IM INTERVIEW: DAVID ALLEN, J.P. MORGAN ASSET MANAGEMENT

"Gewinner werden zu früh verkauft"

Der Fondsmanager über Verhaltensökonomie in der Vermögensverwaltung sowie das Investieren unter Stress und bei Ineffizienzen des Marktes

"Gewinner werden zu früh verkauft"

Märkte stehen immer wieder unter Stress und besitzen Ineffizienzen, Investoren zeigen Nerven und verhalten sich irrational. Dies ist der Ansatz der Verhaltensökonomie, die emotionale Aspekte an den Finanzmärkten berücksichtigt. Welche Konsequenzen solche Verhaltensweisen für Investitionsentscheidungen haben, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung David Allen. Er leitet bei J.P. Morgan Asset Management in London einen Europa-Aktienfonds und zählt dort zum Behavioural Finance Team.- Herr Allen, die Verhaltensökonomik beschäftigt sich mit dem menschlichen Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Was bedeutet es für Ihre Sicht auf die Finanzmärkte und Ihre Investmententscheidungen, Aspekte von Behavioural Finance zu berücksichtigen?Behavioural Finance ist auch durch Berichte in den Medien zuletzt in Mode gekommen. Wir verfolgen den Ansatz aber schon seit Mitte 1990er-Jahre und haben ihn Region für Region eingeführt. Er setzt bei den einseitigen Neigungen und emotionalen Fehlern an, die wir alle haben – insbesondere in Stresssituationen oder beim Umgang mit Risiko. Bei jeder Entscheidung, die wir treffen, versuchen wir solche Verhaltensanomalien einzubeziehen. Investieren nach den Prinzipien der Behavioural Finance bedeutet, Situationen zu identifizieren, in denen der Markt unter Stress steht oder auf ein Ereignis überreagiert. In der Theorie klingt das alles einfach. Aber in der Praxis ist es sehr viel schwieriger, die einwirkenden Kräfte zu identifizieren. Es geht dabei gar nicht nur darum, Ineffizienzen oder Opportunitäten zu identifizieren, sondern sich selbst auch die Frage zu beantworten, ob man an den Annahmen seines Modells festhält.- Spielen emotionale Aspekte bei Investmententscheidungen eine Rolle?Ja, durchaus. Es gibt den sogenannten Dispersionseffekt: Man wird mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Aktie verkaufen, die für einen gut gelaufen ist, als eine zu verkaufen, bei der es für einen schlecht lief. Gewinne rechnet man sich der eigenen Cleverness zu. Wenn die Aktie aber unter Wasser steht, hofft man auf eine Erholung.- Das ist ein typisches Verhalten von Privatanlegern. Ist dies auch bei Profis zu beobachten?Ich glaube, dies ist für alle Investoren typisch. Im Fall des Dispersionseffektes heißt dies: Die Gewinner werden zu früh verkauft. Wenn ein Unternehmen für uns ein Gewinner ist, versuchen wir es nicht zu früh zu verkaufen, auch wenn wir einen guten Gewinn mitnehmen könnten.- Wie gelangen Sie zu der Einschätzung, dass eine Aktie weiter steigen wird, nachdem sie beispielsweise in zwei Jahren schon 25 % zugelegt hat? Warum sollten es 35 % werden können?Hier kommt die Bewertungskomponente ins Spiel. Wenn der Kurs um 25 % gestiegen ist und die Gewinne nicht mitzogen, würde uns das nervös machen. Dann wäre die Aktie auf Bewertungsbasis teurer geworden ist. Wir schauen also auf das Momentum der Bewertung. Eine weitere Komponente: Wir investieren in Qualitätsunternehmen wie Dürr aus Deutschland oder Valeo aus Frankreich.- Bei Verhaltensökonomie denken viele an “Animal Spirits”, die durch das gleichnamige Buch von George A. Akerlof und Robert J. Shiller für Diskussionsstoff sorgen. Wie wirken solche “animalischen Instinkte” an den Finanzmärkten?Herdenverhalten ist ein guter Ausgangspunkt. Es ist bei Analysten gut zu beobachten. Angenommen, ein Analyst trifft Vorhersagen für den Umsatz eines Unternehmens und das Ergebnis seiner Untersuchung ist, dass der Umsatz 120 betragen sollte anstelle der Konsenserwartung von 100. Da seine Erwartung zu weit vom existierenden Konsensus entfernt ist, wird bei dem Analysten die Tendenz bestehen, seine Vorhersage herunterzuspielen, um näher zur Mehrheitsmeinung aufzuschließen. Er wird eine Prognose von 110 veröffentlichen. Damit ist er näher am Konsensus dran und kein extremer Ausreißer. Während das Unternehmen Quartal für Quartal seine Ergebnisse veröffentlicht, wird der Analyst seine Umsatzprognose dann graduell anpassen und damit einen Trend für die Gewinnschätzungen setzen. Wir haben herausgefunden, dass in sieben von zehn Fällen eine Heraufstufung von weiteren Heraufstufungen gefolgt wird – und umgekehrt bei Herabstufungen. Dies unterstreicht den Bias, denn ansonsten sollte die Wahrscheinlichkeit für weitere Heraufstufungen eher bei 50 % liegen.- Kann man sich als einzelner Investor überhaupt gegen die Masse stellen?Es gibt ein klassisches Zitat von Keynes, wonach der Markt länger irrational als man selbst solvent bleiben kann. Um Geld verdienen zu können, genügt es nicht, eine Ineffizienz im Markt zu erkennen. Ein Beispiel: Die Häuserpreise in Australien waren jahrelang überbewertet – aber ich war die ganze Zeit auf der falschen Seite des Trades. Selbstverständlich benötigt man ein gutes Risikomanagement, also auch eine angemessene Größe der einzelnen Positionen. So verliert man nicht seinen Kopf, wenn es eine Zeit dauert, bis einzelne Positionen sich auszahlen. Es geht außerdem darum, eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen zu haben. Um beim Beispiel der australischen Hauspreise zu bleiben: Man benötigt im Portfolio eine ganze Reihe Positionen, die hierzu nicht korreliert sind.- Können Sie Beispiele nennen, wie Sie Ihren verhaltensökonomischen Ansatz umgesetzt haben?Wir haben in diesem Jahr in meinem Fonds bei einigen Aktien von Online-Einzelhändlern auf fallende Kurse gesetzt. Das Papier des Online-Modehändlers Asos hat sich in den vergangenen drei Jahren bis Ende März 2014 um 280 % verteuert, die Umsätze des Unternehmens sind Jahr für Jahr gestiegen. Viele Marktteilnehmer haben die Wachstumsraten extrapoliert und gedacht, dass sich dies nahezu unendlich fortsetzen wird. Aber was passierte in der Wirklichkeit? Es sind neue Wettbewerber in den Markt eingetreten, das Ergebnis war ein steigender Preisdruck. Viele Fondsmanager hielten die Aktie wegen des guten Momentums. Wir hingegen sind auf Basis der Bewertung short auf Asos gegangen. Das Unternehmen hätte in den nächsten zehn Jahren um jährlich 30 % wachsen müssen, um ein KGV von 80 bis 100 rechtfertigen zu können. Nur wenige Unternehmen können über so lange Zeit so stark wachsen, die übergroße Mehrheit schafft dies für zwei bis drei Jahre und kehrt dann zum Durchschnitt zurück. Das Beispiel der Asos-Aktie, die seit März um 70 % gefallen ist, zeigt, dass Anleger überoptimistisch für die Perspektiven waren.- Investoren schauen bei Aktien beispielsweise auf Kriterien wie den Gewinn pro Aktie, die Wachstumsperspektiven oder das makroökonomische Umfeld. Nach welchen Kriterien bewerten Sie Aktien?Wir nutzen definitiv die Bewertung anhand des Kurs-Gewinn-Verhältnis, des KGV, und fragen uns, ob dies durch die Wachstumsperspektiven gerechtfertigt ist. Dies eröffnet auch die Möglichkeit, sehr günstig bewertete Aktien zu identifizieren und zu kaufen, so wie die norwegische Versicherungsgesellschaft Storebrand in diesem Jahr mit einem KGV von etwa 10. Das Unternehmen hat seine Umsätze in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt und ist ein guter Wachstumsname, aber das wurde in den Märkten noch nicht wahrgenommen.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.