„Growth-Modelle wirken deflationär“
Alex Wehnert.
Herr Moberg, im Portfolio des Franklin Innovation Fund gehören Titel wie Amazon, Alphabet und Microsoft zu den größten Positionen – also Lieblinge von Growth-Investoren. Warum glauben Sie im aktuellen Umfeld hoher Inflation an eine fortgesetzte Outperformance von Wachstumswerten gegenüber Value-Titeln?
Die Rohstoffpreise sinken bereits wieder und der Großteil der Preissteigerungen aufgrund von Lieferengpässen dürfte sich bald auflösen. Ohnehin ergibt es aber keinen Sinn, sich nicht mit den Makroängsten eines bestimmten Quartals zu beschäftigen, da diese keinen Einfluss auf die langfristige Performance von Aktien haben. Natürlich gibt es Phasen, in denen Value-Titel besser abschneiden als Wachstumswerte. Allein in den vergangenen 13 Jahren hat sich der dominierende Anlagestil 20-mal geändert. Allerdings hat der Russell 1000 Growth Performance Index gegenüber seinem Substanzwerte-Pendant im gleichen Zeitraum eine gewaltige Outperformance hingelegt.
Allerdings ist dies keine Garantie für die weitere Performance. Dass die hohe Inflation nur eine kurzfristige Makrosorge darstellt, steht ja auch nicht fest.
Und dennoch: Fortschritte in der Genomik und in anderen Growth-Segmenten wie der künstlichen Intelligenz und Augmented Reality werden sich unabhängig von der Inflation weiter beschleunigen, sie wirken sogar deflationär. Denn durch Innovationen sinkt langfristig der Arbeitskräftebedarf bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung. Und durch effektivere Produktionsprozesse werden Güter günstiger, wie die Historie der Informatik zeigt. Der 1975 vorgestellte IBM 5100 Portable Computer wog circa 23 Kilogramm, die günstigste Version kostete inflationsbereinigt etwa 45637 Dollar. Heute müssen Verbraucher für Computer mit exponentiell höherer Rechenleistung und weitaus geringerem Gewicht nur ein Bruchteil davon bezahlen.
In der Coronakrise haben sich viele Trends, von denen Wachstumswerte profitieren, beschleunigt. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung?
Infolge der Pandemie dürfte sich das Verbraucherverhalten nachhaltig ändern. In einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft McKinsey gaben beispielsweise 80% der Befragten an, dass sie ihre Einkaufsgewohnheiten vermutlich dauerhaft umstellen werden. Der Anteil der Onlineerlöse am Einzelhandelsumsatz ist in den USA zuletzt auf 14% gestiegen, vor Ausbruch der Pandemie waren es noch 11%. Selbst Sektoren mit bislang relativ geringen Onlineaktivitäten, zum Beispiel der Autohandel, stellen zunehmen auf E-Commerce-Modelle um.
Was bedeutet das wiederum für die Inflationsentwicklung?
Im Internet lassen sich Preise leichter vergleichen – das kann Onlinehändler unter Druck setzen, auf Preiserhöhungen zu verzichten. Die Betriebskosten von Onlineshops sind in der Regel niedriger als bei stationären Filialen, sodass E-Commerce-Anbieter niedrigere Preise anbieten können als traditionelle Einzelhändler. Außerdem können Verbraucher Produkte an jedem Ort der Welt kaufen, auch an solchen mit einer niedrigeren Kostenstruktur als am eigenen Wohnsitz. Das Wachstum von Amazon bietet doch das beste Beispiel für die deflationäre Wirkung des Onlinehandels.
Inwiefern?
Anfangs vermied Amazon die mit stationären Filialen verbundenen Kosten und konkurrierte mittels niedrigerer Preise. Durch sein starkes Wachstum konnte das Unternehmen günstiger einkaufen als die meisten Einzelhändler und Waren über seine Plattform auch günstiger anbieten. Mit der Eröffnung der ersten Distributionszentren und dem Leasen von Flugzeugen hat Amazon zusätzliche Kosten innerhalb seiner Lieferketten beseitigt. Die Lieferkosten dürften dadurch noch weiter sinken, dass der Konzern menschliche Arbeitskräfte durch Roboter ersetzt sowie Logistikalgorithmen und möglicherweise sogar Lieferungen per Drohne einsetzt.
Im Moment herrscht jedoch eher ein Mangel an Arbeitskräften. Dürfte das die Lohninflation nicht langfristig antreiben?
Wir denken zumindest nicht, dass die Lohninflation aus dem Ruder läuft. Nehmen Sie als Beispiel die Löhne der Fernfahrer, die infolge der pandemiebedingten Lieferkettenunterbrechungen stark gestiegen sind. Diese Dynamik dürfte vorübergehender Natur sein, da die Unternehmen die Personalkosten langfristig wie angesprochen durch Innovationen wie autonome Fahrzeuge, automatisierte Lagersysteme und künstliche Intelligenz senken können. Hinzu kommt die Entwicklung neuartiger mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus. Wirksame Vakzine ermöglichen es Menschen, die ihren Job aus gesundheitlichen Gründen und Sorgen um die eigene Sicherheit an den Nagel gehängt haben, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.
Ohnehin arbeitet ein großer Teil der Menschen seit Beginn der Pandemie von zu Hause aus.
Richtig, und auch die Folgen des Homeoffice-Trends könnten die Lohninflation mildern. Denn durch moderne Technologien und die Veränderung der Arbeitsplatzkultur ist es möglich geworden, Talente ohne geografische Beschränkungen einzustellen. Für bestimmte Jobs steht somit nicht mehr nur ein lokaler, sondern ein internationaler Arbeitskräftepool zur Verfügung.
Was bedeutet all diese Entwicklung aus Investorensicht?
Dass Unternehmen wie Amazon trotz vermeintlich hoher Bewertungen langfristig attraktiv bleiben. Denn sie befinden sich in einer Win-win-Situation: Ihre Geschäftsmodelle wirken deflationär, andererseits bieten sich auch in einem inflationären Umfeld für sie große Wachstumschancen. In den fünf Inflationsperioden seit 1990 erzielten Unternehmen mit Preissetzungsmacht am Aktienmarkt eine durchschnittliche Rendite von 21%. Damit übertrafen sie Akteure, die den Marktpreis akzeptieren müssen, um mehr als 7%. Viele Unternehmen in unseren Portfolios vertreiben Produkte, für die es kaum Alternativen gibt, und können ihre Preismacht durch den Einsatz von Algorithmen teilweise innerhalb von Sekunden realisieren. Somit ist es ihnen möglich, sich an die Inflation anzupassen und ihre Gewinnspannen aufrecht zu erhalten.
Investitionen in die Metallbranche, die klassischerweise als Inflationsschutz gelten, sind für Sie nicht interessant?
Wir sind einfach überzeugt davon, dass Asset-light-Unternehmen eine bessere Absicherung gegen eine anziehende Teuerung bieten. Schließlich werden Anlageinvestitionen teurer, wenn die Kaufkraft des Dollar schrumpft – und schlanke Unternehmen mit relativ wenig materiellem Vermögen benötigen nun einmal weniger Kapital für Investitionen. Onlinehändler müssen nicht für viel Geld Ladenlokale erwerben und Fahrdienste müssen keine eigene Fahrzeugflotte anschaffen. Außerdem können Asset-light-Unternehmen das Angebot leichter an die Nachfrage anpassen. Airbnb kann zum Beispiel die Beherbergungskapazität in bestimmten Märkten erhöhen, ohne zusätzliche Investitionen in Hotels zu tätigen.
Alles starke Argumente für Wachstumswerte. Allerdings glaubt eine wachsende Zahl an Fondsmanagern auch daran, dass die Grenzen zwischen Growth und Value zunehmend verschwimmen.
Ich denke auch, dass die Debatte über Growth und Value häufig zu ideologisch geführt wird. Vielmehr sind wohl die besten Value- wie auch die besten Growth-Manager auf der Suche nach Unternehmen, die gemessen an ihren künftigen freien Cash-flows extrem günstig sind. Investoren müssen sich darüber bewusst sein, wie dynamisch sich die Märkte entwickeln und wie schnell psychologische Faktoren wie der Herdentrieb zu Verwerfungen führen können. Gerade deshalb ist ein aktives Portfoliomanagement aus unserer Sicht wichtig, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können.
Das Interview führte