LEITARTIKEL

Gewichtsverlust

War da was in Großbritannien? Richtig, die Bewohner des Vereinigten Königreichs haben vor zweieinhalb Monaten mit knapper Mehrheit für einen Ausstieg aus der Europäischen Union (EU) gestimmt. Zur Erinnerung: Das Pfund Sterling stürzte daraufhin an...

Gewichtsverlust

War da was in Großbritannien? Richtig, die Bewohner des Vereinigten Königreichs haben vor zweieinhalb Monaten mit knapper Mehrheit für einen Ausstieg aus der Europäischen Union (EU) gestimmt. Zur Erinnerung: Das Pfund Sterling stürzte daraufhin an zwei Handelstagen um 12 % ab wegen der Angst vor Kapitalflucht, Rezession und Währungskrise. Man mag diese durchaus berechtigten Sorgen fast vergessen haben angesichts der jüngsten positiven britischen Konjunkturdaten und der Erholung des Pfund. Am Dienstag erreichte der Kurs mit 1,3440 Dollar je Pfund ein Siebenwochenhoch.Waren die Warnungen der Europa-Befürworter vor den Konsequenzen des Brexit genannten Ausstiegs also überzogen? Fans nationaler Abschottung argumentieren möglicherweise so. Aber fairerweise kann nach so kurzer Zeit noch nichts über die tatsächlichen Konsequenzen des Votums von Ende Juni für die Wirtschaft und die Finanzmärkte gesagt werden. Dies gilt umso mehr, als der Ausstieg überhaupt noch nicht offiziell erklärt wurde und schon gar nicht abzusehen ist, wie das Verhältnis Großbritanniens und der EU künftig gestaltet ist. Wird die Insel einen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt haben? Wird die Passporting-Regelung für Finanzdienstleister Bestand haben, oder werden diese auf den “Kontinent” umziehen? Klar ist wohl nur, dass die vollmundigen und teils populistischen Versprechen einiger Brexit-Befürworter nicht zu halten sind. Nur Nachteile aufzugeben und die Vorteile behalten, das wird nicht funktionieren – in Großbritannien nicht und anderswo auch nicht.Währungsseitig ist die Anpassung an die künftige Post-EU-Welt für Großbritannien allerdings schon zu einem guten Teil erfolgt. Der Preis für ein Pfund Sterling rauschte in Reaktion auf das Votum binnen weniger Tage in die Tiefe. Dabei half auch, dass der Devisenmarkt bei den Hauptwährungen hochliquide ist und deshalb Nachrichten schnell und effizient einzupreisen vermag.Doch auch die Anpassung über die Währung hat für die Briten einen Preis: Wegen steigender Importpreise wird die Inflation klettern, während die Bank of England zur Beruhigung der Kapitalmärkte den Leitzins gesenkt hat. Im Ergebnis sinken Kaufkraft und Realverzinsung, Konsumenten und Sparer tragen also die Anpassungslast. Dies ist der Unterschied zu Ländern der Eurozone wie Spanien, wo die Anpassung nach dem Ende des Immobilienbooms über Löhne und Beschäftigung erfolgte.Allerdings spricht vieles dafür, dass ein Gutteil, aber noch längst nicht die gesamte Brexit-Last im Pfund-Kurs eingepreist ist. In nächster Zeit dürfte allerdings erst einmal eine weitere volatile Schwankung rund um einen Kurs von 1,30 Dollar zu erwarten sein. Dabei ist allerdings zu beachten, dass längst nicht alle Bewegungen am Markt Brexit-getrieben sind. Dies zeigte die jüngste Pfund-Aufwertung in Reaktion auf nachlassende US-Zinsfantasien. Und der Euro-Pfund-Kurs hängt eben zu einem erheblichen Teil davon ab, wie sich Wachstum, Inflation und Zinsen in der Eurozone entwickeln.Dennoch wird der britische EU-Austritt mittelfristig noch einmal Abwertungsdruck auf das Pfund ausüben. Nachdem das Thema im Sommerloch der Finanzmärkte verschwunden war, dringt es nun erst langsam wieder in das Bewusstsein der Akteure ein. Viele Volkswirte sagen für kommendes Jahr, wenn der Austritt notifiziert wird, eine deutliche Abschwächung der britischen Wirtschaft voraus. Ein großes Risiko für sie ist diesbezüglich der Abzug von Kapital. Denn die Briten leben, etwas flapsig gesagt, über ihre Verhältnisse. Ein Leistungsbilanzdefizit von rund 5 % besagt nichts anderes, als dass das Ausland 5 % der Wirtschaftsleistung bezahlt.Bislang finanziert die Welt das britische Defizit. Lässt jedoch der Zufluss nach, so muss das Pfund weiter abwerten, um die Bilanz auszugleichen. Und der Anpassungsdruck steigt, wenn die Investitionen nachlassen. Dieses Risiko besteht, wie Reaktionen aus Japan zeigen. In für asiatische Verhältnisse ungewohnter Offenheit warnt die Regierung in Tokio vor der Verlagerung japanischer Banken und Autofabriken auf den Kontinent. Auch die Großbank UBS stellt 20 bis 30 % ihrer britischen Jobs zur Disposition. Sinken die Kapitalzuflüsse, so wird zudem eine Anpassungsrezession unausweichlich – Griechenland lässt grüßen. Dies dürfte nicht nur das Sentiment verdüstern, eine weitere Lockerung der Geldpolitik durch die Bank of England wäre wohl unausweichlich. Dem Pfund droht damit ein weiterer Gewichtsverlust.——–Von Stefan SchaafDie Brexit-Folgen sind schon zu einem guten Teil im Pfund-Kurs enthalten. Doch das britische Leistungsbilanzdefizit bleibt ein Grund zur Besorgnis.——-