Geschwindigkeit im Wandel
Die Derivatebranche – die mitunter den Ruf genießt, ein eher trockenes und analytisches Unterfangen zu sein – durchläuft seit einigen Monaten eine durchaus emotionale Phase. Auslöser sind Pläne mittlerweile mehrerer Börsenbetreiber, in einigen Marktsegmenten eine Geschwindigkeitsdifferenzierung einzuführen, wodurch ein Teil der eingegebenen Orders gedrosselt wird.Dabei war die Eurex Vorreiter. Wir haben vor drei Jahren begonnen, uns das Thema Geschwindigkeit anzuschauen, und haben analysiert, welchen Wert es in den Orderbüchern unseres großen Produktportfolios hat. Das Ergebnis: In einigen Marktsegmenten hat das Geschwindigkeitsrennen seine Grenzen erreicht, weil es die Liquidität nicht mehr erhöht und die Effizienz der Preisfindung nicht länger steigert. Zusammenspiel vieler AkteureAber der Reihe nach: Grundsätzlich spielt das Thema Geschwindigkeit für alle Marktteilnehmer eine Rolle – in welchem Ausmaß ist lediglich eine Frage des Investmenthorizonts. Für einen langfristig ausgerichteten institutionellen Investor ist die Geschwindigkeit der Orderausführung vor allem eine Frage der Minimierung des Markteinflusses der Order. Daher werden diese Transaktionen über Stunden – manchmal über Tage – hinweg ausgeführt.Am anderen Ende des Spektrums stehen die Marketmaker, die ihre Preise manchmal bei jeder Kursänderung des Underlyings der jeweiligen Derivate mehrfach innerhalb einer Sekunde verändern. Sie sind es, die Liquidität bereitstellen und so dem Endkunden dienen – das kann zum Beispiel unser langfristig ausgerichteter institutioneller Investor sein. Sie ermöglichen es ihm, zu jeder Zeit die Absicherungsinstrumente zu handeln, die er braucht, um das Risikoprofil seiner Portfolien effizient zu steuern.Eine Börse wie die Eurex lebt vom Zusammenspiel der verschiedenen Marktteilnehmer mit ihren unterschiedlichen Anlagehorizonten. Wenn ich mir die Diskussion der vergangenen Jahre rund um den Hochfrequenzhandel vergegenwärtige, wundere ich mich immer wieder über die vorherrschende Schwarz-Weiß-Haltung. Schließlich ist Geschwindigkeit nicht per se gut oder schlecht und auch nur in Teilen eine Angelegenheit der Börse. Denn grundsätzlich durchläuft jede Order drei Phasen.Die erste ist das Empfangen der Information, die zu einer Transaktionsentscheidung führt. Bei unserem institutionellen Investor können das neue Mittelzuflüsse oder Informationen aus einem Analystenbrief sein. Beim Marketmaker lösen Kursbewegungen des Underlyings Aktionen aus, da er dafür sorgen muss, nicht mit alten Preisen im Orderbuch zu stehen. Er maximiert daher bereits die Geschwindigkeit, mit der er Informationen empfängt.Die zweite Phase ist die Ordergenerierung. Bei vielen Endkunden erfordert dies zunächst menschliche Interaktion, wenn beispielsweise Strategie oder Risikoappetit diskutiert werden. Der Marketmaker hingegen hat einen Algorithmus, der innerhalb von Nanosekunden eine Order generiert.Erst dann kommen wir ins Spiel, wenn die Order an uns geschickt wird. Das erledigt der institutionelle Investor elektronisch oder mündlich über seinen Broker. Der Marketmaker hingegen schickt seine Order innerhalb von Mikrosekunden.Eine heterogene, gesunde Marktstruktur entsteht, wenn verschiedene Handelsinteressen mit ihren verschiedenen Zeithorizonten aufeinandertreffen, weil dann jeder seine Gegenpartei finden kann.Marketmaker brauchen wie beschrieben ein Umfeld mit geringer Latenz, um ihr Geschäftsmodell verfolgen zu können – und sie sind es, die Fondshäusern, Versicherern und Pensionskassen als Gegenpartei Preise zur Verfügung stellen. Unsere Rolle als Börsenbetreiber dabei ist es, dafür so sorgen, dass die Spielregeln für alle Marktteilnehmer fair sind. Das erreichen wir durch verschiedene Sicherungsmechanismen und den regelmäßigen Austausch mit unseren Teilnehmern, Aufsehern und der Handelsüberwachung. Grenze der GeschwindigkeitBei der Überprüfung unserer verschiedenen Marktsegmente haben wir festgestellt, dass für die Optionsmärkte die Geschwindigkeit ihre Grenzen erreicht hat. In diesem Bereich müssen Marketmaker bei jeder Kursänderung des der Option zugrundeliegenden Wertpapiers die Optionspreise neu kalkulieren und ggf. ihre Preise im Markt entsprechend aktualisieren.Da dieser Prozess länger dauert als die Generierung schneller, einzelner Orders, die gegen die noch bestehenden, jetzt veralteten Marketmaker-Preise im Orderbuch handeln, haben alle Markteilnehmer, die dem Markt Liquidität bereitstellen, einen Nachteil. Den Nachteil beheben wir, indem wir die Geschwindigkeit aller aggressiver Orders, also Orders die bei Eintreffen im Orderbuch sofort zu einem Geschäft führen, minimal verzögern. Damit können die Marketmaker den Investoren ein besseres Liquiditätsbild zur Verfügung stellen.Zunächst führen wir diese Geschwindigkeitsdifferenzierung – in Form der Passive Liquidity Protection (PLP) – für deutsche und französische Aktienoptionen ein. Nun werden wir uns sechs Monate lang genau anschauen, ob die Geschwindigkeitsdifferenzierung ihr Ziel erreicht und die Liquidität im Orderbuch steigt. Hierzu werden wir sowohl mit den Marketmakern als auch mit den langfristig orientierten Endkunden sprechen.Und dann entscheiden wir im Sinne des Marktes, wie es weitergeht – in aller Sachlichkeit und transparent auf Fakten basierend. Ziel ist es, unsere Marktplätze passgenau weiterzuentwickeln, um unserem Auftrag als öffentlich-rechtlich regulierte Börse bestmöglich zu erfüllen. Und der lautet, effiziente und robuste Märkte unter Gleichbehandlung aller Teilnehmer zu gestalten. Randolf Roth ist Mitglied des Vorstandes der Eurex Frankfurt AG.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——Randolf RothWir werden uns sechs Monate lang genau anschauen, ob die Geschwindigkeitsdifferenzierung ihr Ziel erreicht und die Liquidität im Orderbuch steigt