REGULIERUNG

Guter Rat ist teuer

Die Finanzmarktrichtlinie Mifid II stellt die Provisionsberatung auf den Kopf. Manch ein Haus fürchtet um sein Geschäftsmodell.

Guter Rat ist teuer

Von Grit Beecken und Angela WefersAm 22. Mai kam der große Knall: Wochenlang hatte die Finanzbranche gespannt gewartet, wie die neuen Vorgaben für die provisionsbasierte Beratung aussehen könnten, und an diesem Donnerstag machten die europäischen Wertpapieraufseher dann klar, dass sie dem Modell mehr als enge Grenzen setzen wollen. Manch einer sagt gar, dass sie es verbieten wollen, so hoch sollen die Anforderungen künftig sein.Doch der Reihe nach: Die überarbeitete Finanzmarktrichtlinie Mifid II (Mifid steht für Markets in Financial Instruments Directive) soll von 2017 an das Wertpapiergeschäft in Europa so sicher machen, wie es nur geht. Bislang weniger stark regulierte Bereiche wie der Anleihenmarkt, das Derivate- und das Rohstoffgeschäft sollen deutlich transparenter werden, und Anlageberater sollen nur noch dann Provisionen annehmen dürfen, wenn diese die Qualität der Beratung deutlich steigern.Und ebendort setzen die Vorschläge der European Securities and Markets Authority (kurz: ESMA) an, die die Details des politischen Regelwerks ausarbeiten. Eins ist klar: Die Messlatte für eine Qualitätsverbesserung soll künftig hoch hängen. Sehr hoch. “Die Vorschläge sind eine wirkliche Verbesserung gegenüber Mifid I”, sagte ESMA-Chef Steven Maijoor mit Blick auf die Vorgängerrichtlinie, die 2007 in Kraft getreten war.Geht es nach den ESMA-Vorschlägen, dann dürften Banken und Sparkassen ihre Provisionseinnahmen künftig nicht mehr nutzen, um damit die Kosten für den laufenden Geschäftsbetrieb wie Miete, Personalkosten und IT-Aufwendungen zu decken. Sie sollen künftig auch Produkte von Anbietern bereithalten, mit denen sie keine Geschäftsbeziehungen unterhalten, und manch ein Experte vermutet sogar, dass die ESMA eine Nachberatungspflicht installieren will – also die Pflicht, Kunden auch nach dem Geschäftsabschluss über ihre Investments auf dem Laufenden zu halten. Entsetzen in der Branche”Da steht das Geschäftsmodell im Wertpapiervertrieb in Frage”, heißt es beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Auch Vertreter des Fondsverbands BVI zeigten sich entsetzt: “Wenn die ESMA-Vorschläge durchkommen, könnte das einen erheblichen Eingriff in die Struktur des deutschen Finanzvertriebs durch die Hintertür bedeuten”, sagt BVI-Geschäftsführer Thomas Richter und betont: “Aber so weit sind wir noch nicht.”Tatsächlich hat die ESMA die neuen Regeln zunächst zur Diskussion gestellt. Die Finanzbranche hat bis zum 1. August Zeit, die insgesamt 844 Seiten der Aufseher zu kommentieren, und zu versuchen, Änderungen durchzudrücken. Parallel dazu intervenieren die Lobbyisten bei der Politik. Schließlich waren es die EU-Kommission, das Europaparlament und der Rat, die die Mifid II demokratisch verabschiedet haben. Und sie müssen auch die Ausarbeitung der ESMA abnicken.Branchenbeobachter halten es für unwahrscheinlich, dass deutsche Politiker einen derartigen Fundamentalangriff auf das deutsche Modell dulden, von dem vor allem das Geschäft kleinerer Häuser abhängt. In der großen Koalition sorgt das Vorgehen der ESMA bereits für Unmut: Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion Antje Tillmann pocht auf die klare Vereinbarung der Union mit dem Koalitionspartner SPD. “Honorarberatung und eine Beratung auf Provisionsbasis stehen gleichberechtigt nebeneinander”, sagt Tillmann. “Ich gehe daher davon aus, dass die Bundesregierung im Rahmen der Konsultation darauf hinarbeiten wird, dass diese Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher auch erhalten bleibt und die Beratung auf Provisionsbasis nicht unangemessen erschwert wird.”CDU, CSU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag klar geäußert: “Wir werden die Einführung der Honorarberatung als Alternative zu einer Beratung auf Provisionsbasis für alle Finanzprodukte vorantreiben und hohe Anforderungen an die Qualität der Beratung festlegen”, beschlossen die Parteien im vergangenen Herbst.Auch die SPD stört sich an den ESMA-Plänen: “Wenn die ESMA das Ziel verfolgt, die provisionsbasierte Vermittlung von Finanzprodukten praktisch abzuschaffen, widerspricht das unserer politischen Überzeugung”, sagt Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. “Wir wollen sowohl Honorarberatung als auch transparente Provisionsberatung.”Dieses Zusammenspiel steht derzeit in Frage: “Geht es nach den Vorschlägen, dürfte der normale Geschäftsbetrieb im Wertpapierbereich nicht mehr durch Provisionen finanziert werden”, sagt Henning Bergmann, Jurist beim DSGV. Er fragt: “Aber wie soll das denn sonst finanziert werden?” Beratung in der Fläche und für alle Bevölkerungsgruppen gebe es hierzulande “schlicht nur bei der provisionsbasierten Beratung”. ESMA wartet auf FeedbackIn Europa erfolgt die Finanzmarktregulierung in einem Zwei-Stufen-Modell: Zunächst einigen sich die Politiker mit der EU-Kommission auf ein Regelwerk. Diese Stufe wird als Level I bezeichnet. Anschließend arbeiten Aufsichtsbehörden wie die ESMA, die Bankenaufsicht EBA oder die Versicherunsaufsicht EIOPA die Details der Regelwerke aus. Diese Arbeit wird als Level II bezeichnet.BVI-Chef Richter moniert, die ESMA wolle nun auf Level II die politischen Beschlüsse des Level I konterkarieren, indem sie die Messlatte für die Zulässigkeit der provisionsbasierten Beratung so hoch hängt, dass sie unmöglich ist – was einem Verbot gleichkommt.”Der europäische Gesetzgeber hat ein klares Bekenntnis zur Provisionsberatung abgegeben”, sagt BVI-Chef Richter. “Wir haben mehrfach Bedenken geäußert, dass die Aufsichtsbehörde ESMA im Rahmen ihrer Level-II-Befugnisse die Provisionsberatung so weit einschränken könnte, dass der gesetzgeberische Wille auf Level I konterkariert wird.” Jetzt drohe tatsächlich eine solche Situation. “Wir wollen erreichen, dass der politische Wille und das, was die Aufsicht daraus macht, am Ende des Verfahrens in Einklang miteinander stehen”, so Richter.Die Aufseher selbst hingegen sehen sich innerhalb ihres Mandats: “Wir sind überzeugt, dass unsere Vorschläge im Sinn von Level I sind”, sagt ESMA-Chef Maijoor. “Wir würden nichts vorschlagen, was nicht mit Level I konsistent ist.” Er geht davon aus, dass bei der provisionsbasierten Beratung Regulierungsbedarf besteht.Denn der Anlegerschutz lasse in Europa in seiner derzeitigen Form zu wünschen übrig. Die Produkte fänden nicht immer auf die richtige Art und Weise ihren Weg in die Portfolien der Anleger. Ein grundlegendes Ziel von Mifid II sei es, die Märkte stabiler zu machen, damit die Realwirtschaft ihren Kapitalbedarf decken kann. “Dabei ist der Retailinvestor sehr wichtig”, sagt der Niederländer. Finanzbranche soll Vorschläge abgeben Grundsätzlich betont Maijoor aber, es sei nun an der Finanzbranche, ihr Feedback zu den Vorschlägen abzugeben. Die ESMA habe in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie gut begründete Kritik aufnimmt und auch umsetzt. Noch gehen einige deutsche Lobbyisten allerdings recht dogmatisch vor und wollen alle Kritierien, die an eine Qualitätsverbesserung gestellt werden, zurückweisen.Politische Beobachter halten es indes für unwahrscheinlich, dass die ESMA auf ganzer Linie zurückrudert. Sie würde nicht nur an Glaubwürdigkeit verlieren, sondern auch ihre Ziel aus den Augen verlieren, Anleger besser zu schützen. Und das Problem des inhärenten Interessenkonflikts bei der provisionsbasierten Beratung ist nach wie vor nicht ausgeräumt – auch wenn Berater ihre Zuwendungen offenlegen müssen.Aufgrund des klaren deutschen Bekenntnisses zur provisionsbasierten Beratung als Alternative zur Honorarberatung gilt es aber auch als unwahrscheinlich, dass sich die ESMA mit allen Vorschlägen durchsetzen wird. Finanzminister setzt auf RegulierungDenn auch auf europäischer Ebene gibt es ein Bekenntnis zur Provisionsberatung – wobei allerdings Länder wie die Niederlande und Großbritannien auf nationaler Ebene bereits ein Provisionsverbot verhängt haben. In diesen Ländern hat sich die Honorarberatung aber auch nicht durchgesetzt. Vor allem im Vereinigten Königreich gibt es für weniger vermögende Menschen schlicht keine Anlageberatung mehr.Allerdings ist die Finanzbranche in kaum einem anderen Land so auf die Provisionseinnahmen angewiesen wie in Deutschland. Hierzulange gibt es nach wie vor ein extrem dichtes Filialnetz mit einem weitreichenden Beratungsangebot auch in kleinen Dörfern von Bayern über Sachsen-Anhalt bis nach Schleswig-Holstein. “Das Beratungsgeschäft wird damit bis in seine Grundfesten erschüttert”, sagt Martin Hellmich, Professor an der Frankfurt School of Finance. “Und es kann passieren, dass Banken sich hier zurückziehen, wie es in anderen Ländern schon zu beobachten war.” Denn eins ist klar: Das Beratungsgeschäft wird für die Banken damit teurer.Selbst in Frankreich bieten lange nicht alle Niederlassungen von Banken Wertpapierberatung an. Für die Franzosen ist es selbstverständlich, auch längere Wege in Kauf zu nehmen, um sich Rat einzuholen. Diese Spezialisierung in einzelnen Filialen senkt die Kosten, weil das Know-how nicht flächendeckend vorgehalten werden muss.In Deutschland hingegen ist es politisch gewollt, auch in der Fläche Anlageberatung anbieten zu können. Doch dafür wird sich die Finanzbranche vermutlich bewegen müssen. Denn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) setzt nach wie vor auf Kapitalmarktregulierung und ist ein Fan der neuen Finanzmarktrichtlinie: “Mifid II ist ein positives Beispiel für Regulierung”, sagte er Anfang des Jahres auf einer Veranstaltung der Deutschen Börse.Schäuble fordert die Finanzbranche auf, bei Regulierungsfragen konstruktiv mitzuarbeiten, anstatt die ganze Energie in die Abwehr solcher Projekte zu stecken. Das Vertrauen in die Finanzmärkte könne nur wiederhergestellt werden, wenn es eine funktionierende und glaubwürdige Aufsicht und Kontrolle gebe.Berater sehen in den neuen Regeln der Mifid II auch Chancen: “Angesichts Mifid II erkennt die Branche vielleicht, dass sie die eigenen Strukturen entzerren und besser gestalten kann, um Interessenkonflikte Schritt für Schritt aufzulösen – und so einen besseren Service anzubieten, mit dem sie auch nachhaltig Geld verdienen kann”, sagt Markus Lange, der beim Wirtschaftsprüfer KPMG für die Mifid zuständig ist. Wichtige Stichworte seien in diesem Zusammenhang die Produktauswahl, Vertriebsvorgaben sowie Transparenz von Leistungen und Vergütungen.Denn Mifid II regelt nicht nur die provisionsbasierte Berarung, sondern die gesamte Wertschöpfungskette neu. Das Regelwerk enthält auch Bestimmungen für die Emittenten von Wertpapieren, den Vertrieb, die Kosten und vieles mehr. “Mifid II erfasst jetzt die gesamte Wertschöpfungskette. Der immanente Interessenkonflikt am Point of Sale soll besser und umfassender gelöst werden. Das geht auch nicht anders, weil es ja darum geht, für jeden einzelnen Kunden das jeweils richtige Produkt auszuwählen”, sagt KPMG-Experte Lange. Scharfe Bestimmungen bei den KostenDes Themas Kosten hat sich die ESMA besonders akribisch angenommen. Berater sollen ihren Kunden demnach künftig alle Kosten offenlegen, die nichts mit dem zugrunde liegenden Markt- und Kreditrisiko zu tun haben. “Das Konsultationspapier sieht vor, dass Kosten künftig genau ausgewiesen werden müssen, und zwar anders als bislang als Prozentangabe und als Zahl. Dabei sind auf Nachfrage auch die Einzelkomponenten offenzulegen. Das ist eine ordentliche Verschärfung”, sagt Antje Kurz von der Kanzlei Linklaters.Vor allem gut informierte Anleger dürften sich die Einzelkomponenten sehr genau anschauen, in Frage stellen – und vermutlich auch versuchen, sie zu verhandeln. Die ESMA schlägt unter anderem vor, dass die Kosten weit am Anfang des Investmentprozesses bekannt gegeben werden, damit die Kunden ausreichend Bedenkzeit haben.Die Mifid enthält darüber hinaus Regeln zur Product Governance. Diese räumen der ESMA und den nationalen Aufsichtsbehörden unter anderem ein Produktverbotsrecht ein. Allerdings glauben nicht einmal die Aufseher, dass das in der Praxis oft vorkommen wird.Wenn Hersteller und Vertreiber von Finanzprodukten sich an die restlichen Product-Governance-Vorgaben wie die Vermeidung von Interessenkonflikten und eine saubere Definition des Zielmarktes halten, sei ein Verbot nicht wahrscheinlich, heißt es bei der ESMA.Wenn die Konsultationsfrist am 1. August abgelaufen ist, wird die ESMA die eingereichten Kommentare sichten und anschließend bis zum Jahresende sogenannte technische Standards veröffentlichen, die die Details der Mifid II verbindlich festlegen. Diese werden dann der EU-Kommission, dem Europaparlament und dem Europäischen Rat vorgelegt.Die Branche soll die Vorschriften des Regelwerks von 2017 an einhalten. Die Vorbereitungen laufen in vielen Häusern aber schon jetzt auf Hochtouren. Denn die Mifid II enthält so viele kleine technische – aber höchst aufwendige Details, dass die Umsetzung lange dauert und ziemlich komplex ist. “Mifid II regelt viele Einzelheiten sehr viel genauer als die Vorgängerrichtlinie. Und das macht für die interne Organisation einen großen Unterschied”, sagt Linklaters-Juristin Kurz. “Die Finanzbranche braucht unter anderem neue Produktunterlagen, neue Vertragsunterlagen – und sie muss darüber nachdenken, ob sie ihre bisherigen Pricings aufrechterhalten kann.”Allein die Anforderung, telefonische Beratungen aufzuzeichnen und aufzubewahren, führt in vielen Instituten dazu, dass eine neue Telefonanlage gekauft werden muss, die aufzeichnen kann. Das gilt auch für Mobiltelefone. Und dann ist noch herauszufinden, wo und wie die Aufzeichnungen gelagert werden sollen.——“Die Vorschläge sind eine wirkliche Verbesserung gegenüber Mifid I.” Steven Maijoor, ESMA”Mifid II ist ein positives Beispiel für Regulierung.” Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister”Der europäische Gesetzgeber hat ein klares Bekenntnis zur Provisionsberatung abgegeben.” Thomas Richter, BVI