Großer Run auf US-Staatsanleihen
Aufgrund des Handelsstreits erwarten Marktakteure weitere Zinssenkungen der Fed, auch wenn jüngst eine leichte Beruhigung an den Märkten eingetreten ist. Die Zinskurve in den USA ist deutlich invers geworden und signalisiert eine Rezession. Am Bondmarkt könnten deshalb weitere Kursgewinne anstehen.Von David Hahner und Kai Johannsen, FrankfurtDer US-Staatsanleihemarkt steht wie andere Staatsbondmärkte, die als sicherer Hafen gelten, ganz im Zeichen des US-Handelsstreits mit China, der immer neue Eskalationsstufen erreicht. Der aus dem Ruder laufende Handelsstreit verschlechtert die Perspektiven für die Wirtschaft immer mehr und hat an den Märkten seit geraumer Zeit dafür gesorgt, dass es zu einer Lawine von Käufen von Staatsanleihen gekommen ist. Die Bondmärkte profitieren dabei stark von der Sorge, dass der Handelsstreit eine globale Rezession auslösen und zu neuerlichen Lockerungsschritten in der Geldpolitik führen könnte, nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Regionen. Fed wird aktivDazu kam im Juli nun die erste Zinssenkung der Federal Reserve (Fed) seit dem Höhepunkt der Welt-finanzkrise im Jahr 2008. Marktteilnehmer gehen davon aus, dass diesem Schritt der Fed weitere folgen werden. An den Märkten für Zinsterminkontrakte (Interest Rate Futures) ist ablesbar, dass Händler zum Teil mit bis zu drei weiteren Zinssenkungen bis zum Ende dieses Jahres rechnen. Die Fed Funds Futures preisen für das nächste Treffen des Fed-Offenmarktausschusses Mitte September eine Zinssenkung komplett ein, d. h., der Markt geht fest von einer Zinssenkung bei diesem Treffen aus. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 28 % erwartet der Markt sogar, dass die Zinsen um 50 Basispunkte gesenkt werden. Der Blick wird aber auch noch weiter in die Zukunft gerichtet, und weitere Zinsschritte werden eingepreist. Mit einer erneuten Zinssenkung im Oktober um einen Viertelprozentpunkt rechnen 83 % der Analysten; gar mit einer dritten um 25 Basispunkte am Ende des Jahres rechnen 53 %.Angesichts einer von vielen befürchteten weiteren Ausartung des Handelskriegs und der damit einhergehenden Rezessionsgefahren er-warben Anleger sichere Anlagen wie Gold oder Staatsanleihen, insbesondere auch solche, die lange Laufzeiten aufweisen. Dies führte dazu, dass der Spread (Renditedifferenz) zwischen den US-Staatsanleihen mit dreimonatiger Restlaufzeit und den Papieren mit zehn Jahren Laufzeit in den negativen Bereich rutschte. Dieses als Inversion der Zinsstrukturkurve bekannte Phänomen gilt als ein sehr ernst zu nehmendes Signal für realwirtschaftliche Entwicklungen. Diese Inversion der Zinsstrukturkurve im Bereich von drei Monaten und zehn Jahren Restlaufzeit ging jeder der bisherigen Rezessionen in den vergangenen 50 Jahren voraus.Marktakteure gehen davon aus, dass die Renditen der US-Staatsanleihen weiter fallen werden. Im Blick haben sie dabei auch die Rendite am langen Laufzeitenende, d. h. der 30-jährigen US-Staatsanleihe, die gestern in die Nähe ihres Rekordtiefs gefallen war. Dieses liegt bei 2,089 % und wurde im Sommer 2016 erreicht. Bis auf 2,097 % ging es gestern herunter. Trotz des starken Verfalls in der jüngeren Vergangenheit gehören die Renditen von US-Staatsanleihen mit zu den höchsten unter den Industrieländern.Anleger müssen sich mit einer vielfach für unmöglich gehaltenen Perspektive auseinandersetzen, und zwar mit negativen Rendite bei US-Staatsanleihen. Das thematisiert etwa der Vermögensverwalter Pimco. “Es ist nicht vollkommen auszuschließen, dass die Rendite von US-Staatsanleihen in den negativen Bereich fallen könnte”, sagte Joachim Fels, Chefökonom von Pimco, in der vergangenen Woche. Dies würde das erste Mal nach 2015 eintreten, als Anleger eine Weiterführung der Niedrigzinspolitik der Fed erwarteten. “Falls die Fed die Zinsen nahe null senkt und ein erneutes QE-Programm auflegt, könnten negative Renditen bei US-Staatsanleihen zur Realität werden”, so Fels.Pimco favorisiert noch immer US-Staatsanleihen gegenüber anderen Anleihemärkte wie Deutschland, Japan oder Australien. Negative Renditen sind in Europa und Japan durch die Negativzinspolitik der jeweiligen Zentralbanken ein sehr weit verbreitetes Phänomen. “US-Staatsanleihen sind einer der letzten Vertreter der qualitativ hochwertigen Anleihesegemente, die noch Spielraum für eine Rally haben”, so Dan Ivascyn, Group Chief Investment Officer bei Pimco. Aufgrund hoher Nachfrage seitens der Investoren, die als Flucht in sichere Häfen bekannt ist, könnte somit die Rendite der US-Staatsanleihen in den Minusbereich sinken. Willkommene GelegenheitEs gibt aber auch immer wieder Anzeichen einer Entspannung zwischen China und den USA – so auch gestern. Trump hatte angekündigt, neue Zölle per 1. September zu erheben. Nun kam es erstmal zur Kehrtwende. Das Unterfangen wurde verschoben, und zwar bis Dezember. Solche Entwicklungen haben dann auch immer wieder das Potenzial, die Nerven der Anleger – zumindest vorübergehend – zu beruhigen. Das führt dann aber auch schon zu entsprechenden Kursrücksetzern bei den Anleihen. Für viele Marktteilnehmer waren das in der Vergangenheit aber willkommene Kaufgelegenheiten. – Leitartikel Seite 6