischen Frühling und der Ukraine.Zumindest dem Pentagon ist das Desaster des Irakkriegs noch in guter Erinnerung, wo es zwar einen schnellen vordergründigen Sieg gegen eine demoralisierte irakische Armee gegeben hat, es aber auf lange Sicht dazu kam, dass der Einfluss des Iran in dem Land inzwischen größer ist als derjenige der USA. Außerdem hat der Irakkrieg die USA die Position als alleinige verbliebene Supermacht gekostet – gaben seine Konsequenzen doch Russland die Chance zur Rückkehr in den Nahen Osten und China eine Dekade Aufschub, bevor sich die US-Regierung der Bekämpfung des Aufstiegs des Reichs der Mitte widmete.Dem US-Generalstab ist auch klar, dass der Aufwand und die Kosten der Besetzung des gut verteidigten Iran mit seiner für Angreifer schwierigen Geografie gigantisch wären. Hilfstruppen wie die saudische Armee lassen sich wegen ihrer niedrigen Kampfkraft kaum nutzen. Erforderlich wäre daher aller Voraussetzung nach die Wiedereinführung der Wehrpflicht in den USA, während die Kosten eines Kriegs die schwächelnde amerikanische Realwirtschaft überfordern würden. Ein starker Anstieg des Ölpreises würde die USA tief in die Rezession treiben und Präsident Trump seine Wiederwahlchancen nehmen.Das militärische Risiko ist hoch – die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg keinen bedeutenden Krieg mehr gewonnen. Eine Niederlage oder auch nur die Versenkung eines Flugzeugträgerverbands durch den Iran im Persischen Golf würde der führenden Weltmacht den Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit nehmen, den sie sich nach dem verlorenen Vietnamkrieg mit den Mitteln der Propaganda mühsam wieder aufgebaut hat. Weniger EinflussZwar gibt es innerhalb der US-Regierung unterschiedliche ideologische Lager, was seit der Amtsübernahme Donald Trumps manchmal dazu geführt hat, dass es gleichzeitig mehrere gegensätzliche US-Außenpolitiken gab. Außerdem ist John Bolton, Hardliner und Sicherheitsberater des Präsidenten, eindeutig an einem Krieg gegen den Iran interessiert – wobei Bolton nachgesagt wird, er falle gelegentlich auf seine eigene Propaganda der US-Überlegenheit herein. Allerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass Bolton entweder aus seinem Amt entfernt wird oder zumindest seinen Einfluss auf Trump verliert. Bekannt geworden sind bereits abfällige Bemerkungen des Präsidenten über Bolton.Auch dürfte die saudi-arabische Führung, die derzeit im Weißen Haus großen Einfluss hat, nicht an einem heißen Krieg interessiert sein. Der Iran würde ohne Zweifel zur Vergeltung die saudische Infrastruktur – vor allem Ölfelder, Öl-Pipelines und Meerwasserentsalzungsanlagen – mit Hilfe seiner zahlreichen ballistischen Raketen in Schutt und Asche legen. Saudi-Arabien – aber auch die anderen Golf-Monarchien – befinden sich in einer schwierigen ökonomische Transformation hin zu einer weniger vom Erdöl abhängigen Wirtschaft. Ein Krieg würde diese Bemühungen weit zurückwerfen.Auf der anderen Seite ermöglichen es die angespannte Situation und der Konflikt mit dem Iran den Regimen am Golf aber, die Unterdrückung von politischem Dissens ideologisch zu untermauern. Sie sind also am ehesten noch an dem Erhalt des gegenwärtigen Niveaus an Konfrontation interessiert, nicht aber an einer Eskalation. Angst vor den RaketenDer ebenfalls im Weißen Haus sehr einflussreichen israelischen Regierung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl auch nicht an einem Krieg gegen den Iran gelegen. Premierminister Benjamin Netanjahu und die Armeeführung fürchten schwere Schäden durch iranische Mittelstreckenraketen angesichts der wenig effektiven israelischen Raketenabwehr. Netanjahu sieht aus diesem Grund sogar von eigentlich geplanten umfangreichen Militäroperationen gegen die sunnitische Hamas im Gaza-Streifen und gegen die schiitischen Hisbollah im Südlibanon ab, weil beide Milizen über ein umfangreiches Arsenal an ballistischen Raketen verfügen, das die israelische Raketenabwehr überfordern würde.Die iranische Führung ist selbstverständlich bestrebt, einen Krieg mit den USA mit seinen katastrophalen Folgen für das Land zu vermeiden. Das gegenwärtige Niveau an Spannungen ist jedoch für die in der Bevölkerung nicht immer beliebte Regierung und den Klerus nützlich, weil es sich für Aufrufe zu einer patriotischen Sammlung und zur Unterstützung der Führung nutzen lässt.Sollte die Situation am Golf nicht außer Kontrolle geraten, werden kurzfristig also eher die Einschätzungen der Marktteilnehmer zur Entwicklung von Angebot und Nachfrage den Ölpreis bestimmen. Und das spricht gegen einen starken Anstieg des Ölpreises.