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Großer Optimismus für Europas Aktien

Investoren sehen besondere Chancen in der PeripherieVoraussetzung sind Erfolge im Kampf gegen die Schuldenkrise

Großer Optimismus für Europas Aktien

Die Politik wird im Börsenjahr 2013 von entscheidender Bedeutung für Europas Aktienmärkte sein. Dies hat nicht zuletzt die jüngste Kurskorrektur bewiesen. Unter Analysten und Anlegern dominiert allerdings die Überzeugung, dass die Euro-Länder im Kampf gegen die Schuldenkrise weitere Fortschritte erzielen und die Kurse, unterstützt durch eine konjunkturelle Belebung, im Jahresverlauf kräftig ansteigen werden – nicht zuletzt in der Peripherie. Von Thorsten KramerSo stark wie Anfang Februar hatten Europas maßgebliche Aktienindizes schon seit Wochen nicht mehr unter Druck gestanden. Um mehr als 3 % sackte der Blue-Chip-Index Euro Stoxx 50 an einem einzelnen Handelstag ab, nachdem die Korruptionsvorwürfe gegen Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy sowie die Affäre um die Rettungskredite für die italienische Traditionsbank Monte dei Paschi Kreise zogen. An den Börsen von Madrid und Mailand waren die Minuszeichen noch größer. Eine Regierungskrise in diesen beiden großen Peripherieländern könne man als Allerletztes gebrauchen, begründeten Handelsteilnehmer die Reaktion der Märkte. Ein etwaiger Regierungswechsel würde den eingeschlagenen Reformkurs zur Entschuldung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Frage stellen. Kein Wunder also, dass beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel dem bedrängten Rajoy umgehend Respekt für die erzielten politischen Fortschritte in Spanien zollte und ihre Unterstützung für den Reformkurs zusicherte.Investoren beobachten sehr genau die politische Entwicklung in Europa. Insbesondere die Aussage von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, die Notenbank werde alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die Eurozone zu erhalten, hatte in den zurückliegenden Monaten dazu geführt, dass internationale Investoren an Europas Börsenplätze zurückkehrten. Neue Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Währungsraums könnten folglich zu einer neuen Verunsicherung führen und Investoren davon abhalten, weitere Mittel nach Europa zu leiten. Schlimmstenfalls zögen sie sogar wieder umfangreich Gelder ab und setzten die Notierungen damit unter Druck.Ein solches Negativ-Szenario entspricht freilich nicht der vorherrschenden Meinung. Unter Investoren überwiegt ganz eindeutig die Überzeugung, dass Europas Aktienmärkte die Phase der politischen Verunsicherung schon bald überwinden und die Notierungen im weiteren Jahresverlauf wieder deutlich steigen werden. Seien es große Fondsgesellschaften wie DWS Investment oder Fidelity Worldwide Investments, seien es Vermögensverwalter wie Flossbach von Storch in Köln oder PSM in Grünwald bei München: Die große Mehrheit der Kapitalmarktexperten geht fest davon aus, dass 2013 ein Jahr der Aktie wird.”Die Aussichten für europäische Aktien sind gut”, sagt auch Andrew King, Chief Investment Officer für europäische Aktien bei BNP Paribas Investment Partners. Er begründet seine Einschätzung insbesondere mit der starken Stellung vieler europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb. “Europa ist Heimat zahlreicher Global Player, 60 davon sind Weltmarktführer in ihrer Branche, beispielsweise Unternehmen aus der Automobil- oder der Luxusgüterindustrie. Rund 50 % des gesamten Umsatzes erzielen die Unternehmen außerhalb Europas. Damit gleichen sie die Wachstumsschwäche in der Eurozone aus.”In der Tat: Die konjunkturellen Aussichten in der Eurozone sind alles andere als rosig. Zuletzt passten Volkswirte ihre Wachstumsprognose sogar noch einmal leicht nach unten an. Die einzelnen Erwartungen variieren zwischen einem Wachstum um 0,3 % und einer Kontraktion um 0,3 %, im Konsens rechnen die Ökonomen mit einer Stagnation, wie das aktuelle Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung zeigt. Hoffnung ziehen Beobachter allerdings daraus, dass sich die Wirtschaftsstimmung im Euroraum zuletzt abermals verbesserte: Der Einkaufsmanagerindex rückte unerwartet deutlich auf 48,6 Punkte vor, wie das Marktforschungsinstitut Markit mitteilte, und näherte sich mit dem dritten Anstieg hintereinander der Schwelle von 50 Zählern an, ab der das Barometer Expansion signalisiert. Konjunkturelle Dynamik wächstDer Einkaufsmanagerindex fügt sich in einen Trend ein, auf dem die Hoffnungen der Optimisten an den Aktienmärkten wesentlich basieren: So stabilisierten sich zuletzt die Konjunkturdaten in vielen Industrieländern und einige dieser Staaten sowie viele Schwellenländer weisen eine zunehmende Dynamik bei den richtungsweisenden Frühindikatoren auf. Die Indikatoren der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die zu den am stärksten beachteten zählen, deuten unter anderem eine steigende Wachstumsdynamik in den USA und China an, und für Europa gibt es immerhin Signale für eine Bodenbildung. “Dies deckt sich mit unserer Einschätzung, dass sich die Konjunktur noch in der ersten Jahreshälfte verbessern dürfte”, heißt es bei der Privatbank M.M. Warburg.Für europäische Aktien spricht zudem die immer noch recht günstige Bewertung. Sowohl im historischen Kontext als auch im Vergleich zu anderen Regionen und Anlageklassen seien europäische Unternehmen sehr attraktiv bewertet, sagt Rory Bateman, Leiter Europäische Aktien bei der Fondsgesellschaft Schroders. In der Breite notierten Dividendentitel diesseits des Atlantiks Anfang Februar mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,8, jenseits des Atlantiks hingegen mit 23,8 und in der Region Asien-Pazifik (ohne Japan) mit 20,4. “Wir gehen zwar nicht davon aus, dass sich diese Lücke vollständig schließen wird, doch wir erwarten eine Annäherung und rechnen mit einer gewissen Neubewertung der europäischen Aktien im Vergleich zu den USA und Asien”, sagt Bateman.Viele Marktteilnehmer begründen ihren Optimismus für europäische Aktien zudem mit dem Anlagenotstand der Investoren. Macht es zunächst einmal stutzig, wenn auffallend viele zur gleichen Zeit von einer bevorstehenden Rotation in europäische Aktien sprechen, so ist ihr Argument durchaus stichhaltig: Beim Kauf von Anleihen mit Top-Bonität lässt sich inzwischen keine positive Realrendite mehr erzielen. Steuern und Inflation zehren die minimalen Zinszahlungen, die Investoren inzwischen nun nur noch erhalten, schnell auf. Die anhaltend lockere Geldpolitik sorgt dafür, dass sich an dieser Entwicklung vorerst grundlegend nichts verändern wird. Und bei Unternehmensanleihen, die lange Zeit eine gute Alternative gewesen sind, müssen Anleger inzwischen schon deutlich erhöhte Risiken akzeptieren, um noch eine einigermaßen auskömmliche Rendite zu erzielen. “Eine stärkere Beimischung von Aktien in das Portfolio bleibt vor diesem Hintergrund auch in den kommenden Monaten attraktiv”, lautet das Fazit von M.M. Warburg.Raten einzelne Institute wie die Privatbank Metzler in einem ausgewogenen Portfolio zu einer Aktien-quote von bis zu 65 %, zeigt das Ergebnis einer Umfrage der Fondsgesellschaft Universal-Investment, dass auch unabhängige Vermögensverwalter ihren Schwerpunkt auf Aktien setzen: Sie empfehlen im Mittel eine Aktienquote von 40 %. Regional setzen sie den Fokus über alle Anlageklassen hinweg auf Europa mit einem Gewicht von durchschnittlich 46 %, gefolgt von den USA mit 24 %. An der Umfrage beteiligten sich 25 unabhängige Vermögensverwalter, die auf der Plattform von Universal-Investment Fonds mit einem Gesamtvolumen von 2 Mrd. Euro aufgelegt haben. HSBC: Zweistelliges PotenzialAnlagestrategen großer Investmentbanken unterstützen den Optimismus der Investoren und Vermögensverwalter für Europas Aktien: So traut beispielsweise Garry Evans, Leiter der globalen Aktienstrategie bei HSBC, dem Blue-Chip-Index Euro Stoxx 50 bis zum Jahresende einen weiteren Anstieg um zumindest rund 10 % auf dann 3 000 Punkte zu. Die Modelle der Investmentbank zeigen derweil sogar eine Unterbewertung europäischer Aktien von 20 % gemessen an den eigenen Prognosen für das Gewinnwachstum der Unternehmen an.Zuversicht zeigt auch die französische Investmentbank Natixis. “Investoren, die noch viel Geld am Rentenmarkt geparkt haben, werden dieses Anlageverhalten verändern, um gute Unternehmen zu niedrigen Preisen zu erwerben”, erwartet David Herro, der bei dem Institut als Chief Investment Officer für globale Aktien tätig ist. Als aussichtsreich gelten dabei weiterhin Aktien aus den europäischen Kernländern, allen voran Papiere von exportstarken Unternehmen aus Deutschland, obwohl diese im vergangenen Börsenjahr schon kräftig zugelegt haben. Besondere Renditechancen sehen viele Anlagestrategen und Investoren indes an den Börsen der Peripherieländer, wie nicht zuletzt die Outperformance vieler spanischer und italienischer Werte in den ersten Wochen des neuen Jahres unterstreicht. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist es natürlich, dass die Politik in diesen Ländern am Reformkurs festhält und konjunkturell sich auch dort, zumindest mit Blick auf das folgende Jahr 2014, eine gewisse Belebung abzeichnet. Die Analysten von S&P Capital IQ Equity Research haben sich, basierend auf ihrem grundlegend positiven Ausblick auf das Börsenjahr, auf die Suche nach zehn europäischen Papieren gemacht, die “Wachstum zu einem vernünftigen Preis” bieten. “Wir glauben, dass sich das hohe Risikobewusstsein der Anleger im Jahresverlauf auflösen wird”, sagt Robert Quinn, Chefanlagestratege für europäische Aktien. “Sobald sich die Wirtschaft erholt, werden sich Aktien wieder auf dem Bewertungsniveau der Jahre 2003 bis 2007 bewegen können.” Auf der Liste der empfohlenen Titel stehen ASML, BNP Paribas, Carlsberg, Centrica, Essilor, Julius Bär, Prudential, Rio Tinto, Sanofi und Telenor. “Wir gehen davon aus, dass die staatlichen Sparmaßnahmen 2014 abnehmen und damit positive Impulse ermöglichen”, sagt Aktienstratege Quinn. “Darüber hinaus glauben wir, dass sich das europäische Bankensystem auf einem Kurs befindet, der es im Jahr 2014 ermöglichen wird, das Wirtschaftswachstum zu unterstützen.” J.P. Morgan Cazenove führt die Aktien von Banken sogar als Top-Pick für das Börsenjahr 2013. Die Investmentbank hebt ebenso wie HSBC die günstige Bewertung dieses Sektors hervor, der unter den Krisenszenarien besonders leidet. Auch die neue Stärke des Euro spricht für Finanzwerte, argumentiert Credit Suisse. Die gute Performance des Bankensektors im Januar unterstreiche zudem, dass auch Investoren hier Potenzial sehen. Wie eine Analyse der Credit Suisse zeigt, ist damit durchaus hohe Signalkraft verbunden. In 83 % aller Fälle gilt eine starke Entwicklung im Januar als Hinweis auf Kursgewinne im Gesamtjahr, vorausgesetzt, ein Sektor hat bereits im vorangegangenen Jahr zugelegt. Dies war im Finanzsektor der Fall. Die jüngsten Sonderbelastungen der Commerzbank indes mahnen: Anleger müssen vor einem Investment sehr genau hinsehen.