Geopolitik treibt Ölpreis an

Am Persischen Golf steigt die Kriegsgefahr - Brent-Notierung klettert über 75 Dollar

Geopolitik treibt Ölpreis an

Erstmals seit November ist der Brent-Ölpreis über die Marke von 75 Dollar geklettert. Hintergrund sind zunehmende geopolitische Risiken. So steigt die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen den USA und dem Iran, was zur Sperrung der Straße vonHormus führen könnte. Dies hätte gravierende Folgen für den Ölmarkt.Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDer Preis des wichtigsten Energieträgers Rohöl zeigt derzeit eine eigentlich ungewöhnliche Entwicklung. Obgleich der Markt im Grunde gut versorgt ist und obwohl auch genügend ungenutzte Kapazitäten in den großen Produzentenländern existieren, geht die Entwicklung nach oben. Am Donnerstag hat die Nordseesorte Brent Crude als die wichtigste globale Benchmark erstmals seit Anfang November vergangenen Jahres oberhalb der Marke von 75 Dollar je Barrel (159 Liter) notiert.Am Mittwoch hatte die Internationale Energieagentur IEA noch angemerkt, der globale Ölmarkt sei jedenfalls momentan ausreichend mit dem schwarzen Gold versorgt. Die IEA-Ökonomen verwiesen darauf, dass sich die Lagerbestände Ende Februar mit 2,871 Mrd. Barrel auf einem Niveau oberhalb ihres Fünfjahresdurchschnitts befunden hätten und dass es aktuell 3,3 Mill. Barrel pro Tag (bpd) an ungenutzten Produktionskapazitäten gebe, die in relativ kurzer Zeit wieder aktiviert werden können.Der jüngste Sprung über die Marke von 75 Dollar erfolgte gleichwohl, wobei am Markt zur Erklärung darauf verwiesen wurde, dass Polen und Deutschland den Import von russischem Erdöl über eine Pipeline ausgesetzt haben. Dabei handelt es sich wohl lediglich um ein temporäres Problem mit der Qualität des gelieferten russischen Öls, das die russische Seite relativ schnell beseitigen kann. Erratische PolitikLetztlich ist es aber vor allem die zunehmend erratische Politik der US-Regierung unter Präsident Donald Trump mit ihren Eingriffen in den Ölmarkt in Form von Sanktionen gegen die wichtigen Erdölproduzenten Venezuela und Iran, die für einen größer werdenden geopolitischen Preisaufschlag sorgt. Diese Politik ist umso gefährlicher, da sie sich nicht um Marktgegebenheiten schert und sogar zu einer erheblichen Kriegsgefahr am Persischen Golf als der wichtigsten Ölförderregion der Welt führt.Nachdem bereits der seit Jahren geführte Wirtschaftskrieg der US-Regierung gegen Venezuela mit dem Ziel des Zugriffs von US-Ölkonzernen auf die immensen Ölreserven des Landes zu einer starken Verknappung venezolanischen Öls geführt hat, ist nun auch wieder der Iran ins Visier der Falken in der Trump-Administration geraten.Trump hatte bereits im November auf Anraten seines Sicherheitsberaters John Bolton und des US-Außenministers Mike Pompeo weitreichende Sanktionen gegen iranische Ölexporte verhängt. Dann jedoch gab es eine unerwartete Kehrtwende, als die US-Regierung großzügige Ausnahmegenehmigungen für die wichtigsten Abnehmerländer iranischen Öls gewährte, da sich Trump wohl um die Energiepreise im eigenen Land und um seine Wiederwahlchancen sorgte. Diese Ausnahmegenehmigungen werden jetzt jedoch mit Wirkung ab Anfang Mai nicht mehr verlängert. Knappe LieferungenWegen des weitreichenden Einflusses der US-Regierung auf das weltweite Banken- und Finanzsystem können die Sanktionen dazu führen, dass die iranischen Ölexporte fast auf null zurückgehen. Im laufenden Monat sind sie trotz der US-Ausnahmegenehmigungen bereits unter die Marke von 1 Mill. bpd gefallen, nachdem sie ein Jahr zuvor noch 2,5 Mill. bpd betragen hatten. Hinzu kommt, dass Opec-Mitglieder wie Saudi-Arabien und befreundete Staaten wie Russland ihre Öllieferungen bewusst knapp halten – trotz der Trump-Forderung, die ausfallenden iranischen Lieferungen durch Mehrproduktion auszugleichen.Nach Einschätzung der Rohstoffanalysten der Commerzbank wird der Ölmarkt im zweiten und im dritten Quartal deutlich unterversorgt sein. Im März sei bereits die Opec-Ölproduktion um 550 000 bpd auf 30,1 Mill. bpd zurückgegangen. Saudi-Arabien unterbietet derzeit die dem Land gemäß den Opec-Absprachen zugestandenen Produktionsmengen mit 9,8 Mill. bpd um 500 000 bpd, womit Riad die bei einigen Mitgliedern des Kartells zu beobachtende mangelnde Disziplin hinsichtlich der Umsetzung der Förderquoten ausgleicht. Venezuela, das über noch größere Ölreserven verfügt als die Saudis, fördert magere 870 000 bpd. Nach Schätzungen der Commerzbank fehlen dem Markt bis September durchschnittlich 700 000 bpd.Allerdings bezweifeln andere Marktbeobachter, dass es zu einer Verknappung kommt. Rohstoffanalyst Jan Edelmann verweist beispielsweise auf die anhaltende Expansion im US-Schieferölsektor und die flexible Angebotsstrategie der Opec und ihrer Verbündeten. Er ist der Meinung, dass der Markt auch weiter gut versorgt sein dürfte. Unterstrichen wird dies durch die Tatsache, dass die Lagerbestände an Rohöl zumindest in den USA weiter wachsen. Allein in der Woche per 19. April vergrößerten sie sich um 6,9 Mill. Barrel auf 549,6 Mill. Barrel. Die US-Regierung schätzt, dass allein die amerikanische Ölförderung im laufenden Jahr um 1,6 Mill. bpd zulegen wird. Drohungen aus TeheranBleiben somit die geopolitischen Risiken als ein derzeit wichtiger Einflussfaktor auf den Ölpreis. Seit November droht die iranische Führung regelmäßig damit, dass sie die für die globalen Öltransporte wichtige Meeresenge von Hormus für alle Tanker sperren könnte. Wenn der Iran kein Öl mehr exportieren kann, sollten dies auch andere Produzentenländer am Golf nicht mehr können, heißt es aus Teheran.Durch die Straße von Hormus wird etwa 25 % des weltweit verbrauchten Rohöls transportiert. Der Iran hat sogar see- und völkerrechtlich das Recht zur Schließung der Straße von Hormus, weil die Schiffsrouten durch iranische Hoheitsgewässer verlaufen und es keine gültigen internationalen Verträge gibt, die das Recht auf Passage gewähren würden. Ein entsprechendes allgemeines Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen wurde vom Iran nicht ratifiziert, es entfaltet also für die Straße von Hormus keine Gültigkeit. Militärische VorbereitungenDie USA drohen seit Jahren damit, dass sie im Fall einer Sperrung der iranischen Hoheitsgewässer die Passage freikämpfen werden. Damit würde ein weitreichender Krieg zwischen den USA und dem Iran in einem energiepolitisch sensiblen Gebiet drohen. Die iranische Führung scheint sich aktuell auf eine militärische Auseinandersetzung vorzubereiten, wurde doch vor wenigen Tagen ein neuer Befehlshaber der iranischen Revolutionsgarden, der Eliteeinheiten des iranischen Militärs, ernannt. Der jetzt an der Spitze stehende Generalmajor Hossein Salami gilt als Hardliner.Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das militärische Kräftegleichgewicht zwischen dem Iran und den USA in der Region in den vergangenen Jahren zugunsten des Iran verändert hat – wenn man den Einsatz amerikanischer Atomwaffen ausschließt. So ist der Iran nach Ansicht vieler Experten durchaus in der Lage, die Straße von Hormus wirksam für Öltransporte zu schließen. Das Land verfügt über eine große Zahl moderner Anti-Schiff-Raketen großer Reichweite aus einheimischer und russischer Produktion. Diese könnten nicht nur den unbewaffneten zivilen Tankern zum Verhängnis werden.Gegen die überschallschnellen russischen Raketenmodelle P-800 Yakhont/Oniks und die älteren P-270 Moskit, über die der Iran nach Einschätzung westlicher Experten in ausreichender Zahl verfügt, vermag sich auch ein amerikanischer Flugzeugträgerverband kaum wirksam zu verteidigen. Und die noch 2003 gegen den Irak realisierte Option der Besetzung des Landes durch eine von den USA geführte militärische Koalition verbietet sich im Fall des Iran schon wegen der für einen Landkrieg ungünstigen Topografie, der astronomischen Kosten einer amerikanischen Militäroperation und der Tatsache, dass der Iran mehr als doppelt so viele Einwohner hat wie der Irak. Angst der VersichererMöglicherweise muss der Iran seine Raketen aber gar nicht einsetzen, um die Straße von Hormus wirtschaftlich wirksam zu sperren. Allein die Drohung der Versenkung von Tankern wird nämlich die internationalen Schiffsversicherer bewegen, für die Passage durch den Persischen Golf keine Deckung mehr zu gewähren. Kein Reeder kann sich leisten, die teuren Schiffe ohne Versicherungsschutz fahren zu lassen.Sollte es daher zum Ausfall von 25 % der weltweiten Öllieferungen kommen, dürfte der Ölpreis durch die Decke gehen. Es werden für einen solchen Fall Schätzungen von 500 Dollar je Barrel oder sogar noch mehr herumgereicht. Es wäre also mit äußerst gravierenden Folgen für die globale Realwirtschaft und auch das Finanzsystem zu rechnen. Machtpolitisches DenkenDiese Perspektive sollte eigentlich selbst US-Präsident Trump dazu bewegen, Vernunft walten zu lassen und die Geduld des Ölmarktes und des Iran nicht überzustrapazieren. Allerdings denken momentan sehr einflussreiche Personen in der US-Administration wie Bolton und Pompeo in machtpolitischen, aber nicht unbedingt ökonomischen Kriterien. Es ist keineswegs sicher, dass sich gemäßigte Kräfte in der Iran-Politik des Weißen Hauses durchsetzen werden.Für den Ölpreis bedeutet dies, dass es losgelöst vom Marktgleichgewicht aus Angebot und Nachfrage ein erhebliches geopolitisches Preissteigerungspotenzial gibt.