Europäische Small- und Mid-Cap-Aktien haben in der Vergangenheit aufgrund ihres Wachstumspotenzials traditionell mit einem Aufschlag gegenüber Large Caps gehandelt. Aktuell ist an den Märkten die ungewöhnliche Situation eingetreten, dass sie gemessen an Finanzkennzahlen wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis das erste Mal seit 15 Jahren mit einem Abschlag gehandelt werden. Damit befinden sie sich im unteren Bereich der Bewertungsspanne, sowohl im Vergleich zur eigenen Historie als auch gegenüber Aktien mit größerer Marktkapitalisierung. Das hält Jan Viebig, Chief Investment Officer von Oddo BHF, in einer Analyse fest.

Die Berichtssaison in den USA verlaufe überraschend positiv. „Das haben auch die Marktteilnehmer honoriert und sich entsprechend an den Märkten positioniert. Doch nach den jüngsten Kurssteigerungen rücken auch die Bewertungen der börsennotierten Unternehmen stärker in den Fokus“, so Viebig. Bis Ende März dieses Jahres sei das Kurs-Gewinn-Verhältnis im Aktienindex S&P 500 auf 21,1 gestiegen und dann auf 20,2 zurückgegangen. „Jetzt liegt es an den Unternehmen, dieses ambitionierte Bewertungsumfeld durch einen Anstieg ihrer Gewinne zu rechtfertigen. Darauf werden die Investoren nun verstärkt achten“, führt er aus.

Dieses Phänomen lasse sich auch für kleine US-Unternehmen beobachten. Denn während die Aktienmarktperformance im vergangenen Jahr von Large Caps – insbesondere großen Technologieunternehmen – getrieben worden sei, seien Unternehmen mit kleinerer Marktkapitalisierung auf der Strecke geblieben. Gemessen am S&P Small Caps 600 würden die kleinen Werte in den USA mit einem Abschlag des KGV von mehr als 40% gegenüber dem S&P 500 gehandelt. Gleichzeitig habe sich das Gewinn- und Umsatzwachstum von europäischen Small Caps sehr solide entwickelt. Umsatz und Gewinne seien im Verlauf der vergangenen fünf Jahre jeweils um durchschnittlich gut 10% pro Jahr gesteigert worden. „Das übertrifft die Ergebnisse der Großen merklich“, hält der CIO fest.

Die niedrigere Bewertung von Small- und Mid-Cap-Aktien – sogenannten Smid Caps – sehe man aus Anlegersicht als Chance, zu einem attraktiven Preis am Wachstumspotenzial kleiner und mittlerer Unternehmen zu partizipieren. „Denn Smid Caps, die wir als Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von bis zu 10 Mrd. Euro definieren, befinden sich häufig in einer früheren Phase ihres Lebenszyklus als Unternehmen mit großer Marktkapitalisierung und haben somit auch mehr Wachstumsspielraum“, so Viebig weiter. Die sich seit 2020 auftuende Kluft zwischen Nebenwerten und Large Caps in Bezug auf die Kursentwicklung am Kapitalmarkt habe verschiedene Gründe. Hierzu zählten Produktionseinschränkungen und die allgemeine Unsicherheit im Zuge der Coronakrise, Preissteigerungen verursacht durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine und die daraufhin stark gestiegenen Zinsen sowie die KI-Welle, die insbesondere große Tech-Werte beflügelt habe. Generell gelten Smid Caps aufgrund ihrer tendenziell konzentrierten Geschäftsmodelle und geringeren geografischen Diversifizierung als konjunktursensibler als Large Caps. Rezessionsängste würden Smid Caps aus diesem Grund überproportional belasten.

„Dem Aufwärtspotenzial stehen Risiken gegenüber. Dies verdeutlicht die große Streuung der Kursentwicklung von Nebenwerten. Denn im großen Universum der Small und Mid Caps gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen und bestenfalls das neue Amazon zu finden. Aus diesem Grund ist eine umsichtige Titelauswahl wegweisend. Bei der Selektion von Nebenwerten suchen wir daher Unternehmen mit zukunftsweisenden Geschäftsmodellen, einer geringen Verschuldung, einer hohen Eigenkapitalrendite und einer attraktiven Bewertung“, sagt Viebig.